Der Heimerzheimer Kirchstuhlstreit

von Thomas Becker und Claudia Beckers-Dohlen

[erschienen in: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises 70, 2002, S. 81-93, dort auch mit Anmerkungen und Belegstellen]

Das Historische Archiv der Erzdiözese Köln beherbergt im Bestand der alten "Christianität" Bur den sieben Seiten langen Bericht eines kurfürstlichen Beamten aus dem Jahre 1701, der mit dem lapidaren Titel ?Diarium Executionis Heimertzheimensis? überschrieben ist. In diesem denkwürdigen "Tagebuch der Befehlsausführung in Heimerzheim", wie man den Titel vielleicht wiedergeben kann, ist ausführlich wiedergegeben, mit welchen Schwierigkeiten ein hoheitlicher Beamter zu rechnen hatte, wenn er den Befehl seiner vorgesetzten Dienststelle an einen einfachen Landpfarrer zur Ausführung bringen lassen wollte. Das "Diarium" ist ein typisches Beispiel dafür, wie wenig Durchsetzungvermögen die kurfürstliche Regierung in einem geistlichen Territorium wie Kurköln hatte. In diesem Fall ist der Wille der Regierung, der zugleich der Wille des örtlichen Grundherrn und der Wille des Generalvikars des Erzbistums Köln war, am Ende durchgesetzt worden. Aber der Bericht gibt uns ein nachdrückliches Zeugnis dafür, was für ein immenser Aufwand dafür getrieben werden mußte, einige letztlich doch eher harmlose Streitfragen zu regeln. Damit wächst der Fall des Heimerzheimer Kirchstuhlstreits weit über eine Lokalposse hinaus und gibt Einblicke in die tatsächlichen Machtverhältnisse in einer westdeutschen Landgemeinde zu einer Zeit, die anderswo als die Blütezeit des Absolutismus angesehen wird.

Der Konflikt

Am 21. November des Jahres 1701, so beginnt der im Anhang wörtlich wiedergegebene Bericht, ist der Berichterstatter, dessen Name uns leider weder in der Quelle selbst noch in ihrem Umfeld der übrigen Archivalien des Bestandes überliefert wird, im Auftrag des Generalvikars von Köln in den Ort Heimerzheim gereist, um dem dortigen Pfarrer Hermann Baden zurechtzuweisen und ihn zur Ausführung der Befehle seines geistlichen Vorgesetzten anzuhalten. Da er auff commission des Generalvikars unterwegs war, wollen wir ihn den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend "Kommissar" nennen, ohne dass damit die heutige Bedeutung eines Polizeibeamten gemeint ist. Ein Kommissar war einfach ein Beamter, der in einem bestimmten Auftrag unterwegs war. Die Vorgeschichte der Aktion ist leider ebenso verloren wie der Name des Berichterstatters, was bedeutet, dass wir sie uns aus dem Bericht erschließen müssen. Nach allem, was sich herauslesen lässt, hat der Generalvikar, Johann Werner de Veyder, im Verlauf des Jahres 1701 persönlich eine Visitation der Pfarrei Heimerzheim vorgenommen. Das war zwar nicht gerade üblich, aber auch nicht sehr ungewöhnlich, denn seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts hatte in der Erzdiözese Köln der Generalvikar das Visitationsrecht an sich gebunden und dem Weihbischof keine Visitationsmöglichkeiten mehr gelassen. In der Regel wurden die Visitationen der Ortspfarrer und ihrer Gemeinden allerdings durch die Landdechanten der einzelnen Christianitäten durchgeführt. Nach Ende der Visitation, die im wesentlichen eine Befragung des Pfarrers und der Repräsentanten der Pfarrgemeinde durch den Visitator war, wurde ein Visitationsrezess erstellt, in dem alle Mängel aufgeführt wurden, die im Verlauf der Befragung festgestellt worden waren, einschließlich der Mittel, die seitens des Pfarrers und der Gemeinde zu ergreifen waren, um diese abzustellen. Pfarrer Baden jedoch war einigen Punkten des Visitationsrezesses nicht nachgekommen (welchen, werden wir im nächsten Abschnitt noch sehen), und nun hatte sich der Generalvikar allem Anschein nach an das ?bracchium saeculare?, den ?weltlichen Arm?, gewandt, um durch die Entsendung eines kurfürstlichen Beamten seinen Befehlen Nachdruck zu verleihen. Das zumindest müssen wir annehmen, denn wie wir feststellen werden, hat der Berichterstatter, als er nicht mehr weiterkam, sich nicht nach Köln an das Generalvikariat gewandt, sondern an den Hofrat in Bonn. Wie wir aus dem Text erschließen können, ging es um zwei Konflikte, die der Pfarrer Hermann Baden durch sein Verhalten heraufbeschworen hatte:

Der erste Streit drehte sich um das Kirchengestühl des adeligen Grundherren von Heimerzheim, der auf der Burg residierte. Wie wir erfahren, hatte der Herr von Meinertzhagen, eine neue Kapelle im Chor der Pfarrkirche anbauen lassen, in die ein etwa hundert Jahre alter reichgeschnitzter Kirchenstuhl transportiert weden sollte, der wohl immer für die Burgherren von Heimerzheim reserviert war, woraufhin ein neues Kirchengestühl für den Adeligen und seine Familie angefertigt und an die alte Stelle gestellt werden sollte. Pfarrer Baden hatte sich jedoch geweigert, diesen Transport zu veranlassen. Stattdessen hatte er die kleine Kirchenbank des Herrn von Meinertzhagen, die an herausgehobener Stelle im Chor der Kirche stand, eigenhändig auf den sogenannten ?Kälberstall? geschafft, das große geschnitzte Kirchengestühl des Adeligen aber hatte er nicht in die Kapelle schaffen lassen, sondern es eigenhändig in Stücke gehauen und vor die Kirchtür auf den Friedhof geworfen. Der zweite Konflikt drehte sich um eine Meßstiftung. Wie sich aus dem Text mehr erraten als erkennen läßt, hat der Propst von St. Severin in Köln, der den Pfarrer bisher gefördert und ihm zu verschiedenen Pfründen, darunter der Pfarrstelle in Heimerzheim, verholfen hatte, eine Messe gestiftet, die jeweils am Donnerstag um neun Uhr morgens mit Aussetzung des Allerheiligsten im Tabernakel gefeiert werden soll, allerdings nicht vom Pfarrer, sondern vom ?Primissarius? (Frühmesser), der als weiterer Geistlicher an der Pfarrkirche war und ausser dem Gottesdienst an den Frühmessen auch den Unterricht für die Kinder zur Aufgabe hatte. Dieser Propst war Peter Joseph von Quentel, vermutlich ein Verwandter des Amtmanns des kurkölnischen Amtes Hardt, Franz von Quentel, der in Heimerzheim und Umgebung die Polizeigewalt innehatte und uns in dieser Eigenschaft noch begegnen wird. Pfarrer Baden hatte dem jungen Geistlichen unter Berufung auf die Statuten des Erzbistums Köln die Feier dieser Messe mit Aussetzung des Tabernakels untersagt. Anscheinend hat er diese Messe selber gehalten, allerdings schon um sieben Uhr morgens, und vermutlich hat er auch die Einkünfte der Meßstiftung für sich beansprucht. Wir können nur Verrmutungen anstellen, warum er den Propst von St. Severin, der wohl wenige Tage vor dem Geschehen in Heimerzheim war, dem Berichterstatter gegenüber vehement als Ketzer beschimpft hat. Sicher ist, dass der Pfarrer gegen die Entscheidung des Generalvikars, die Messe am Donnerstag vom Primissarius stiftungsgemäß um neun Uhr lesen zu lassen, in Rom bei der Kurie Klage eingereicht hat. Dies habe, so meinte Baden, aufschiebende Wirkung, und die Entgegnung, er habe gegen den Visitationsrezess gar kein Appellationsrecht, ließ er einfach nicht gelten. Dass gegen ihn im Mandat des Generalvikars eine Strafe von 30 Goldgulden bei Nichtbefolgung festgeschrieben war, scheint Baden nicht weiter beeindruckt zu haben. Aber der Generalvikar de Veyder hatte nun offensichtlich die Geduld verloren, zumal nicht nur seine Autorität, sondern auch das Ansehen des Grundherren von Meinertzhagen auf dem Spiel stand. Daher nun ließ er durch den Berichterstatter unseres ?Diariums? am 22. November 1701 einen strengen schriftlichen Befehl überbringen, mit dem der Pfarrer zum Gehorsam gegenüber dem erlassenen Visitationsrezess aufgefordert wurde.

Das Geschehen

Zunächst einmal reiste unser Berichterstatter an den Ort des Geschehens, ausgestattet mit drei Vollmachten, einer des Generalvikars, einer weiteren der Freifrau von Bornheim und der dritten aus der Feder des Herrn von Meinertzhagen. Diese letzte war wohl die wichtigste, war Gerwin Gabriel von Meinertzhagen doch im Besitz der Burg von Heimerzheim, seit sie ihm 1650 als Bevollmächtigter für seinen Vater Johann Peter zu Lehen übergeben worden war. Am 21. November traf er dort ein, aber erst am Morgen des 22. Novembers kam er recht förmlich seinem Auftrag nach. Zunächst begab er sich zum Fronhof, der dem Kölner Stift St. Kunibert gehörte, das einst der Grundherr in ganz Heimerzheim gewesen war. Der Pächter dieses großen Hofes war traditionell der Schultheiss des Heimerzheimer Gerichts und damit der Dorfvorsteher. Diesem nun händigte der kurfürstliche Kommissar die Vollmachten aus und ersuchte ihn, diese Dokumente zusammen mit der Kopie eines schriftlichen Befehls der kurfürstlichen Regierung, durch den Gerichtsboten, begleitet von vier bewaffneten Schützen, dem Pfarrer ins Pfarrhaus zu bringen. Der Pfarrer jedoch, der die Männer zunächst eingelassen und angehört hatte, warf sie am Nachmittag hinaus und verlangte, das Mandat der Obrigkeit im Original zu sehen. Die Reaktion des Kommissars erfolgte prompt und entsprach den Gepflogenheiten der Zeit: Er befahl dem Gerichtsboten, beim Pfarrer die Schützen einzuquartieren und den Pfarrer so zu zwingen, sie zu verpflegen und ihnen den täglichen Sold von 16 Albus zu reichen. Pfarrer Baden aber ließ die Schützen und den Boten gar nicht erst in sein Haus. Da sie sich nicht trauten, mit Gewalt in das Pfarrhaus einzudringen, blieben sie bis in die tiefe Nacht unverrichteter Dinge vor dem Haus stehen und mußten sich auch noch Schmähreden des Pfarrers anhören, bevor sie naß und verfroren nach Hause zurücktrotteten. Damit war die erste Runde in diesem Konflikt klar an Pfarrer Baden gegangen.

Sehr früh am nächsten Morgen war der Beamte schon zum Amtssitz des Amtmannes des kurkölnischen Amtes Hardt aufgebrochen. Aus der Erkenntnis heraus, dass die Heimerzheimer Burschen, auch wenn sie als Schützen durch die kurfürstliche Obrigkeit aufgeboten worden waren, gegen ihren Pfarrer keine Hand erheben würden, ließ er sich vom Amtsverwalter Thomas Brewer einen Schützenführer und vier Schützen geben, die er noch vor acht Uhr nach Heimerzheim führte, um so einerseits die Abhaltung der Stiftungsmesse abzusichern, andererseits dem Pfarrer zu demonstrieren, dass die Obrigkeit nicht mit sich spassen lasse. Als er aber mit seinen fünf Bewaffneten in Heimerzheim ankam, fand er das Pfarrhaus versperrt vor. Der Pfarrer hatte wiederum selber seit sieben Uhr die Messe abgehalten und dabei auch das Allerheiligste im Tabernakel auf dem Altar ausgesetzt. Der verängstigte Primissarius kam heran und bedeutete dem gestrengen Vertreter der Obrigkeit, er habe leider die Messe nicht selber lesen können, weil er am Morgen beim Mundspülen einige Tropfen Wasser verschluckt habe und so nicht mehr nüchtern sei, was ihn für die Zelebration unwürdig mache. Natürlich war kein Gedanke daran, während der Messe mit bewaffneter Macht in die Kirche zu stürmen, daher wartete die kleine Truppe erst einmal auf dem Kirchhof auf das Ende des Gottesdienstes. Als aber die Messe vorbei war, ließ der Pfarrer auf dem Kirchturm die Glocke Sturm läuten und die Gemeinde so auf dem Kirchhof versammeln. Die Situation begann zu eskalieren. Der Schützenführer wiederholte den obrigkeitlichen Befehl des Vortags und begehrte, dass ihnen das Pfarrhaus geöffnet würde. Als dies nicht der Fall war, begannen die Schützen, mit ihren Gewehrkolben gegen die Tür zu schlagen. Das aber war der Funke, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die zusammengerufenen Bauern, die durch das Geschrei ihres Pfarrers (zumindest nach Meinung des Berichterstatters) aufgewiegelt waren, fuhren nun dazwischen, schlugen auf die Schützen ein und entrissen ihnen die Gewehre. Der Pfarrer selbst war mittendrin, eines der Gewehre landete in seinen Händen, worauf er damit (vermutlich in die Luft) geschossen hat. Das war genug, die fünf Schützen, ?gewährlooß und abgeprugelt?, wie es in dem Bericht heisst, suchten schleunigst das Weite. Auch die zweite Runde ging also an den Pfarrer und an die Heimerzheimer. Freilich war allen Beteiligten klar, dass nun etwas sehr Heikles passiert war. Die eigenen Schützen im Regen stehen zu lassen, das war das Eine, aber im offenen Aufruhr gegen die Obrigkeit eine Waffe abzufeuern, das war das Andere, das sehr wohl ein gefährliches Nachspiel haben konnte. Dies war auch dem Pfarrer klar, der darum seinen Küster mit einem Verhandlungsangebot in den Fronhof schickte. Man wolle an einem neutralen Ort versuchen, sich gütlich zu einigen, so war Pfarrer Badens Angebot. Als nun die Parteien ?auf der Ballen? zusammentrafen, zeigte es sich bald, dass Baden keineswegs von seiner Position abgehen wollte. Im Gegenteil beharrte er auf seinen Rechten als Pfarrer, darunter dem Recht, den Zeitpunkt der Frühmesse zu bestimmen. Hier fielen auch die Äußerungen über den Propst von St. Severin, den er immer wieder als Ketzer beschimpfte. Wegen der Vorwürfe, das Kirchengestühl des Herrn von Meinertzhagen aus der Kirche geworfen zu haben, gab Baden sich ebenfalls widerborstig.

Damit war auch nach den Verhandlungen die Sache noch nicht beigelegt. Der kurfürstliche Beamte, der auch mit seinen fünf fremden Schützen nicht weit genug gekommen war, begab sich nun zum Herrn von Meinertzhagen und ritt mit diesem zusammen nach Bonn, um in der Hauptstadt neue Instruktionen zu erbitten.

Am Donnerstag, dem 1. Dezember, war unser Berichterstatter wieder in Heimerzheim. In seiner Begleitung war der Amtmann von Hardt, Franz von Quentel, der mit der Schwester des Gerwin von Meinerztzhagen, Frau Anna Franziska, verheiratet war, dazu der Burgherr Gerwin von Meinerzhagen selbst und etwa fünfzig Schützen unter dem Befehl des Amtsverwalters Thomas Brewer. Morgens um sechs Uhr wurde von den Schützen das Pfarrhaus umstellt, damit der Pfarrer keine Chance hatte zu entkommen. Als man nach dem Pfarrer fragte, kam aus dem Pfarrhaus die Auskunft, er sei gar nicht da, denn er sei ganz früh am Morgen nach Metternich aufgebrochen. Die Schützen aber suchten nun systematisch das ganze Anwesen ab, und endlich fand man den Pfarrer, der sich - eine Axt in der Hand - im Taubenhaus versteckt hatte. Nun hatte sich das Blatt gewendet.

Die Gemeinde wurde mit der Glocke zusammengerufen. Die Missetäter, die am 24. November gegen die Hardter Schützen Hand angelegt hatten, wurden mit kurfürstlichem Befehl für den nächsten Tag nach Bonn zur Hofkanzlei befohlen, um sich zu verantworten. Der Pfarrer leugnete hartnäckig, mit dem Handgemenge etwas zu tun gehabt zu haben, aber endlich mußte er doch klein beigeben und gestehen, dass er selber das Gewehr abgefeuert hatte. Dann mußte er aus der Kirche die dort versteckten drei Gewehre holen, die man den Hardter Schützen abgenommen hatte. Auch die Stücke des zerschlagenen Kirchengestühls wurden nun von den Schützen aufgesammelt und in die Kirche getragen, die dafür allerdings dem Pfarrer ein Quart Branntwein abnötigten. Pfarrer Baden mußte darüber hinaus dem Amtsverwalter versprechen, alle Artikel des Visitationsrezesses zu halten und zu erfüllen. Das bedeutete vor allem, die Donnerstagsmesse nun nach dem Willen des Stifters singen zu lassen, auch den Kirchstuhl des Herrn von Meinertzhagen in der Kirche zu dulden, ja sogar den Beichtstuhl etwas zu verrücken, damit die neu erbaute Kapelle besseren Zugang zur Kirche habe. Zum Schluß wurde dem Pastor die Erstattung aller Unkosten der gesamten Polizeiaktion aufgetragen, was beinhaltete, den anwesenden fünfzig Schützen das Mittagessen bringen zu lassen und ihnen dazu den Tagessold von 16 Albus zu reichen. Wegen der Kriegsgefahr (man befand sich damals im Spanischen Erbfolgekrieg) hatte der Pfarrer sein Geld angeblich nach Köln in Sicherheit gebracht, und so mußte er zulassen, dass als Ersatz sechs Malter Roggen aus seinen Vorräten abgesackt und an die Schützen verteilt wurden, den Rest streckte der Herr von Meinertzhagen vor. Am Nachmittag wurden die Schützen dann wieder nach Hause geschickt, der Schützenführer und acht Mann allerdings blieben als Einquartierung im Pfarrhaus zurück, bis alle ausstehenden Unkosten bezahlt waren. Während der Amtmann Franz von Quentel am nächsten Morgen zur Berichterstattung nach Bonn ritt, ging der Kommissar um sieben Uhr zum Pfarrhaus, um noch einmal mit Pfarrer Baden zu reden. Dieser aber war nicht mehr da. Er hatte sich nach Köln abgesetzt. Einen Tag später schickte er einen Notar mit der Anfrage, wie hoch sich denn nun die Gesamtsumme belaufe, die man von ihm haben wolle. Daraus waren nun insgesamt schon 80 Reichstaler geworden, und mit jedem Tag, den die acht Schützen im Heimerzheimer Pfarrhaus verbrachten, wurden es mehr. An dieser Stelle bricht der Bericht ab. Wir können nur vermuten, dass Hermann Baden so schnell wie möglich seine Schuld bezahlt hat, denn er ist ohne längere Verzögerung wieder als Pfarrer in Heimerzheim im Amt gewesen. Den Kirchenstuhl hat er vermutlich dulden müssen, ebenso wie die Donnerstagsmesse um neun Uhr. Die Erzählungen vom Heimerzheimer Kirchstuhlstreit finden allerdings noch nach Jahrzehnten in den Visitationsberichten der Pfarrei ihre Erwähnung.

Pfarrer Hermann Baden

Wer war dieser halsstarrige Pfarrer, der hier über Tage hinweg unerschrocken der geistlichen wie der weltlichen Obrigkeit die Stirn bot? Viel wissen wir nicht über ihn, wie das bei einem einfachen Landpfarrer aus dem späten 17. Jahrhundert auch nicht anders zu erwarten ist. Immerhin können wir aus einer Altersangabe in einem späteren Visitationsbericht erkennen, dass er 1657 oder 1658 geboren worden ist. Am 22.9. 1687 empfing er die Subdiakonatsweihe. Zur Zurückdrängung des Klerikerproletariats, das sich seit dem späten Mittelalter gebildet hatte, war durch einen Erlaß des Generalvikars Georg Paul Stravius schon für die Erlangung dieses niedrigen Weihegrades ein sogenannter ?Weihetitel? erforderlich. Darunter verstand man den Nachweis über einen Unterhalt von jährlich wenigstens 25 kölnischen Gulden. Man mußte also, wollte man Priester werden, sich erst einmal einen Gönner suchen, der einem den nötigen Unterhalt garantierte, um sich weihen lassen zu können. In den meisten Fällen wurde dieser Unterhalt dadurch sichergestellt, dass man eine Altarpfründe an einer Stifts- oder Pfarrkirche zugesagt bekam. Hermann Baden hat zwei Weihetitel aufbringen können, ein Officium an St. Laurentius und eines am Stift St. Kunibert, beide in Köln. Das bringt ihn schon als Subdiakon in indirekten Kontakt mit Heimerzheim, denn die Pfarrkirche von Heimerzheim war, da das Stift ursprünglich der alleinige Grundherr gewesen war, auf den Namen des Hl. Kunibert geweiht. Das Kapitel von St. Kunibert war der Kollator der Kirche, d.h. es hatte das Präsentationsrecht eines neuen Kandidaten für das Pfarreramt, wenn die Pfarrstelle vakant wurde. Dafür erhielt es einen Teil des Zehnten als beständigen Unterhalt, hatte allerdings auch die Baulast für einen Teil der Kirche zu tragen.

Woher Hermann Baden stammte und wer seine Eltern waren, ist nicht überliefert. Da er seine Weihetitel in Köln hatte, ist nicht auszuschließen, dass er aus dieser Stadt stammte und schon früh Beziehungen zu den Kölner Stiften hatte. 1692 tauschte er seine Weihetitel mit einer Altarpfründe an St. Maria Lyskirchen in Köln, was ebenfalls für diesse Annahme spricht. Zwei Jahre später aber verließ er die Reichsstadt, um nun eine Seelsorgestelle anzutreten  In Immendorf bei Brühl wurde er vicarius substitutus des Pfarrers Michael Cann. Vikare gab es an vielen Pfarrkirchen der damaligen Zeit. Sie erhielten eine - meist nicht sehr hohe - Entlohnung dafür, dass sie den Pfarrdienst für den eigentlichen Pfarrer versahen, der aus den verschiedensten Gründen nicht am Ort residierte. Wie wir aus dem unten abgedruckten Text wissen, verdankte Baden die Immendorfer Stelle dem Wohlwollen eines Gönners, des Propstes des Kölner Stiftes St. Severin, Peter Joseph von Quentel. Über die Beziehung Badens zu von Quentel wissen wir nichts, es ist nur erstaunlich, dass er seinen Gönner öffentlich als "Ketzer" beschimpfte, was aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einfach heissen soll, Quentel habe die Konfession gewechselt, sondern eher auf einen theologischen Dissens hindeutet, der eventuell mit der Donnerstagsmesse zusammenhängt, die möglicherweise von dem Propst gestiftet worden ist.

In Immendorf ist Baden nur sechs Jahre geblieben. Am 3.4. 1700 wurde er in Heimerzheim als Pfarrer investiert. Anders als in dem meisten Pfarreien wurde die Investitur in Heimerzheim nicht durch den Generalvikar vorgenommen, sondern durch den Dechanten des Stiftes St. Kunibert. Das bedeutet, dass Pfarrer Baden, als die Konflikte mit dem Burgherrn Gerwin von Meinertzhagen und mit dem neuen Primissarius der Donnerstagsmesse ausbrachen, erst seit kurzer Zeit in Heimerzheim amtierte.

Hermann Baden, so können wir weiteren Visitationsprotokollen aus Heimerzheim entnehmen, hat der Streit mit dem Generalvikar und mit dem Herrn von Meinertzhagen nicht geschadet (abgesehen von den finanziellen Lasten, die er zu tragen hatte und die ihm sicher nicht leicht gefallen sind). Er konnte weiterhin in seinem Amt als Pfarrer von Heimerzheim verbleiben. Allerdings stand er sicher unter schärferer Beobachtung als andere Pastöre. Schon zwei Jahre nach den Geschehnissen wurde Heimerzheim wieder visitiert, was durchaus ungewöhnlich ist, da die Abstände zwischen den einzelnen Visitationen, die eigentlich jährlich oder wenigstens alle zwei Jahre hätten erfolgen sollen, meist mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte betrugen. Und schon hat der Pfarrer wieder neue Klagen vorzubringen: Der Burgherr lasse in der Burgkapelle am Fest der Hl. Margaretha einen feierlichen Gottesdienst mit anschließender Predigt abhalten, was einen Eingriff in die Rechte der Pfarrkirche darstelle. Die Gräben waren offensichtlich noch nicht zugeschüttet zwischen Pfarrer und Burgherr. Allerdings war Baden mit dem Betragen seiner Heimerzheimer, die ihm doch 1701 so wacker beigesprungen waren, auch nicht einverstanden. Sie leisteten knechtische Arbeiten an den Sonntagen, so beklagte sich der Pfarrer beim visitierenden Landdechanten. Wegen der Exposition des Allerheiligsten während der Donnerstagsmesse kann es um diese Zeit gar keinen Streit mehr gegeben haben, denn wegen der umherstreifenden Soldaten (es herrschte ja immer noch Krieg, selbst wenn die französischen Truppen zusammen mit dem mittlerweile geächteten Erzbischof Joseph Clemens seit 1702 nach Belgien und Frankreich zurückgewichen waren) hatte er die Monstranz kurzerhand in Sicherheit gebracht. Wahrscheinlich ist es das Fehlverhalten der Gemeinde, das ihn dazu gebracht hat, zwar die Messe in der geschuldeten Form und Länge zu lesen, aber auf die anschließende Predigt kurzerhand zu verzichten. Das hat er allerdings nicht allzulange durchgehalten. In der nächsten Visitation, die im Jahre 1709 durchgeführt wurde, ist eindeutig nachgewiesen, dass Hermann Baden wieder predigte. Aber wie! Bei der Befragung durch den Generalvikar, der diesmal wieder persönlich visitierte, hagelte es Beschwerden von seiten der Pfarrmitglieder: Baden übe nicht die Zurückhaltung, die sie von einem Priester bei der Predigt erwarteten, sondern er nenne einzelne Gemeindemitglieder namentlich als Exempel in seinen Predigten, ja er zeige gar mit dem Finger auf sie, und er scheue sich auch nicht, wie an Pfingsten 1709 geschehen, über verstorbene Gemeindemitglieder herzuziehen. Die Stimmung zwischen Pfarrer und Gemeinde verbesserte sich auch in den kommenden Jahren nicht. 1716, als wieder eine Visitation durchgeführt wurde, diesmal aber mit Hilfe eines vorgedruckten umfangreichen Fragebogens, waren dem streitbaren Pfarrer die kleinen Zwischenräume zwischen den Fragen dieses Fragebogens viel zu wenig, um seinen Ärger über seine Schäflein aufnehmen zu können. In einer 23-seitigen Anlage zum Visitationsfragebogen beschwerte Baden sich ausführlich über die Unkeuschheit, den Aberglauben oder die Mißachtung der Sonntagsruhe durch seine Gemeindemitglieder. Besonders störte ihn die Art und Weise, wie die Sebastianusschützen sich während der Prozessionen und während des Gottesdienstes aufführten. Das Fahnenschwenken während der Prozession, so klagte er, fördere nicht die Andacht, sondern es bringe das davon unterhaltene Volk von den Dingen ab, um die es in der Prozession gehe. Am Zielort dann versammelten sich die Heimerzheimer Schützen dann mit Fahnen und Gewehren vor dem auf dem Altar ausgestellten Allerheiligsten. Einige von ihnen, so klagt Baden weiter, holten sich dabei Öl aus den Lampen der Kirche, um ihre Gewehre zu ölen, während andere zur Ehre des ausgestellten allerheiligsten Altarsakraments ihre Gewehre so heftig auf den Boden aufzusetzen pflegten, dass die Statue an der Seite des Altars ins Schwanken gerate. Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Beschwerdeschrift nicht gerade dazu angetan war, die Atmosphäre zwischen Pfarrer und Gemeinde zu bereinigen. Baden starb am 10. April 1720, ohne dass wir noch einmal durch Quellenfunde über sein weiteres Verhältnis zu Gemeinde und Obrigkeit unterrichtet werden, aber wahrscheinlich ist er seiner Linie weiterhin treu geblieben.

Zweifellos war Hermann Baden ein besonders streitbarer Mann. Angst vor obrigkeitlicher Macht scheint er jedenfalls nicht gehabt zu haben. Aber wie kann man - von der Frage der Umgangsformen einmal abgesehen - sein Verhalten bewerten? War er nur ein eigensinniger Querkopf, der sich gegen alles und jeden stellte? Oder muss man seine Handlungen unter anderen Gesichtspunkten sehen?

Die Zeit, in der Pfarrer Baden sein geistliches Amt angetreten hat, steht in der Erzdiözese Köln noch ganz unter den Vorzeichen der ?katholischen Reform?, die nach dem Abschluß des Konzils von Trient im 16. Jahrhundert als Antwort auf die Herausforderungen der Reformation konzipiert worden war. Viele der Aktionen Badens, so fragwürdig sie (wie z.B. das Zerschlagen des Kirchenstuhls) auch in ihrer Ausführung gewesen sein mögen, folgen der Intention nach dem Geist der katholischen Reform. Das zeigt sich ganz besonders bei den Beschwerden über die Gemeinde und die Schützenbruderschaft, die ganz im Sinne des Tridentinums sind. Die Beschwerden gegen den Burgherren der Heimerzheimer Burg erhalten ebenfalls durch diese Linie ein anderes Gewicht. Auch sie sind durch die Bestrebungen motiviert, die Abläufe in der Pfarrgemeinde und die Gestaltung des Innenraums der Kirche den Vorgaben des Tridentinums entsprechend zu gestalten. Hier kommt die Paradoxie zum Vorschein, die uns im Erzstift Köln bei der Umsetzung des Tridentinums öfter begegnet: Die Amtsträger der Kirche, wie etwa der Generalvikar oder der Weihbischof, die eigentlich ihre ganze Energie darauf verwenden sollten, die katholische Reform umzusetzen, mußten gleichzeitig in den kurkölnischen Gebieten im Interesse des Staates, den ihr Erzbischof regierte, Kompromisse schließen, die einerseits das Traditionsbedürfnis der Untertanen und andererseits das Repräsentationsbedürfnis des Adels berücksichtigten. Ein Pfarrer wie Hermann Baden, der nicht zu Kompromissen bereit war, mußte unweigerlich mit dieser Obrigkeit in Konflikt geraten. Er tat es auf eine Art, die weit radikaler war als man das von einem Pfarrer erwartete, und daher provozierte er auch eine Reaktion, die weit über das übliche Maß hinausging. Die Geschichte des Heimerzheimer Kirchstuhlstreits zeigt aber auch, wie schwach die staatliche Autorität in Kurköln in dieser Zeit ausgeprägt war. Es genügte weder ein schriftlicher Befehl noch die Entsendung von vier bewaffneten Schützen, um einen einfachen Landpfarrer zu bewegen, den von ihm zerschlagenen Kirchenstuhl wieder an seinen Platz zu räumen.

Hermann Badens streitbares Verhältnis zu seiner Gemeinde läßt sich weit weniger leicht erklären als das zur Obrigkeit. Zwar hatte er ihr einiges vorzuwerfen, doch die Klagen über Mißachtung der Sonntagsruhe und ausgelassenes Prozessionstreiben sind auch andernorts im Rheinland anzutreffen. Es deutet aber einiges darauf hin, dass Heimerzheim ein Ort war, an dem auch die Gemeindemitglieder in kirchlichen Angelegenheiten besonders halsstarrig waren. Der Vorgänger von Hermann Baden, der 1666 nach einem regelrechten Theologiestudium (was sehr ungewöhnlich war) zum Priester geweihte Rudolf Klein aus Brühl, hat nach dem Bericht Badens aus lauter Verzweiflung über ihren Aberglauben und ihre Unwissenheit seine Gemeindemitglieder mehrmals in der Kirche, bei der Prozession und zu anderen frommen Anlässen mit Stöcken oder anderen festen Gegenständen durchgeprügelt. Und als 1743 der Nachfolger von Hermann Baden, Johannes Franz Hüls, vom Visitator befragt wurde, da klagte er: Der Status der Pfarrei Heimerzheim sei miserabel, ja er sei kaum noch christlich zu nennen, weil niemand die christliche Disziplin beachte, sondern alle, vom Knaben bis zum Greis, ohne Gesetz und (Gottes-)Furcht nur für ihren eigenen freien Willen lebten. Hermann Baden war sicher kein Priester, wie er nach den Wünschen seiner kirchlichen Oberen sein sollte. Aber wenn man bedenkt, was wir über seine Vorgänger und Nachfolger hören, dann war seine handgreifliche und direkte Art vielleicht die einzige, mit der sich ein Pfarrer in einem Ort wie Heimerzheim zu Beginn des 18. Jahrhunderts Gehör verschaffen konnte.

Anhang

Diarium Executionis Heimertzheimen[sis]

Anno 1701 den 21ten novembris bin auff commission ihrer hochwurdten h[er]rn vicarii in spiritualibus generalis Colon[iensis] pro facienda executione recessus visitationis nacher Heymertzheim gereiset.

Dingstags den 22ten 9bris habe des h[er]rn vicarii generalis befelch vom 20ten dieses wie auch der Freyfraw von Bornheim dem h[er]rn von Meinertzhagen zu Heymertzheim gegebene vollmacht ad exequendum dem frohnhalffen vndt schulteissen zu Heymertzheim originaliter vorgezeigt, auch wohlg[emelter] Freyfraw commission copeylich hinterlaßen undt begehrt, solche nit allein alsobaldt dem h[er]rn pastoren zu hinterbringen, sondern auch den botten mit vier schutzen in das pastorallhauß ein zu schicken, bis solche von geistlicher obrigkeit revocirt worden. So er schulteiß auch alsobald gethan, zugleich habe h[er]rn pastori originale mandatum cum copia per loci vicarium hinbringen laßen. Es seynd aber bott und schutzen zwar anfänglich eingelaßen, am nachtmittag aber vom pastori sub praetextu, er wolle die ordre der weltlicher obrigkeit originaliter sehen, außgeschlossen worden, welches alß der bott vndt ubrige schutzen referirt, auch er pastor mir durch h[er]rn Joan Deisen primissarium oder vicarium Heymertzheimensem obg[emel]tes originale restituiren, zugleich terminum protestativum et provocativum zuhändigen lassen. Habe ich den schulteßen undt botten nachmahlen per decretum schrifftlich erinnert, daß von mehrg[eme]lter geistl[icher] und weltlicher obrigkeit beschehenen verordnungen nachkommen, der bott und schutz[e]n sich im pastoralellhauß nacht und tags verpflegen, und jeder sich täglich 16 alb[us] reichen laßen solle, biß durch solche auß obrigkeitlicher gewalt revocirt worden. Obschon nun sothane errinnerungh durch den schultess[e]n alsobald dem pastorn zugestellt, hat doch selbiger dem botten undt schutzen bis in die spathe nacht underem blawen himmell und regen stehen und nit einlaßen wollen, sondern dem bottenhunt (!) retulit ins gesicht gesagt, dieb undt schelmen kämen in der nacht, also solche unverrichtersachen nacher hauß gangen.

Morgens nemblich mittwochß den 23ten 9bris haben bott undt schütz[e]n mir obiges abermahl bedeutet mit dem zusatz, daß ihnen h[er]r[n] pastoris magdt geantwortet, er wolle gewalt mit gewalt hintertreiben, und sich mit starcker hand witersetzen, undt gegen ihren pastoren, weilen ich vermercket, daß die einheimische prae reverentia gewaltige hand zu biethen schew getragen, undt der schulteiß nit zurstelle, bin genöthiget worden, herrn Thomas Brewer, ambtverwaltern zur Hardt, und einen schutzenfuhrer undt vier schutzen zu belangen, habe auch herrn primissarium loci mundtlich erinnert sich pro die crastino ad cantandam missam de venerabili fertig zu halten, so er auch versprochen.

Donnerstag den 24ten 9bris gleich frühe seindt obgemelte schutzen von der Hardt, so durch den schutzen fuhrer Herman Palm hergebracht, zu Heymertzheim erschienen, undt sich zum pastorall hauß begeben, so sie abergesperret, undt herrn pastoren zwischen 7. od. 8. uhren ahm altar in empfang der quaestionirter donnerstägiger messen cum expositione venerabilis befundten, under deßen ist herr primissarius loci zu mir kommen, und sich wegen heut gehabtem unglucks, da ihme im mundt spulen einige tropffen waßer herunter gefloßen, und dardurch zu celebriren unbequem gemacht, excusirt, das iuxta recessum visitationis die donnerstags meeß heut nit verrichten konnen. herr pastor aber hatt nach der meeß vor 8 uhren auff die klocken schlagen und sturmm undt die gemeindte auffen kirchhoff versamblen laßen mit begehren gemelte schutzen mit gewalt abzuhalten, so auch geschehen, dan alß der schutzen fuhrer sampt bey sich habendten schutzen den obrigkeitlichen befelch nachmahlen ahngefuhrt, undt er pastor bey obgemelter renitentz haltzstärrig verplieben, dem schutzen daß pastorallhauß in der gute nit eroffnenn wollen, dahero selbige genöthiget worden, ein oder andern stöß auff die thur zu thun, seyend sie von den von dem pastoren auffgewickelten häuffigen bawren uberfallen, geschlagen und endlich dreyen das gewähr gewaltig auß den händen gerißen, welches auch er pastor selbst loßgeschoßen, undt die schnaphanen behalten, die schutzen aber gewährlooß und abgeprugelt unverrichter sachen weggehn laßen.

Folgendts umb etwa 9 uhren vormittags hatt er pastor seinen offermann zu mir gesendtet, mit der anfragh, ob man nit diese sach in loco tertio in der gute vergleichen konnte mit begehrten, ich mögte ihme und einige von der gemeindten daruber mundtlich versichern, welches ihme auch cum expressa protestatione et salva violenta actione bewilliget, alß aber ich auff der ballen mit ihme undt viele nachtbahren erschienen, hatt er anderst kein vergleichs mittel vorgebracht, alß daß zwarn herrn vicarium die donnerstägige meeß zu leßen permittiren wollen exponiren undt zu weilen die monstrantz (weilen deren öffteren außsetzung de jure verbotten) offters aber das ciborium exponirt, undt konte ihm die obrigkeiten ein anders nit befehlen. Auff die anfragh, warumb diese meeß juxta ordinationem archi-episcopalem nit umb 9 uhren sondern morgens vmb 7 uhren geschehen thäte, antwortete er, daß er diese 7te stundt vor bequeme achtete undt stunde ihm alß pastor[e]n frey, hieruber ad arbitrium zu disponiren, wolte den großen Fontangies zu gefallen länger nit warten, wobey er pastor sich mit zimblicher vngeseumigkeith vor allen anwesenden herauß gelassen vndt gesprochen der probst zu S. Severin ist ein ketzer, welcher sich verwichener tagen alß ein ketzer in der kirchen zu Heimertzheim verhalten; alß ich ihm aber replicirt, daß wollgem[el]ter h[er]r probst ihme pastoren auß der noth zu prott geholffen, so ihm anfänglich nacher Immendorff vndt letzlich hiehin nacher Heymertzheim promoviren helffen, dahero solche vermeßene calumnien gegen seinen patronen vndt praelaten vnverantwörtlich wären, hatt er pastor abermahl vorm gantzem volck dabey beharret undt außgeschryen, es hatt sich der probst alß ein ketzer verhalten, wobey er abermall repetendo außgeruffen, die obrigkeit hette ihm wegen der donnerstags messen anderster nit alß wie ein pastor verordendt zu befehlen, hette auch a recessu visitationis ad Curiam Romanam appellirt, muste deßwegen mit der execution eingehalten werden; respondit er wurde e visitatione quoad effectum suspensio[n]um dejure keine appellation gestattet, welche antwort er aber verneinte. Ferners fragte ich, wie er des h[er]rn von Meinertzhagens kleine kirchen bank vom chor auff dem so genanten kalberstall eygenthätig hinwerff[e]n vnd deßen großen kirchen stuhl (so uber 100 vndt mehr jahr in der kirch gestandten, auch nach anlaß deß visitations-recess in daß von h[er]rn von Meynertzhagen new gebawteß capelgen concertato modo transportirt oder ein newer dahin gemacht werden solle) in viell stucken zerschunden vndt schimpfflich auff den kirchhoff werffen konnen? Respondit, solches wert in recessu visitationis also versehen, vor die in mandatis re[verendissi]mi vicarii generalis verwirckte 30 g[old]g[ulden] stelle er pastor den anwesendten schulteßen, scheffen, und noch einen anderen, schmitt genandt, zu burgen, so diese 30 g[old]g[ulden] in zeit acht tagen zu zahlen angelobten, so ich auch angenohmen. / /Freytags, den 25ten 9bris morgents fruhe bin mit h[er]rn von Meinertzhagen auff Bonn geritten, vndt uber obige violents, vndt verubte vnthatt gegen die Harter schutzen beym hoffrath quaerulirt, auch drey churf[ürstliche] g[nädig]ste befelicher sub 25t[e]n 9bris aufgebracht, krafft erstens wurde h[err] ambtsverwalter zur Hardt requirirt mit gnugtsamer mannschafft den recessum visitationis zu exequiren, zweytens wurden diejenige so gewaltige handt angeschlagen ad 2dam xbris zur hoff cantzeley, umb sich, da sie konten, zu verantworten, citirt. Drittens wurde advocatus fisci Tils seines ambtß errinnert, die schwäre that des pastoris zu bestraffen; nachmittagß bin von Bonn zu wasser auff Collen gefahren.

Dingstags den 29ten 9bris haben ihro hochwurden h[er]rn vicarius generalis per decretum h[er]rn ambtmann zur Hardt oder h[er]rn ambtßverwaltern requirirt in vim Clement[issi]mi rescripti de 25. 9bris, ut supra, mit gnugsamen schutzen die execution zu thun und die visitation zu exequiren.

Mittwochs, den 30. 9bris. bin abermall auff Heymertzheim gefahren, vmb morgiges angestellter execution beyzuwohnen, alwo auch h[er]rn ambtmann zur Hardt undt dessen ambtsverwalter h[er]r Brewer erschinen.

Donnerstagds, den 1. Xbris, morgentß vmb 6. Uhren, comparirten außm ambt Hardt etwa 50 schutzen, welche auff ordre daß pastorallhauß vmbringten, damit nichts außkommen mögte, warauff wollgem[elte] h[er]rn ambtmann vndt ambtßverwalter mit mir zur kirchen gefahren, undt weilen der offermann mit unwarheit referirt, alß wan h[er]r pastor den kirchen schlußell von ihm zu sich genohmen, ist selbigem zur straff auffgegeben, heuth mittagh sechß schutzen zu verpflegen. Die haußgenoßen h[er]r[n] pastoris leugneten beständig deßen gegenwart mit dem angeben, er pastor wäre morgents frühe auff Metternich gangen, welcher aber auff beschehene requisition oben auffm taubenhauß mit bey sich liegender axen gefundten worden. Undterdeßen wurde durch gewohnliche glocken die gemeindte so auch heutt fruhe unter straff 2. g[old]g[ulden] per nuntium citirt waren zusammen beruffen; in deren undt h[errn] pastoris gegenwarts publicirte h[er]r ambtsverwalter Brewer die churfurstl[ichen] befelche, daß nemblich 2. xbris die thäter ut supra ahn der hoff cantzeleyen zu Bonn vmb 9. vhren vmb sich zu verantworten erscheinen sollen; deren aber nach verlesener nahmen keiner ausser ein vndt anderer zum vorschein kamen, h[er]r pastor leugnete beständig ab, daß er den schutzen gewalt gethan, oder einige dazu angereitzet, unterstundte solches auff einige jungen zu hancken, mußte doch zu letz gestehen, die gewähr auß den händten gerissen vndt abgeschoßen zu haben, so durch jungen zur kirchen getragen worden seyn solle, warauff man sich allerseits in die kirchen begeben, allwo h[er]r pastor die denen schutzen abgetrungene drey schnaphahnen oben vom holtzeren gewolb herabbringen undt den schutzen witergeben laßen, es hat auch h[er]r pastor obg[emelten] auffm kirchhoff liegenden großen stühl des h[er]rn von Meinertzhagen durch einige schutzen (denen er pro labore ein quart brandenwein versprochen auch zu gleich mitgeholffen) ad locum consultum in die kirch zerstuckert bringen mußen mit versprechen selbigen solang bis in capella ein ander fertig zu dulden. Eben mässig hat h[er]r pastor zu handen h[er]r[n] ambtsverwalteren stipulirt undt versprochen, den visitations recess in omnibus clausulis et articulis juxta mentem et intentionem rev[erendissi]mi Domini vicarii generalis zu exequiren, die donnerstägige new fundirte sacramentall meeß hora 9na per vicarium loci cum expositione d. remonstrantiae sine vlteriori renitentia singen zu laßen, die hinterste thur des kirchhoffs sonn- undt feyrtagß zu eröffenen, den beichtstuhl etwa 1½ fuß zu rucken, damit die von h[er]rn von Meinertzhagen new gebawte capell jedoch mit offner thur gleichß der communionsbanck (dan die zum offer gehende Gemeindte, undt die auffm chor zu thun habende sänger vndt andere frey durch passiren mögen) concertato in visitatione modo abgesondert werde. Damit aber durch diese ruckungh des beichtstuhlß die versus januam stehende nieder banck ahn der zahl nit verringert wurde, hatt h[er]r pastor nobiscum vor gutt befundten; deren latitudinem in etwa zu beschrencken, damit also eine derohalben gewonnen undt weggeräumet werde, waruber sich dan niemandt zu beklagen. vndt obg[emelter] von h[er]rn von Meinertzhagen proprii sumptibus gebäwetes chörgen mit gedrechetem holtzwerck separirt werden möge; so ihme destoweniger zu mißgonnen, da er den großen vorm chormitten mitten in der kirchen stahendte stühll sampt noch einem kleineren auffm chor allezeit gewesenen seinen sessell pro majori commoditate populi unde scamno communicantium gaudentis et magnum spatium in medio ecclesia evincentis et ornamento totius ecclesia auff einmall abtrettete, auch die kirch mit ernewten chorgen suis expensis extendirt undt erweitert. Deme allen vorgangenen wurde h[er]r primissarius loci Johann Wunsch pro officio suo requirirt die gewohnliche sacramentall donnerstegige meeß zu singen so sich ob indispositionem excusirt. Ist also der schluß gemacht undt h[er]r pastoren auffgegeben die vnkost[e]n dieser execution zu bezahlen, denen anwesendten schutzen daß mittagßmall zu geben, das taggelt jeden 16 alb[us] zu reichen vndt sofort dem werck abzuhelffen, welcher vorgebend, er hette sein gelt wegen kriegßgefahr auff Collen gebracht, etwa 6 malter roggen zu bezahlung der schutzen absacken, und diese theilß in seinem hauß, theilß in der herbergen verflegen laßen.

Nachmittagß umb 1. vhren wurde denen schutzenfuhrer anbefohlen ihre untergebene leuth auffs hauß zu Heimertzheim abzufahren, denen dan h[er]r von Meinertzhagen zu beschlauniger abhelffung auß denen obigen 6 maldr roggen ihr taggelt handtreichen, und nachhauß remittiren laßen, außgenohmen einen schutzenfuhrer und acht schutzen so im pastorallhauß so lang zu bleiben commendirt wurden biß die vbrige auffgangene vnkosten bezahlt.

Freytags 2den xbris ist morgents fruhe h[er]r ambtmann deß ambtß Hardt auff Bonn geritten, vmb im hoffrath uber obiges relation zu thun, ich aber bin umb 7. vhren zur kirchen gangen, und da h[er]rn pastoren abwesend gefunddten, so der haußgenoßen aussag nach auff Collen gereiset, hernacher aber verstandten auff Bonn gangen zu seyn, habe des orthß schulteisen durch einen schutzen hinruffen laßen, undt selbigen erscheinendte repraesentirt, daß man obschon h[er]r pastor absent, willig wäre von den ubrig bleibendten acht schutzen zu ersparrung der unkosten 6. Abgehen, 2. aber biß zu abtragung der ubrigen expensen harren zu laßen, wan er als praetor loci de illos non offendendo caution leisten wolle, so praetor aber zu thun geweygert, auch h[er]rn pastoris schwester non offensionem illorum versprechen wollen, sondern halßstarrig mir ins gesicht gesagt, hatt ihr stäuffer wisset daß mir fettmenger haben diese sach außzufuhren, worauff ich alsobald zuruck auff Collen geritt[e]n.

Sambstag d[e]n 3. decembris erscheine[n] apud capitulum S[anc]ti Cuniberti deß frohnhalffen oder schulteisen sohn sambt noch anderen zweyen pfahrleuthen bey h[er]rn dec[h]ant in capitulo vorzubringend bittendt, daß ich vorigen donnerstaghs dem frohnhalffen in der kirchen sein sitz und stuhll verschmalert und also dem capitulo in suo colono praejudicirt, dem ich jedoch gebühr mäßig begegnet.

Abendts umb etwa 4. uhr[en] kame zu mir h[er]r notarius Gerard Wassellfahl mit zwey zeugen auff commission (uti ajebat h[er]r pastoris zu Heymertzheim) mich erfragend, wie hoch sich die taxa sumptium exendtarialium ertrugen, wolte selbige zu abfuhrung der schutzen zahlen, respondi taxam adesse in arce Heimertzheimiensi ad 80 r[eichsthaler] circiter, wan h[er]r pastor selbige gestern zahlt hette, wären die expensen vor die ubergebliebene acht schutz[e]n so hoch nit außgelauffen.

Unterdessen vernehme daß pastor apud nuntiaturam gesteren processus appellatorios erhalten; cum clausula tamen sine praejudicio visitationis. warauß er sich selbsten bescheyden kan, und wird das alle darauff gegangene vnkosten zu zahlen schuldig.