Vortrag im Rahmen des Goldfuß-Kolloquiums am Samstag, dem 7. November 1998
Als der Wiener Kongreß im Jahre 1815 die Grenzen Europas neu zog und viele Menschen sich unversehens mit einer neuen Regierung konfrontiert sahen, wurden die ehemals in verschiedene souveräne Territorien unterteilten Rheinlande in ihrer Gänze dem Königreich Preußen zugeschlagen. Das gefiel weder den Preußen, die sich viel eher auf ein beträchtliches Stück Sachsen gefreut hatten, noch den Rheinländern, die als Katholiken argwöhnisch auf den neuen protestantischen Herrscher im fernen und niemals von antiker Kultur veredelten Berlin blickten. Das alles wissen Sie, meine Damen und Herren, und ich brauche es Ihnen hier nicht weiter vor Augen zu führen. Vielleicht aber wissen Sie nicht, daß der preußische König Friedrich Wilhelm III. schon in der Urkunde, mittels derer er von seinen neuen Landesteilen Besitz ergriff, den Rheinländern zur Besänftigung ihres Unmutes eine neue Universität versprach. In der Gründungsurkunde der Universität Bonn nimmt er darauf Bezug, wie ich Ihnen hier vorlesen will:
"Wir, Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen pp. Thun kund und fügen hiermit zu wissen:
Nachdem Wir in unserm, an die Einwohner der mit dem Preußischen Staate vereinigten Rheinländer, d.d. Wien den 5. April 1815, erlassenen Patente, den aus landesväterlicher Fürsorge für ihr Bestes gefaßten Entschluß, in unseren Rheinlanden eine Universität zu errichten, erklärt haben, so stiften und gründen Wir nunmehr durch gegenwärtige Urkunde diese Universität, in der Absicht und mit dem Wunsche, daß solche zur Ehre Gottes und zu aller Unserer getreuen Unterthanen Wohlfahrt gereichen möge, und daß durch solche Frömmigkeit, gründliche Wissenschaft und gute Sitte in der studierenden Jugend gefördert und immer mehr allgemein verbreitet werde."
Daß zwischen Entschluß und Verwirklichung ganze drei Jahre lagen, hatte nicht zuletzt etwas mit der Konkurrenz verschiedener rheinischer Städte um den Sitz der neuen Alma mater zu tun. Die Wahl fiel auf Bonn, und das war gut so. Die Stadt war in einem bedauernswerten Zustand wirtschaftlichen Verfalls, weil man ihr den Status der Hauptstadt abgenommen hatte. Mit dem Weggang der Regierung war auch die Wirtschaftskraft aus der Stadt gewichen, und so entschloß man sich, Bonn zu Wissenschaftsstadt auszubauen, indem man eine bedeutende Universität gründete. Wie heißt es doch in der Bibel, Prediger 1, Vers 9: "Es gibt nichts Neues unter der Sonne."
Das also war die Ausgangslage für die Entwicklung der neuen rheinischen Universität, die am 18. Oktober 1818, dem Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig, eher bescheiden denn glanzvoll gegründet wurde. Sie war die einzige Universität, die in den weiten Landstrichen des Rheinlandes und Westfalens ihre Tore öffnete, denn die altehrwürdige Universität Köln wie auch die barocke Gründung Duisburg wurden von den neuen Herren nicht wiederbelebt. Um so mehr war der preußischen Regierung daran gelegen, die alma mater Bonnensis so bald wie möglich mit einem Kranz berühmter Gelehrter zu schmücken, damit sie, die ja nicht einmal einen Namen hatte, sich baldmöglichst einen solchen machen konnte. Der Staatskanzler Hardenberg, der Kultusminister Altenstein und der Gründungsrektor Hüllmann taten ihr möglichstes, um illustre Geister an den Rhein zu holen. Der junge Arzt und Naturwissenschaftler Georg August Goldfuß, dessen Buch über afrikanische Käfer ja schon seit vielen Jahren erschienen war, wird da eben auch ein interessanter Kandidat gewesen sein, den man im Zuge üblicher Berufungsverhandlungen an den Rhein zu locken versuchte. So zumindest könnte man meinen. Die Wahrheit der Berufung Goldfußens ist weitaus komplexer und durchaus nicht ohne Reiz für die Wissenschaftsgeschichte - oder gar für die Geschichte von Wissenschaftspolitik.
Um den Berufungsvorgang zu verstehen, müssen wir ein wenig zurückgehen in der Biographie des Georg August Goldfuß, freilich ohne der Würdigung seines Lebens durch Herrn Professor Langer vorgreifen zu wollen. Wir können uns ja voll und ganz begnügen mit einem Blick auf seine wissenschaftliche Karriere in Erlangen, wo ihn sein Ruf ereilte. Goldfuß war hier promoviert und habilitiert worden und vor allem - da wird es für uns dann interessant - seit 1813 Mitglied der "Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinischen Gesellschaft der Naturforscher", besser bekannt als "Leopoldina". Sie hatte seit der Wahl von Heinrich Friedrich Delius zum Präsidenten im Jahre 1788 ihren Sitz in Erlangen, ihre umfangreiche Bibliothek und berühmte naturkundliche Sammlung jedoch lagerte in der Universität Erfurt. Da letztere jedoch im Zuge der Abwehrmaßnahmen gegen Napoleon 1805 geschlossen und der Universität Halle einverleibt werden sollte, hatte ein schnelles Handeln des damaligen Präsidenten der Leopoldina zur Folge, daß auch die Bibliothek und die Sammlung ihren Weg nach Erlangen fanden, das ja auch seit dem 18. Jahrhundert zu Preußen gehörte. Der 1811 gewählte Leopoldina-Präsident Friedrich von Wendt gewann den jungen engagierten Privatdozenten Goldfuß als Sekretär für die Akademie und beauftragte ihn mit der Aufstellung der Bibliothek und der naturhistorischen Sammlung. Durch diese Tätigkeit wurde Goldfuß mit anderen wichtigen Naturwissenschaftlern vertraut.
Einer von ihnen war der Chemiker Karl Wilhelm Gottlob Kastner, der 1816 zum Mitglied der Leopoldina berufen worden war. Kastner, nur ein Jahr jünger als Goldfuß, war Ordinarius für Chemie, Physik und Pharmazie in Halle. Von dort hatte er sich schon nach dem Bekanntwerden der Gründungsabsichten des preußischen Königs im Jahr 1815 nach Berlin gewandt und um seine Versetzung an die neue rheinische Universität ersucht. Bei seinem Gesuch um Anstellung hatte er schon ein erstes Mal auf den begabten Goldfuß hingewiesen, so daß hier schon seit einiger Zeit der Weg für dessen Berufung bereitet wurde. Das hat zweifellos eine wichtige Rolle gespielt, als es um die Frage ging, ob Goldfuß nach Bonn geholt werden sollte, der entscheidende Anstoß war es jedoch nicht. Von weitaus größerem Einfluß als die Fürsprache Kastners war für Goldfuß die freundschaftliche Verbindung mit einem Mann, der ebenfalls 1816 zum Mitglied der kaiserlich Leopoldinisch-Carolinischen Gesellschaft der Naturforscher berufen worden war: Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck.
Dieser, sieben Jahre vor Goldfuß geboren, war zwar schon 1800 in Gießen zum Doktor der Medizin promoviert worden, doch hatte er sich als Privatgelehrter betätigt, bis ihn die Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse 1817 dazu zwang, in den Staatsdienst überzuwechseln. An der Universität Erlangen, das seit 1810 wieder zu Bayern gehörte, erhielt er den Lehrstuhl für Botanik.
Daß Nees von Esenbeck sich gerade um einen Ruf nach Erlangen bemüht hatte, dürfte wohl seine besondere Bewandtnis gehabt haben, die ganz sicher nicht in der Qualität dieser Hochschule begründet war. Nicht nur die Naturwissenschaftler klagten darüber, daß die ehemals preußische Universität, die nach der französischen Besetzung der Stadt 1806 praktisch ihren Betrieb eingestellt hatte, unter der bayerischen Herrschaft vor sich hin sieche. Der Mediziner Harleß hatte nichts unversucht gelassen, durch persönliches Einwirken auf den preußischen Staatskanzler Hardenberg diesen dazu zu bewegen, ihn aus der Tristesse Erlangens zu befreien und in das gelobte Land der preußischen Neugründung Bonn zu holen. Harleß hatte Erfolg und war im Sommer 1818 neben Hüllmann und Arndt einer der ersten, die überhaupt in Bonn eintrafen und den Aufbau der Universität koordinierten. Auch Goldfuß selbst klagte in seinen Briefen über den Niedergang Erlangens.
Doch nicht allein die Universität war es, deren Zustand in Erlangen den jungen Naturwissenschaftlern ein Dorn im Auge war. Die Leopoldina selbst schien ihnen nicht das zu sein, was sie sich von einer modernen naturwissenschaftlichen Forschergemeinschaft versprachen. Nees von Esenbeck bezeichnete sie despektierlich als den einzigen Rest des untergegangenen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Wie es scheint, hat eine ganze Gruppe junger Adjunkten, darunter neben Nees und Goldfuß der Chemiker Karl Gustav Bischof, der Mediziner Kieser und der Physiologe Johann Salomon Christian Schweigger schon 1816 den Plan zur Modernisierung der altehrwürdigen und der altdeutschen Territorialstaatlichkeit verhafteten Gesellschaft gefaßt.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es mehr als wahrscheinlich, daß die 1817 erfolgte Berufung Nees von Esenbecks Teil eines raffinierten Planes war, der letztlich gar nicht auf Erlangen zielte, sondern auf Bonn. Denn der Präsident der Leopoldina, Friedrich von Wendt, war an die 80, und man erwartete sein nahes Ende. Unter den Adjunkten gab es eine Gruppe um den Sohn des Präsidenten, den Oberappellationsgerichtsrat Christian von Wendt, der von seinem Vater zum Adjunkten ernannt worden war, obwohl er als Jurist gar nicht dazugehören durfte. Diese Gruppe wurde von der Regierung in München darin bestärkt, die Statuten nach dem Tod des alten Präsidenten so zu ändern, daß die Leopoldina für immer in Erlangen bleiben sollte. Goldfuß jedoch als Sekretär der Gesellschaft sammelte eine andere Gruppe um sich, die sich für die Wahl des gerade berufenen Nees von Esenbeck zum neuen Präsidenten einsetzte.
Als am 8. August 1818 nach dem Tod des alten Präsidenten Wendt die acht wahlberechtigten Adjunkten ihre Stimmzettel abgaben, kam es zu einem Eklat. Es entfielen nämlich auf Nees von Esenbeck drei Stimmen, auf Friedrich Heinrich Loschke zwei, und je eine auf die übrigen Kandidaten. Das hatte es in der Geschichte der Gesellschaft noch nie gegeben, und die Statuten enthielten keine Bestimmung darüber, ob für die Wahl zum Präsidenten die absolute oder die relative Mehrheit erforderlich war. Trotz der daraus resultierenden Streitigkeiten war die Präsidentschaft Nees von Esenbecks bis zum Jahresende auch von der bayerischen Partei anerkannt.
Der Regisseur hinter dem Geschehen zeigt sich in den Akten des preußischen Kultusministeriums, die heute im Geheimen Staatsarchiv liegen: Es ist kein anderer als Georg August Goldfuß. Schon vor der Wahl hatte er an den preußischen Kultusminister Altenstein geschrieben: "Ich hoffe Ew. Exellenz nach einigen Tagen ein erfreuliches Resultat rücksichtlich unserer Präsidentenwahl melden zu können. Ohne Furcht und Rücksichten habe ich zur Förderung desselben gewirkt."
Doch das war nur der erste Teil des Planes. Für seine weitere Fortführung müssen wir auf jemanden zu sprechen kommen, der auch im Jahre 1816 auf Betreiben von Goldfuß zum Mitglied der Leopoldina ernannt worden war: Karl Sigmund Franz Freiherr vom Stein zum Altenstein. Auch er war wie Goldfuß ein Franke, der in preußischen Diensten seine Karriere gemacht hatte. Nach der Vereinigung der fränkischen Markgrafschaften mit Preußen war er 1793 in die Kriegs- und Domänenkammer Ansbach eingetreten. Aus dieser Zeit datiere seine Bekanntschaft mit Goldfuß.
Im Jahre 1817, dem Jahr, in dem in Erlangen Goldfuß die Berufung Nees von Esenbecks an die Universität Erlangen in die Wege leitete, wurde in Berlin Karl Sigmund von Altenstein mit der Leitung des gerade neu geschaffenen Ministeriums für Kultus, Unterricht und Medizinalwesen betraut. Dies war die ideale Konstellation für die Verschwörer! Schon vor seiner Berufung, am 17. Januar 1817, hatte Nees von Esenbeck über Goldfuß einen Brief an den künftigen Kultusminister Altenstein übersenden lassen, in dem er sein Interesse an einer Professur in Preußen bekundete und zugleich durchblicken ließ, daß er als Präsident geneigt sei, die Leopoldina mitsamt ihrer wertvollen Sammlungen und ihrer hochgeschätzten Bibliothek aus Bayern an einen preußischen Hochschulsitz zu transferrieren. Zwei Tage nach dem Tod von Wendt, am 4. Mai 1818, wiederholte er sein Angebot in einem weiteren Brief an Altenstein. In Preußen war dies natürlich hochwillkommen, und gern ging der Kultusminister auf den Handel ein. Der Staatskanzler billigte am 13.10.1818 die Berufung und ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er im November 1818 das ihm von Nees von Esenbeck angetragene Protektorat über die Leopoldina annahm.
Natürlich blieb das alles nicht ohne Folgen für das preußisch-bayerische Verhältnis, ganz zu schweigen vom Zorn der Erlanger Universitätsleitung, die sich im Falle des Nees von Esenbeck als reine Durchgangsstation mißbraucht sah. Schon im Winter 1818/19 mußte Nees das Protektorat des preußischen Staatskanzlers anrufen, weil die bayerische Regierung das Eigentum der Akademie, vor allem die wertvolle mineralogische Sammlung, an der Grenze aufhielt. Das Universitätarchiv bewahrt heute noch die besorgten Schreiben auf, mit denen Altenstein diplomatische Hilfe in diesem Falle verspricht:
"... daß von meiner Seite alle nöthigen Schritte geschehen sind, um auf diplomatischem Wege die ungesäumte Aufhebung des auf Ihre Effekten von Seiten der bairischen Regierung gelegten Arrestes und um Ersatz des Ihnen durch die verspätete Ankunft Ihrer Sachen etwa verursachenden Schadens zu bewirken."
Was aber ist mit Goldfuß, der dies alles doch eingefädelt hatte? Der pochte nicht ohne Stolz auf seinen Anteil an der Entwicklung, und er ließ auch keinen Zweifel daran, worin er seine Belohnung sah: In einer Berufung nach Bonn nämlich, wohin er mit seinem Freund Nees von Esenbeck ziehen wollte. Altenstein hat dies auch durchaus unterstützt und als gerechtfertigt angesehen. Im Berufungsschreiben vom 22.10.1818 sagt er es auch ganz offen: "Bei Ihrer Berufung habe ich ganz besonderen Wert auf das Verdienst gesetzt, welches Sie sich erworben haben, den Herrn Professor Nees zu dem Entschluß zu veranlassen, seine Tätigkeit dem preußischen Staate zu widmen, und seine Wahl als Präsidenten der Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinischen Gesellschaft zu befördern."
Und Goldfuß war nicht allein. Ein weiterer Adjunkt der Leopoldina und Privatdozent in Erlangen, Karl Gustav Bischof, erhielt ebenfalls von Altenstein die Aufforderung, nach Bonn zu kommen. Mit Beginn des Wintersemesters erhielt er eine außerordentliche Professur für Technologie in Bonn. Wer wird sich noch wundern, daß diese Berufung neben Kastner und Harleß vor allem Georg August Goldfuß befürwortet hat. Nicht vergessen werden sollte bei der Abwanderung der Erlanger Naturwissenschaftler der jüngere Bruder Theodor Friedrich Nees von Esenbeck, der als Inspektor des Botanischen Gartens und Repetent der naturwissenschaftlichen Fächer eingestellt wurde und später pharmazeutische Chemie in Bonn las.
In Bonn wurde Goldfuß mit Ungeduld erwartet. Die aufstrebende Bergbauregion, die sich vom Siebengebirge bis zum Niederrhein erstreckte, hoffte auf wissenschaftliche Unterstützung. Zwar war der Oberbergrat Johann Jakob Noeggerath für das Fach Mineralogie schon verpflichtet worden - und zwar, noch bevor der geniale Autodidakt im November 1818 in Marburg zum Doktor der Philosophie promoviert wurde - doch war Altenstein der Meinung, dem Zoologen Goldfuß sei auch das für Bonn so wichtige Fach der Mineralogie gut anzuvertrauen. Und daß Bedarf war, zeigt etwa ein kleiner Artikel in der Zeitschrift "Isis oder encyclopädische Zeitung" aus dem Jahre 1817. Dort heißt es:
"Die Steine, welche am 19ten July bei Bonn sich vom Himmel nieder ließen, fielen in den Garten des Guthes Sternenburg, daß nur eine Viertelstunde von Bonn liegt, und einem Herrn Gerold gehört. ... Diese Erscheinung ist ein gutes Omen für die uralte Bonna. Wenn der Himmel so winkt, wohin er seine Mineralien haben möchte, darf man nicht säumen, an dem Orte eine Kirche zu bauen, in der von den Steinen des Himmels und der Erde gepredigt wird."
Bonn hatte in der Tat Grund zur Freude, daß sich so viele begabte junge Naturwissenschaftler von Erlangen an den Rhein ziehen ließen. Aber auch in Berlin war man zufrieden, denn die Absagen durch andere berühmte Gelehrte wie etwa die Brüder Grimm wurden durch Wissenschaftler wie Nees oder Goldfuß wieder aufgewogen. Vor allem aber waren die jungen Revoluzzer der Leopoldina Garanten dafür, daß die Bemühungen Altensteins, die Bildungsreform Wilhelms von Humboldt in vorsichtiger Weise weiterzuführen und die Naturwissenschaften aus ihrer inferioren Stellung der Theologie, Medizin und Jurisprudenz gegenüber zu befreien, in Bonn reiche Früchte tragen konnten. Koreff, der Leibarzt des Staatskanzlers Hardenberg, dem man einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Berufungspraxis der neugegründeten Universität nachsagt, schrieb wenige Tage vor der Eröffnung der rheinischen Hochschule in der Aachener Zeitung, die Berufung von Männern wie Nees, Schlegel und Goldfuß verbürge eine Annäherung an das Ideal, "welches bei ihrer Gründung den würdigen Staatsmännern, die sie aus dem Nichts hervorgerufen, lebendig vorschwebte".
Die Zustände, die in Bonn vorgefunden wurden, waren natürlich erst einmal alles andere als ideal und mußten erst noch passend gemacht werden. Doch nach und nach trafen die Bücher und die Sammlung ein, zudem wurde der Besitz der naturkundlichen Fächer durch Schenkungen der Berliner Schwesteruniversität, des Freiherrn vom Stein und des Geheimrats Nose um zahlreiche Stücke vermehrt. Nees und Goldfuß richteten sich ein, so gut sie konnten. Und es scheint ihnen durchaus gefallen zu haben, zumindest, wenn man die Schilderung hört, die beide im ersten "Jahrbuch der preußischen Rhein-Universität" von 1819 gemeinsam gegeben haben:
"Der Plan, alle Anstalten für die Naturwissenschaft in einer kleinen Entfernung vor der Stadt, der Natur näher, in dem weit berühmten Garten der Nachtigallen zu Poppelsdorf zu vereinigen, hat für die Wissenschaft selbst eine tiefe und vielleicht folgenreiche Beziehung. Die Naturwissenschaft ist ihrem Wesen nach so gesellig, daß ihre Verehrer im engsten Sinne des Worts für einen Mann stehen müssen, wenn sich nicht jeder nach allen Richtungen hin in einer Art von weiblicher Sehnsucht auflösen soll, nach dem, was, gleich seinem eigenen Beruf, ebenfalls ein volles Leben fordert und einen ungetheilten Menschen für sich, und doch nicht weniger ganz und ergänzend mit zu dem Beruf gehört, der ihn ausschließlich in Anspruch nimmt. ...In der Ansiedelung zu Poppelsdorf liegt es aber sehr deutlich ausgesprochen, daß die Zweige der Naturkunde zu einem Stamm gehören; denn die Lehrer in den verschiedenen Fächern machen nur ein Haus. Kastner, Nees von Esenbeck, Goldfuß, endlich der Custos des Naturalienkabinetts, bewohnen die Flügel des Schlosses, dessen Erdgeschoß in geräumigen Sälen den physikalischen und chemischen Apparat, und die Sammlungen aus allen drei Naturreichen aufnehmen wird."
Derzeit spricht man viel von der Kanzler-WG, die wir zur Zeit in Bonn haben. Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, hatte Bonn schon vor 180 Jahren eine Professoren-WG aufzuweisen, anderthalb Jahrhunderte bevor die Studenten auf die Idee kamen, dergleichen als alternative Lebensform zu propagieren. Wir am Rhein waren eben immer schon ein wenig der Zeit voraus.
In den Jahren nach seiner Berufung widmete Goldfuß sich mit Fleiß und Erfolg seinen Studien und der Lehre, wovon heute andere sprechen werden. Für die akademische Verwaltung der Universität ließ er sich in die Pflicht nehmen, und zwar als Dekan der Philosophischen Fakultät im akademischen Jahr 1830/31 und als Rektor im akademischen Jahr 1839/40. Die quellenmäßige Überlieferung der Philosophischen Fakultät im Universitätsarchiv geht nicht so weit zurück, als daß ich Ihnen über seine Amtsführung als Dekan irgendetwas sagen könnte. Immerhin habe ich ihn nicht in der Akte "Beschwerden über Professoren" gefunden, was ja schon immerhin etwas bedeutet. In der Zeit seines Rektorats allerdings hat Georg August Goldfuß deutlichere Spuren hinterlassen, und diese will ich Ihnen zum Schluß doch noch vor Augen führen.
Zunächst ist da die Frage der Einflußmöglichkeiten der Universität auf die Regierung dieser Stadt. Es ist sicher zu hoffen, daß die geistige Auseinandersetzung städtischer Beamter mit den Lehren und Forschungsergebnissen Bonner Wissenschaftler (und heutzutage auch Wissenschaftlerinnen) von jeher befruchtend war. Und es ist auch zu hoffen, daß die Beziehung von Universität und Stadt von gegenseitiger Achtung und Kollegialität getragen war und ist. Aber es ist doch einigermaßen ungewöhnlich, wenn der Rektor der Universität Bonn bei Freiwerden des Postens des Bonner Oberbürgermeisters selbst aktiv wird und einen Universitätsangehörigen seines Vertrauens auf diese Stelle zu lancieren versucht. Für Goldfuß war das aber offensichtlich keineswegs eine abwegige Handlung, wie Papiere beweisen, die das Universitätsarchiv in seiner kleinen Sammlung nachgelassener Golfussiania bewahrt.
Als nämlich der Bonner Bürgermeister Windeck, aufgerieben durch seinen Streit mit dem Kölner Regierungspräsidenten, im Dezember 1839 verstarb, verzögerte sich die Neubesetzung der Stelle um etliche Monate. In dieser Vakanzzeit schmiedete Goldfuß den Plan, den Universitätssekretär Caspar Anton Oppenhoff zum neuen Oberbürgermeister zu machen. Er schickte einen Rundlauf an die Mitglieder des akademischen Senats, um sie zu einer Stellungnahme zu bewegen. Er trägt die Aufschrift "Senats Verhandlungen über die Besetzung der Oberbürgermeister-Stelle. Sekretiert, nur in einer Senatssitzung zu öffnen."
Goldfuß wollte von den Senatoren wissen, ob man dem Kurator und Regierungsbevollmächtigten Rehfues den Vorschlag unterbreiten sollte, sich bei der Regierung für den Sekretär Oppenhoff einzusetzen. Allerdings war dieser wohl gar nicht recht eingeweiht, denn der Rektor wies nachdrücklich darauf hin, daß Oppenhoff die Sache nicht bei ihm angeregt habe und wies alle Senatoren an, den Brief nach Abgabe ihres Votums jedes Mal sorgfältig mit Siegellack zu verschließen und als Verschlußsache weiterzuleiten, denn schließlich ging der Schriftverkehr der Universität ja durch Oppenhoffs Hände. Eine Mehrheit der Senatoren war durchaus für die Idee zu gewinnen, nur der Universitätsrichter von Salomon enthielt sich, weil er selbst vorhatte, für den Posten zu kandidieren.
Tatsächlich hat sich eine Delegation des Senats zum Kurator begeben und ihn gebeten, seinen Einfluß bei der Regierung geltend zu machen. Ob man nun so explizit an der Kandidatur Oppenhoffs festgehalten hat, wie Goldfuß dies gewünscht hatte, kann ich nicht beurteilen. Interessant ist die Entscheidung der Regierung, die einen weisen Kompromiß fand, indem sie nicht den Universitätssekretär Caspar Anton Oppenhoff zum neuen Oberbürgermeister machte, wohl aber dessen Sohn, den Trierer Regierungsrat Karl Edmund Joseph Oppenhoff. So hatte Goldfuß sein Ziel immerhin indirekt erreicht.
In ganz anderer Weise gefordert wurde der Rektor Goldfuß, als die Nachricht vom Tode des Königs Friedrich Wilhelm III. bekannt wurde. Zwar hatte dieser die Universität Bonn gegründet, aber schon in den Tagen ihrer Gründungsfeierlichkeiten war er innerlich vom Humbold’schen Experiment der freien Menschenbildung abgerückt. Das Attentat auf den Schriftsteller Kotzebue im Jahre 1819 hatten ihn vollends den Universitäten gegenüber mißtrauisch gemacht. Auch Bonn hatte schwer darunter zu leiden.
Ernst Moritz Arndt, den man als einen der Publikumsmagneten für die junge Universität verpflichtet hatte, durfte seit 1819, also gerade nach dem ersten richtigen Semester, nicht mehr lesen. Auch andere Professoren hatten unter der Demagogenverfolgung der Restaurationszeit zu leiden. Der Universität als Ganzer versagte der König seine Gunst in noch viel sichtbarerer Weise. Zunächst einmal enthielt er ihr den Namen vor. Zeit seines Lebens war Bonn nur die "Preußische Rhein-Universität" und nicht, wie es die Bonner Professoren wünschten, die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität. Schlimmer noch: Der König versagte dem Rektor der Bonner Universität die Gunst, zu feierlichen Anlässen eine Amtskette mit dem Konterfei des Königs zu tragen, wie das die Schwesteruniversitäten in Berlin und Breslau durften.
Nun war der grimme König tot, und die Universität konnte hoffen. Goldfuß fuhr zur Huldigungsfeier für den neuen König nach Berlin. Doch Erfolg war ihm noch nicht beschieden. Auch für sein noch viel wichtigeres Anliegen, die finanziellen Zuschüsse der Regierung für die Universität Bonn zu erhöhen, hoffte er vergeblich auf die Zustimmung Friedrich Wilhelms IV. Erst 1842, zwei Jahre nach der Eingabe des Rektors Goldfuß an den König, wurde der Universität eine Erhöhung ihrer Dotation um 9000 Taler gewährt. Und auch der Rektor wurde bedacht und erhielt endlich eine Amtskette, auf deren Medaillion das Bild des Gründers Friedrich Wilhelm III. zu sehen ist. Diese benutzen die Rektoren der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität noch heute.