Moers in der Reformationszeit
von Thomas P. Becker
(Text eines Vortrags vor dem Grafschafter Museumsverein am 25.11.1998 in Moers)
Die Reformation gehört zu den bedeutendsten Ereignissen in der Geschichte Europas. Sie hat so sehr das Zusammenleben der Menschen verändert, daß man sogar bereit ist, eine neue Epoche mit ihr beginnen zu lassen. Auch im Rheinland hat sie ihre Spuren hinterlassen und die Menschen in eine neue Zeit geführt. Insbesondere die kleine Grafschaft Moers mit ihrer kleinen Hauptstadt gleichen Namens öffnete ihr weit die Tore. Konsequenter als in allen anderen rheinischen Territorien der frühen Neuzeit wurde hier der neue Glaube angenommen und durch die Fährnisse eines schwierigen Jahrhunderts hindurch bewahrt. Grund genug, danach zu fragen, wie es eigentlich dazu gekommen ist, daß die Grafschaft Moers evangelisch wurde.
Soviel wir erkennen können, blieb der Weckruf aus Wittenberg, der in den Städten und Dörfern Süddeutschlands, Sachsens und Thüringens auf vielfachen Widerhall traf, am Niederrhein zunächst ungehört. Die ersten Einflüsse eines neuen Glaubensverständnisses kamen allem Anschein nach auch nicht aus Mitteldeutschland, sondern fanden ihren Weg über Holland an Moerse und Rhein. Ein wichtiges Bindeglied zwischen diesem niederländischen Spiritualismus und dem rheinischen Frühprotestantismus waren die sogenannten "Wassenberger Prädikanten", die Ende der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts im jülichischen Amt Wassenberg in der Nähe von Heinsberg ihre volkstümliche Predigttätigkeit aufnahmen. Sie vertraten die Erwachsenentaufe, auch wenn sie in der kirchengeschichtlichen Literatur nicht im eigentlichen Sinn als "Wiedertäufer" bezeichnet werden.
In das Umfeld dieser niederländischen Prediger und Schwärmer gehörte auch der erste Moerser Prediger der neuen Richtung, von dem wir hören. Es handelt sich um Hermann Staprade aus den Niederlanden. Er war ein Schüler des Haarlemer Mönches Henricus Rollius gewesen. Später dann zog er an den Niederrhein und "war dann ein prediger zu Wassenberg an der Rur im land zu Gülich gewest", wie es in einer zeitgenössischen Quelle heißt. Staprade, der also auch einer der Wassenberger Prädikanten war, kam im Jahre 1528 nach Moers und fand hier mit seinen Predigten viele Anhänger. Als die jülichische Regierung um 1532 den Spielraum dieser Volksprediger stark einengte, gingen sie nach Münster und reihten sich in das entstehende "Täuferreich" ein. Wie viele andere ging auch Staprade 1533 nach Münster, um dort Pfarrer an St. Lamberti zu werden. Das ist eigentlich schon alles, was wir über diese ersten Anfänge eines neuen Religionsbewußtseins in Moers und Umgebung wissen. Die einzige sichere Nachricht ist, daß Hermann Staprade "das spill zu Mörs angericht" hat, womit wohl seine Predigttätigkeit gemeint ist. Nach einer Notiz in der "Warhafftige(n) historia" des Täuferreiches von Heinrich Dorpius aus dem Jahre 1536 ist er "jetzt kurtzlich bey Mastrich umb der Widertauff willen verbrent" worden.
Zweifellos können wir darin, daß Staprade sechs Jahre lang in Moers amtieren durfte, eine positive Haltung der Stadt gegenüber Neuerungen sehen. Gleiches gilt für das Verhältnis des Moerser Grafen Wilhelm von Neuenahr zu den neugläubigen Anschauungen. Von einer direkten Sympathie mit den Täufern, die sich in Münster zum bewaffneten Kampf gegen die niederrheinischen und westfälischen Fürsten rüsteten, kann aber keine Rede sein. Als nämlich 1534 der Kölner Dr. Gerhard Westerburg, nachdem er in Münster die Wiedertaufe empfangen hatte, mit seinem Freund Richard von Richrath nach Moers kam, um unter den Anhängern des Hermann Staprade für die Sache der Münsteraner Täufer zu werben, fand er keine freundliche Aufnahme. "Jch dorff uch nit lenger leiden" wurde ihm vom Drosten im Auftrag des Grafen beschieden. "Alß sein sie sonder douffen [ohne Wiedertaufen] von dannen gegangen" Graf Wilhelm nahm am Feldzug gegen das Münsteraner Täuferreich teil. Auch wenn der Graf gegen die Täufer in Münster sowie gegen die Schwärmer und Sektierer in seinen eigenen Territorien eine klare Stellung bezog, darf man daraus nicht schließen, daß er ein entschiedener Parteigänger der alten römischen Kirche gewesen wäre. Ohne seine proreformatorische Haltung wäre die Grafschaft Moers sicherlich nicht das einzige Territorium am Niederrhein gewesen, in dem es eine sogenannte "Fürstenreformation" gegeben hat.
Graf Wilhelm von Neuenahr trat seine Regierung nach dem kurzen Intermezzo der Saarwerdener Grafen im Jahre 1519 an. Das war zwei Jahre nachdem der Wittenberger Theologiedozent Dr. Martin Luther seine 95 Thesen gegen das Ablaßwesen und die Mißstände in der Kirche an viele wichtige und einflußreiche Männer in Deutschland verschickt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der Kölner Erzbischof Hermann von Wied erst seit vier Jahren im Amt. Über seine Frau Anna war Wilhelm mit dem Kurfürsten und Erzbischof verschwägert. Dies dürfte mit dazu geführt haben, daß der Herr von Moers, Neuenahr und Bedburg schon bald nach seinem Regierungsantritt zum Erbhofmeister des kurfürstlichen Hofes ernannt wurde. Durch diesen Titel legitimiert kam Wilhelm in die diplomatischen Dienste seines Schwagers. So hat er etwa 1526 am Zustandekommen des Ehevertrags zwischen Johann Friedrich von Sachsen und Sybilla von Jülich mitgewirkt. Als die Stände des Reiches 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg über die Religionsfragen verhandeln wollten, war Wilhelm als Berater Hermanns von Wied dabei. Er wurde sogar vom Kaiser beauftragt, zwischen den Religionsparteien zu vermitteln, was ihn wieder in Kontakt mit Johann Friedrich von Sachsen brachte. Diese Verhandlungen wurden auf kaiserlicher Seite durch den Generalkapitän Floris von Egmont geleitet. An diesen schrieb der Graf im Jahr 1528 über die entgegenkommende Haltung Kaiser Karls V. gegenüber dem Papst: "Wollen sie beide was Ehrliches und Gutes in unserer Christenheit tun und den römischen Saustall etwas fegen, so ist ihnen in diesem Stück Luther gut gewesen, er sei sonst, wie er wolle." Bald darauf war Wilhelm in diplomatischer Mission zur Anbahnung einer weiteren Heirat in England am Hof Heinrichs VIII., von wo er erst 1532 zurückkam. Sowohl in Sachsen als auch in England war der Graf in engsten Kontakt mit den Ideen religiöser Neuerung gekommen. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß sie bei ihm auf einen fruchtbaren Boden gefallen sind. Einen Anhaltspunkt dafür erhalten wir in Briefen, die der Graf an Johann Friedrich von Sachsen gerichtet hatte. Dort bezeichnete er sich und den Kurfürsten von Sachsen gemeinsam als diejenigen, die sich des göttlichen Wortes rühmen, und er schloß seinen Brief mit der Bitte, "nach Verlesung diesen lutherischen Brief dem Feuer zu befehlen." Freilich ergaben sich für ihn zunächst einmal keine praktischen Konsequenzen für seine Politik in Moers. Wilhelm stellte sich nicht offen auf die Seite der protestantischen Fürsten, aber er verhinderte auch nicht, daß in seinen Territorien neugläubige Prediger für ihre Sache warben. Das war ein offenes Geheimnis, wie wir etwa an einem Brief sehen können, den im selben Jahr 1532 der Scholaster von St. Ursula in Köln, der Humanist Dietrich Bitter, an den Schweizer Reformator Heinrich Bullinger schrieb, den er aus seinen Kölner Studientagen noch kannte. Dort heißt es, daß unter den Herren, die am Niederrhein das reine Evangelium in ihren Landen zuließen, auch der Graf von Moers sei. Für uns bedeutet das, daß wir mit dem Jahr 1532 ein erstes Datum für die Ausbreitung eines evangelischen Glaubenslebens in der Stadt Moers haben, das nicht wie die Predigt des Hermann Staprade in die Sackgasse des Münsteraner Täufertums mündete.
Graf Wilhelm machte nicht den Schritt, sich entschieden auf die Seite derjenigen Fürsten zu stellen, die auf dem Speyerer Reichstag von 1529 jene "Protestation" eingereicht hatten, von der sie seitdem ihren Namen hatten. Doch sein Kontakt zu diesen Fürsten und ihren Theologen wurde immer enger. Seit der Mitte der 30er Jahre wurde Wilhelms Haltung entschiedener. Im Frühjahr 1535, zwei Jahre nach seiner engen Anlehnung an den Kurfürsten von Sachsen, schickte Graf Wilhelm seinen Hofprediger Johannes Udenus nach Wittenberg. Der Kurfürst selbst bat Luther, den Moerser als Gast in sein Haus aufzunehmen. Zwei Jahre später, als Udenus wieder in Moers zurück war, übertrug ihm der Graf zwei Moerser Pfründen. Damit war Wittenberger Geist in der Stadt präsent. Udenus war aber nicht der erste Geistliche, der in Moers im Sinne Luthers und Melanchthons wirkte. Die Stadt Moers war durch die Haltung des Grafen und seines Sohnes ein Ort geworden, an den sich Verfechter des neuen Glaubens zurückzogen, wenn sie anderswo in Schwierigkeiten gerieten. So wandte sich der Niederländer Hendrik van Bommel, der 1536 aus Kleve ausgewiesen worden war, von dort aus nach Moers. Hier erhielt er eine Anstellung an der Schule und bekam die Erlaubnis zum Predigen. Dieser Henricus Bommelius (oder Heinrich Bommel) gilt als der eigentliche Reformator von Moers. Bommel war schon 1523 durch einen Traktat im Geiste der devotio moderna hervorgetreten. In Utrecht war er Rektor des Schwesternhauses zu Maria Magdalena gewesen, so daß er den "Utrechter Krieg" miterlebte. Die Geschichte dieses Krieges hat Bommel in seiner Moerser Zeit verfaßt. Eventuell hat er in dieser Zeit in Moers auch eine "Summe der deutschen Theologie" geschrieben, doch gibt es keinen sicheren Hinweis auf ihn als Autor dieser anonym erschienenen Schrift. Ja, es ist sogar so, daß der Moerser Kirchenhistoriker Rotscheid zu Anfang dieses Jahrhunderts beklagte, daß wir über die Moerser Tätigkeit dieses bedeutenden Geistlichen so gar nichts wissen: "Kein vergilbtes Blatt hat sich erhalten, das uns Licht ins Dunkel bringt". Wir wissen nur, daß Hendrik van Bommel 1542 nach sechsjähriger Tätigkeit Moers wieder verließ, um in Wesel ein Amt als Prediger zu übernehmen. Seine überzeugende Art vemochte es, die Weseler Franziskanerinnen zum Übertritt zum Protestantismus zu bewegen, was dazu führte, daß der Weseler Konvent nominell bis ins 18. Jahrhundert hinein bestehen blieb. Wie in Moers wurde Bommel auch in Wesel wieder als Lehrer tätig. Er war Konrektor in der Schule. Als nach Interim und Schmalkaldischem Krieg sich Mitte des 16. Jahrhunderts die Waagschale des Schicksals sich wieder in die Richtung der protestantischen Fürsten neigte, trat auch der Weseler Stadtrat wieder entschiedener für die Sache des Evangeliums ein und berief den Hendrik van Bommel nach dem Tod des Gysbert von Neukirchen als neuen Frühprediger. Mit dem sehr erfolgreichen evangelischen Gottesdienst, der seit dieser Zeit auch Einfluß auf die Gemeinden in der Umgebung Wesels hatte, geriet die Stadt in Konflikt mit der religionspolitischen Marschroute des Herzogs von Kleve. Im Frühjahr 1559 setzte der Herzog gegen den Weseler Stadtrat seinen Hofprediger Nikolaus Rollius als Stadtpfarrer durch, der an Ostern auf allerhöchsten herzoglichen Befehl das Altarsakrament in seiner Kirche St. Willibrord zwar unter beiderlei Gestalt, aber dennoch im katholischen Meßgewand austeilte, während die Niederländer Heinrich Bommel und Hermann Stein in der anderen Stadtkirche Mathena am evangelischen Gottesdienst festhielten. Sowohl der Herzog als auch der Stadtrat drängten nun auf Vereinheitlichung des Gottesdienstes. Bommel und Stein verloren das Tauziehen und wurden entlassen. Bommel kehrte daraufhin in seine frühere Wirkungsstätte, die Grafschaft Moers, zurück. Er wurde freudig begrüßt, aber er wirkte dennoch nicht wieder in der Stadt Moers sondern wurde Pastor in Friemersheim. 1570 ist er in Duisburg gestorben.
Kehren wir zur Reformationsgeschichte der Stadt Moers zurück. Bommel hatte sie 1542 verlassen, aber das heißt nicht, daß der evangelische Glaube dort nicht weitergepflegt worden wäre. Nachricht davon haben wir allerdings wieder nicht aus Moers, sondern aus dem nahen Krefeld, das erst seit eben diesem Jahr dem Grafen Wilhelm als klevisches Lehen übertragen worden war. Aus den dortigen religiösen Auseinandersetzungen können wir sehen, daß Moers nicht alleine war in seinem Interesse an der neuen Lehre. Das Kollationsrecht an der Stadtkirche von Krefeld hatte das Prämonstratenserinnenkloster Meer inne. Das bedeutet, daß die Nonnen von Meer das Recht hatten, für die Neubesetzung der Pfarrstelle einen geeigneten Kandidaten zu präsentieren. Außerdem mußten Sie das Kirchenschiff in gutem baulichen Zustand halten. Dafür standen ihnen zahlreiche Abgaben zu. Die Regelung, dem Kollator den Unterhalt für das Kirchenschiff aufzubürden, während der Pfarrer den Chor und die Gemeinde den Turm zu unterhalten hatten, war im Rheinland so üblich, daß es sogar ein Sprichwort dazu gab: "het choir dem pastoir, het schiff dem Stift, den Toer dem Boer". Trotzdem hatte schon im Jahre 1532 die Gemeinde von Krefeld gegen diese althergebrachte Regelung protestiert. Doch für's Erste hatte sich die altgläubige Partei in Krefeld durchgesetzt. Als aber 1542 die Stadt an die Grafschaft Moers fiel, brachen unter der Bürgerschaft gleich wieder die protestantischen Bestrebungen hervor, die wir schon zehn Jahre vorher bei der Forderung nach freier Pfarrerswahl feststellen konnten. Der amtierende Pastor Johannes Schue aus dem kurkölnischen Neuss begab sich daraufhin am 2. Oktober 1543 nach Moers, "in der Absicht, ... den edlen und wohlgeborenen Herrn Graf Wilhelm von Moers und Neuenahr etc., unseren gnädigen lieben Herren, aufzusuchen, um seine Gnaden um Gottes willen zu bitten, daß wir doch in der Kirche von Krefeld bei unseren Zeremonien, Sakramenten, Bräuchen und Kirchenrechten, wie sie von alters her bis jetzt gehalten werden, bleiben möchten". Da er den Grafen nicht antraf, wurde er vom Junggrafen Hermann und dem Drosten von Krakau empfangen. "Da hat mir mein gnädiger Herr, Graf Hermann, im Namen seines Vaters vorgehalten, ich solle mich in der Kirche zu Krefeld in allen Zeremonien und im Umgang mit den Sakramenten an die Art und Weise halten, wie man sie im Lande Moers praktiziere. ... Und hat mich verwiesen, ich predigte nicht die rechte Schrift und das lautere Wort Gottes. Ich antwortete, daß ich hoffte, daß es sich nicht so verhalte und daß ich mich deshalb erboten hätte zu kommen. Da sprach der Junker, mein Drost, mit zorniger Gebärde: Das erste ist gelogen, du hälst noch Begängnisse und Jahreszeiten, ist das nicht wider Gottes Wort?"
Aus diesen Worten und aus den Weseler Nachrichten über Heinrich Bommel können wir uns ein gewisses Bild vom Gottesdienst in Moers um 1540 machen. Setzen wir voraus, daß die Abneigung Bommels gegen den Chorrock nicht erst in seiner Weseler Amtszeit gewachsen ist, dann dürften die Geistlichen während des Gottesdienstes auch in Moers die liturgischen Gewänder der römischen Kirche durch den schwarzen Predigerrock ersetzt haben. Dieser Gottesdienst war zweifellos dominiert durch die Predigt und das Evangelium, wie es der Krakauer Drost Bertrand von der Lipp gefordert hatte. Die liturgischen Formen der alten Kirche, besonders die Begräbnisriten (Begängnisse) und die Jahrgedächtnisse (Jahreszeiten), waren verschwunden, gleichermaßen vermutlich Stundengebete und Prozessionen. Der Hinweis auf "die rechte Schrift und das lautere Wort Gottes" klingen sehr nach einer lutherischen Ausrichtung der Moerser Geistlichen. Dazu paßt ja, daß der Hofprediger Johannes Udenus in Wittenberg Luther selbst erlebt hatte. Die Krefelder Maßnahmen lassen darauf schließen, daß der Graf bestrebt war, den Gottesdienst in seinen Ländern entsprechend dieser lutherisch geprägten Reformation zu vereinheitlichen. Ein wichtiges Instrument dafür war die regelmäßige Zusammenkunft der Geistlichen. Aus der eben zitierten "Vertzellung" des Krefelder Pfarrers Schue erfahren wir auch, daß an den vier Quatembertagen (das sind die Fasttage zu Beginn der vier Jahreszeiten) die Pfarrer im Moerser Karmeliterkloster zu einem Konvent zusammenkamen. Die Karmeliten waren zwar im Bestand ihres Klosters nicht behelligt worden, aber die Benutzung ihrer Kirche für die Zwecke der evangelischen Prediger hatten sie doch nicht verhindern können. Die Moerser Karmeliten waren sich schon seit 1540 nicht mehr ganz einig gewesen, welchen Weg sie in Fragen der Religion beschreiten sollten. Sie wurden von ihrem Ordensprovinzial, dem Kölner Eberhard Billick, mit drängenden Worten ermahnt, alles in der von den Vorfahren überkommenen Form und Tradition zu belassen und alles, was Gott und der Tradition geweiht ist, nicht anders zu behandeln als es in der Ordensgemeinschaft gehalten zu werden pflegte. Diese Uneinigkeit dürfte ein guter Hebel für den Grafen Wilhelm von Neuenahr gewesen sein, denn er griff 1542 massiv in die klösterliche Selbstbestimmung ein. Nach den Schilderungen, die den Ordensprovinzial erreichten, hatte der Graf die Feier der heiligen Messe und der Abendandachten an den Werktagen verboten. Am Sonntag durften die Mönche den Gottesdienst abhalten, sofern sie dies bei geschlossenen Türen taten. Den Neugläubigen war dagegen die Kirche für ihre Gottesdienste geöffnet worden. Der Graf ging sogar noch weiter und befahl den Karmeliten, dem evangelischen Gottesdiensten beizuwohnen und sieben lutherische Pfründner in ihre Klostergemeinschaft aufzunehmen. Die Güter des Klosters wurden eingezogen, um aus ihnen den Unterhalt für Schulmeister und Prediger zu bestreiten. Den an das Moerser Schloß angrenzenden Teil des Klosters, so heißt es in dem Bericht weiter, habe er in einen Pferdestall umwandeln lassen, was zur Folge hatte, daß die Klausur praktisch aufgehoben war, denn vom Schloß aus hatte man nun freien Zugang zum Kloster. Alle diese Maßnahmen weisen in dieselbe Richtung wie diejenigen, die wir in Krefeld schon kennengelernt haben: Der katholische Ritus wird weitgehend unterdrückt, die Güter der Kirche werden in andere Kanäle umgelenkt, die Kleriker selber aber werden nicht aus ihren Ämtern vertrieben. Man stellte ihnen lutherische Aufpasser an die Seite, die dem geistlichen Einfluß der romtreuen Kleriker durch ihre eigenen Predigten entgegenwirken sollten, aber man nahm ihnen nicht die Existenz und ihrer Anhängerschaft nicht die Gelegenheit zum Besuch der Messe.
Wie kam es zu so entschiedenen Maßnahmen eines Grafen, der noch 1528 in seinen Briefen an den Kurfürsten von Sachsen so ängstlich darum bemüht war, seine Sympathien für das Luthertum nicht so offen zur Schau zu stellen? Das ist nicht zu verstehen ohne die Entwicklung im ganzen Erzbistum Köln, an dessen Spitze Hermann von Wied stand, der Schwager Wilhelms von Neuenahr, mit dem zusammen er auf dem Augsburger Reichstag von 1530 gewesen war und in dessen Diensten er oft diplomatische Missionen erledigt hatte. Dieser Hermann von Wied hatte sich in den ersten Jahren seiner Regierung nur äußerst wenig um Fragen der Religion gekümmert. Das änderte sich in den 30er Jahren. Wie andere niederrheinische Fürsten auch hat er sich an der Niederwerfung des Täuferreiches zu Münster beteiligt. Wenig später finden wir ihn aktiv um die Reform und Neugestaltung des geistlichen Lebens in seiner Diözese bemüht. Hermanns wichtigster Helfer war der Jurist und Theologe Dr. Johannes Gropper aus Soest. Zusammen mit Gropper richtete Hermann von Wied 1536 ein Provinzialkonzil seiner Kölner Kirchenprovinz aus, in der nach Wegen zu einer tiefgreifenden Reform der Kirche gesucht wurde, die dennoch die drohende Kirchenspaltung verhindern konnten. Trotz des hoffnungsvollen Ansatzes, der 1538 in der Publizierung des "Enchiridion Christianae Institutionis" aus der Feder Johann Groppers seine Fortführung fand, brach Hermann von Wied seine Bemühungen ab, als er annahm, daß die Einigung der zerstrittenen deutschen Christen auf einem Reichstag erreicht werden könnte. Dies sollte auf einem Religionsgespräch 1540 im elsässischen Hagenau passieren. Hermann war jedoch von den offiziellen Verhandlungen enttäuscht und machte auf eigene Faust einen Vorstoß zur Versöhnung der Standpunkte, indem er den evangelischen Wortführer Martin Bucer, den Reformator Straßburgs, zu einem Gespräch mit Johann Gropper in sein Privatquartier einlud. Anhand von Groppers "Enchiridion" diskutierten die beiden Theologen dogmatische Probleme und fanden Gefallen aneinander, da sie beide von dem Wunsch nach Überwindung der Spaltung beseelt und daher kompromißbereit waren. Gropper und Bucer hatten sich schon so sehr als Verständigungstheologen profiliert, daß der kaiserliche Kanzler Granvella sie bat, für den zu erwartenden Regensburger Reichstag ein Vergleichspapier zu erarbeiten. Die auf der Grundlage dieses "Wormser Buches" geführten Verhandlungen scheiterten schließlich nach anfänglichen Erfolgen an der Unmöglichkeit, sich in der Frage des kirchlichen Lehramtes und der authentischen Auslegung der Heiligen Schrift einigen zu können. So war der Versuch, auf höchster Ebene durch Religionsgespräche zu einer kirchlichen Einigung zu gelangen, letztlich gescheitert. Hermann von Wied zog aus dieser Erfahrung seine Konsequenzen: Er hatte gesehen, daß die erhoffte Hilfe weder von einem allgemeinen Konzil noch von einer allgemeinen Reichsversammlung kommen konnte, aber er hatte auch erlebt, daß sich zwei profilierte Theologen der beiden widerstreitenden Richtungen in allen wesentlichen Fragen hatten einigen können. Diese Erfahrungen brachten ihn auf sein ursprüngliches Vorhaben zurück, die dringend erforderliche Reform der Kirche in seiner eigenen Diözese zu beginnen. Um aber von vorne herein die Spaltung zu überwinden und nicht noch zu vertiefen, berief er als Berater für dieses Vorhaben nicht einen Parteigänger der römischen Kirche, sondern er lud Martin Bucer zu sich nach Bonn ein, um ihn wieder gemeinsam mit Gropper nach Lösungen für religiöse Fragen suchen zu lassen. Hier jedoch verweigerte sich Johann Gropper, der den Freund eindringlich warnte, in Bonn in evangelischen Sinne zu predigen. Als Bucer es am 17. Dezember 1542 dennoch tat, war der Bruch vollzogen. Die Reform der Kölner Kirche, die von Hermann als Versöhnungswerk geplant war, wurde so eine rein evangelische Angelegenheit, die in den Augen der romtreuen Katholiken zu einem Ärgernis wurde, das sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpften. Im rheinischen Adel und in den Städten, die auf dem kurkölnischen Landtag die Angelegenheit debattierten, fand jedoch nicht die Partei Groppers und des Kölner Klerus die Mehrheit, sondern die Reformer um Hermann von Wied. So konnte der Erzbischof unangefochten Philipp Melanchthon nach Bonn holen, der zusammen mit Bucer ein "Einfältiges Bedencken" zur Reformation von Lehre, Gottesdienst und Seelsorge verfaßte. Es wurde nicht zum kurkölnischen Landesgesetz erhoben, und es gab in Kurköln auch keine Zwangsreformation, aber im ganzen Erzbistum legte der Erzbischof seine Bekenntnisschrift allen wärmstens ans Herz. Die Reaktionen waren zwar nicht enthusiastisch, zumal die einflußreiche Metropole Köln trotz der proreformatorischen Stimmung unter den einfachen Leuten offiziell unverrückbar bei ihrer romtreuen Haltung blieb. Aber einige Städte wie Linz, Bonn, Andernach oder Kempen gingen offen zur Reformation über, und auch der Herzog von Jülich-Kleve-Berg signalisierte sein Interesse, wenn er auch mit Rücksicht auf den gerade ausbrechenden Konflikt mit dem Kaiser nicht offen für Hermann eintreten konnte. In dieser Gesamtsituation, die noch flankiert wurde durch die Reformation in den südlichen Rheinstaaten wie Pfalz-Zweibrücken, Kurpfalz oder den mittelrheinischen Reichsgrafschaften, konnte sich Graf Wilhelm von Neuenahr viel freier zum Evangelium und zu seiner Anlehnung an Wittenberg bekennen.
Anders als in den Territorien des Erzbischofs oder des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg führte der Moerser Graf aber die Reformation in seinem Gebiet überall und mit sanftem Druck ein, wie wir schon am Beispiel Krefeld gesehen haben. Natürlich war das in seinem vergleichsweise winzigen Territorium auch viel leichter möglich als im verstreut liegenden Kurköln oder im weitläufigen Kleve. Wir können jedoch getrost davon ausgehen, daß der Erfolg der flächendeckenden Reformation in Moers nicht nur eine Frage ordnungspolizeilicher Maßnahmen seitens der gräflichen Regierung war, sondern daß dem Wunsch des Grafen nach Reformation eine ebenso starke Bereitschaft der Moerser Bevölkerung zur Übernahme der neuen Gottesdienstformen begegnete. Nirgendwo in den Territorien am Niederrhein war im 16. Jahrhundert die fürstliche Zentralmacht so stark ausgebildet, daß sie in der Lage gewesen wäre, eine deutliche Opposition des Volkes gegen die Glaubensneuerungen im Keim zu ersticken. Da wir aber nicht die geringste Nachricht darüber haben, daß es nach Einführung der Reformation in der Stadt Moers oder anderswo in der Grafschaft zu massiven Protesten gekommen wäre, dürfen wir dieses "argumentum ex silentio" so werten, daß die Reformation in Stadt und Land Moers auf breite Zustimmung gestoßen ist. Daß der Reformationsversuch Hermanns von Wied gescheitert ist, lag nicht an der Gegnerschaft der sehr aktiven Gruppe um Johann Gropper und einige andere Mitglieder des Kölner Domkapitels. Zwar hat sich diese Gruppe 1544 hilfesuchend an den Kaiser gewandt, der ohnehin schon dem greisen Kurfürsten Hermann seine militärische Macht drohend demonstriert hatte, als er gegen den Herzog von Jülich-Kleve-Berg in den geldrischen Erbfolgekrieg zog, aber angesichts der Zustimmung der kölnischen Landstände und der zwar abwartenden, aber dennoch wohlwollenden Haltung des überwiegenden Teils der rheinischen Bevölkerung wäre die Reformation Hermanns von Wied aus eigenen rheinischen Kräften auf die Dauer nicht aufzuhalten gewesen. Das Scheitern des Kölner Reformationsversuches wurde daher auch nicht am Rhein besiegelt, sondern in Sachsen auf dem Schlachtfeld von Mühlberg, wo Kaiser Karl V. die opponierenden evangelischen Fürsten, die sich im "Schmalkaldischen Bund" gegen ihn zusammengeschlossen hatten, vernichtend schlug und anschließend auf dem "geharnischten Reichstag" von 1548 Deutschland seine religionspolitischen Vorstellungen diktierte. Hermann von Wied war nicht Mitglied dieses Bundes gewesen und hatte sich nicht an diesem Krieg beteiligt. Sein Schicksal vollzog sich jedoch zusammen mit dem der protestantischen Fürsten, denn noch bevor der Kaiser mit den Schmalkaldenern abgerechnet hatte, erschienen seine Gesandten im Januar 1547 auf dem Landtag zu Köln und verlangten ultimativ die Absetzung des mittlerweile vom Papst gebannten Erzbischofs. Am 30. Juni 1548 trat das sogenannte "Interim" in Kraft, das vom triumphierenden Kaiser auf dem Reichstag zu Augsburg nach der siegreichen Schlacht von Mühlberg den deutschen Fürsten vorgelegt worden war. Das war eine verbindliche Bekenntnisformel, die in der Mitte zwischen beiden Positionen zu bleiben versuchte und bis zur Entscheidung eines allgemeinen Kirchenkonzils für alle deutschen Stände Gültigkeit haben sollte. Sie ließ zwar die Kommunion unter beiderlei Gestalt zu und akzeptierte die Ehen der schon verheirateten Priester, stellte aber ansonsten die angestammten katholischen Riten wieder her und blieb bei den Lehrbegriffen über Kirche, Tradition, Sakrament und Messe im Bereich der altgläubigen Positionen. Diese kaiserliche Religionspolitik stieß vielfach bei alt- wie neugläubigen Ständen auf Kritik und Widerstand. Die Durchsetzbarkeit des Interims war eine Frage der Machtverhältnisse. Und die waren so, daß nach dem Desaster des geldrischen Erbfolgekrieges die Territorien am Niederrhein nicht in der Lage waren, sich dem kaiserlichen Willen zu widersetzen. Genauso wie Kurpfalz, Kurköln und die vereinigten niederrheinischen Herzogtümer von Jülich, Kleve und Berg nahm die Grafschaft Moers das Interim an. Das war zunächst einmal ein herber Rückschlag. Wie es scheint, ist die katholische Seite sogar schon vor dem Inkrafttreten des Interims tätig geworden. Denn schon am 13 August 1547 wurde der Offizial (d.h. der kirchliche Richter) des Erzbischofs von Köln aktiv und beauftragte "den Pfarrer ... sowie alle anderen kirchlichen Amtspersonen auf Anstehen des Friedrich Conen de Segenwerp, Komturs des Deutschordenshauses in Rheinberg den Johann Futelers und andere, die die Güter des Ordens in der Pfarrei Uerdingen, Rheinberg (Bercken), Repelen (Repler), Moers (Morsa) und an anderen Orten geraubt haben, aufzufordern, bei Strafe der Exkommunikation und 500 rhein. Goldgulden von ihren Belästigungen abzulassen, ferner diese zum nächsten Termin vor das Offizialatsgericht vorzuladen"
Nachdem das Interim im Sommer 1548 Gesetzeskraft erlangt hatte, gingen die Bemühungen um die Wiederherstellung der Rechte und Güter der alten Kirche natürlich weiter. In mindestens fünf Fällen kam es 1549 zur Einführung neuer katholischer Pfarrer. Am härtesten war der Einschnitt im Moerser Karmeliterkloster zu spüren. Hier hatte die Gemeinschaft, die sich wohl dem Druck des Grafen gebeugt hatte, seit mehreren Jahren nicht mehr die Autorität des Provinzials anerkannt. Es wäre nicht weiter verwunderlich, wenn die romtreuen Mitglieder den Konvent in der Zeit seit 1542 verlassen hätten. Der Procurator des Klosters war jedenfalls zum Luthertum übergetreten, und ihn traf die Rache des Provinzials Billick mit aller Härte: "Ich habe ihn nach Köln schaffen und in den Kerker werfen lassen" schrieb dieser an den Ordensgeneral am 13. Juli 1549. Zwei weitere Konventualen von 80 und 48 Jahren seien ebenfalls der Häresie verdächtig, doch sie durften am Ort bleiben. Aus dem Kloster in Geldern hatte Billick den Johannes von Krefeld als neuen Prior nach Moers berufen, außerdem befahl er, drei oder vier Novizen anzunehmen. Die Rechte und Güter des Klosters hatte der Provinzial vom Grafen wieder eingefordert und natürlich entsprechend den Bestimmungen des Interims den katholischen Gottesdienst wieder eingeführt. Gegen diese Maßnahmen war der Graf machtlos, denn sie fielen eindeutig unter die Jurisdiktion des Ordens. Natürlich war auch die Jurisdiktion des Bischofs von Münster als kirchlicher Oberhirte über das Archidiakonat Xanten durch das Interim offiziell wiederhergestellt. Es sieht aber sehr danach aus, als ob hier bei weitem nicht die gleiche Strenge vorgeherrscht hat wie im Falle des Klosters. Von den fünf 1549 eingeführten katholischen Geistlichen haben drei in den Jahren 1550 bis 1553 wieder auf ihre Stelle verzichtet, in Hochemmerich sogar eindeutig zugunsten eines evangelischen Kaplans. Im Jahr 1552 nahm Propst Heinrich von der Reck alle Urkunden der Moerser Bonifatiuskirche in seine Heimat mit. Damit haben wir einen weiteren Fall, in dem ein romtreuer Geistlicher verdrängt wurde. Insgesamt, so können wir schließen, war die Unterbrechung der Reformation in Moers durch das Interim nur ein Intermezzo von wenigen Jahren, das für den weiteren Verlauf der Religionsentwicklung keine Konsequenzen hatte. Daß es so kam, lag ähnlich wie beim Scheitern des Kölner Reformationsversuches unter Hermann von Wied weniger an den Kräften innerhalb der Region als an der gesamtpolitischen Entwicklung im Reich. Hatten sich 1547 die Waagschalen des Schicksals zugunsten des Kaisers geneigt, so kehrte sich schon Anfang der 50er Jahre die Entwicklung wieder um. Die deutschen Fürsten, in Sorge um ihre "Libertät", wandten sich erneut gegen den Kaiser, diesmal mit dem jungen Moritz von Sachsen, dem Sieger von Mühlberg, an der Spitze. Die "Fürstenrevolution" führte zur Flucht des Kaisers, zu erneuten Religionsverhandlungen und dann 1555 zum Augsburger Religionsfrieden, der den deutschen Fürsten und Ständen des Reiches das "jus reformandi" verschaffte, jenes in ganz Europa nicht noch einmal anzutreffende Recht eines einzelnen Reichsstandes, für sein Territorium unabhängig vom Ganzen des Reiches die Konfession zu bestimmen. Das war die Stunde des Grafen Hermann, der 1552 die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte. Vergessen war das Interim, vorbei die Beschränkungen und die Vorbehalte gegen eine eindeutige Parteinahme zugunsten der Evangelischen! Spätestens seit 1560 können wir nachweisen, daß Graf Hermann von Neuenahr sich ausdrücklich zur Augsburgischen Konfession bekannte und auch alle seine Länder nach dem Motto "cuius regio, eius religio" in diesem Sinne zu reformieren trachtete. Damit war die Trennung von der katholischen Kirche und die Hinwendung zu einer eigenen Konfession auch offiziell vollzogen.
Die Grundlage dieser Moerser Reformation war das Luthertum, und wir wissen, daß er Prediger zur Ausbildung nach Wittenberg schickte. Aber es gab weder eine Vertreibung der Katholiken noch eine völlig Unterdrückung ihres Gottesdienstes. Das Karmeliterkloster in Moers blieb zunächst weiterhin bestehen, wenn auch wieder mit den Beschränkungen der 40er Jahre, und der Graf hat nach den Worten seines Biographen Faulenbach in den ersten Jahren seiner Regierung "eine freundliche, ja förderliche Haltung gegenüber dem Kloster eingenommen". Das änderte sich jedoch, als die Reformation in seinen Ländern immer größere Fortschritte machte. Nun wurden die frommen Mönche immer mehr zum Ärgernis, und der Graf schreckte nun nicht mehr vor Repressalien zurück. Am 2. April 1567 ließ er den Prior Peter Voghel, der als Nachfolger von Johannes von Krefeld aus Geldern nach Moers gekommen war, verhaften und einkerkern. Erst durch die Intervention der Herzogin von Geldern und durch ein Mandat des Reichskammergerichts konnte Pater Petrus wieder freikommen und in seinen Heimatkonvent in Geldern zurückkehren. Zwei Wochen nach seiner Freilassung mußten auch die Patres Carolus und Gerardus und zwei Novizen die Stadt und die Grafschaft Moers verlassen. 1573 löste Graf Hermann unter Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden das Kloster endgültig auf und verwendete seine Einkünfte für die Gründung einer Schule. Zur Unterstützung des Grafen kamen nach dem Religionsfrieden weitere evangelische Prediger nach Moers, die, wie einst Heinrich Bommel, aus anderen Städten vertrieben worden waren. So schrieb der ehemalige Kamener Pfarrer Hermann Hamelmann dem Grafen in der Widmung zu seiner 1557 erschienenen Schrift über die Kirche: "als ich vor drei Jahren Eurem Amtmann in Krakau durch eine Brief des Bommelius empfohlen war, kam ich in die Stadt Moers und wurde von Eurem Richter, dem Bürgermeister und den Predigern aufgenommen, gut behandelt und beschenkt. Aus ihren Wohltaten habe ich Eure Hoheit erkannt. Eure Freigebigkeit, edelster Graf, preisen viele. Ich weiß, daß Ihr die reine Lehre des göttlichen Wortes angenommen habt und die Jünger desselben pflegt."
Der wichtigste dieser Neuankömmlinge war ein alter Bekannter, nämlich der Theologe Hendrik van Bommel selbst, der ja nach seiner Entlassung aus Wesel nach Friemersdorf in der Grafschaft Moers gekommen war und so nahe beim Grafen weilte. Daß er in der Grafschaft großen Einfluß hatte, zeigt die Eintragung des Martin Hof aus Moers, der sich am 28. November 1565 in das Wittenberger Ordiniertenbuch eingetragen hat. Er schreibt, daß er nach einem vierjährigen Studium in Wittenberg nun durch Briefe des Grafen Hermann und des Heinrich Bommelius, des Kircheninspektors (ecclesiarum inspectoris) in die Heimat zur Lehre des Evangeliums zurückgerufen worden sei. Um zu einem halbwegs stabilen Kirchentum zu kommen, bedurfte es aber noch einer klaren Grundlage durch eine Kirchenordnung. Eine solche Kirchenordnung hat auch Moers bekommen. Nach der "Geschichte der Grafen und Herren von Moers" von Hermann Altgeld aus dem Jahre 1845 wurde diese Kirchenordnung im Jahre 1560 erlassen. Eine gewisse Bestätigung ergibt sich aus einem Schreiben des Grafen an das Kloster Meer, in dem es um den alten Krefelder Pfarrer Schue ging, dessen "Vertzellung" aus dem Jahr 1542 wir ja oben schon kennengelernt hatten. Der Brief lautet: "Würdige, Liebe, Besondere! Nachdem wir hiebevor den ehrenfesten, Unseren lieben Getreuen, Wihelm von der Lippe, genannt Hoen, mit Credenz und Instruction zu euch abgefertigt, unter anderen des Inhalts, daß Wir bedacht, in Unsern Landen und Gebieten in Religionssachen einerlei Meinung predigen und halten zu lassen, und dieweil der Pastor zu Kreifeld Alters halber unvermögend wäre, Unsere Gesinnungen anzunehmen, daß ihr als Collatricen eine bequeme und geschickte Person, die dem armen Volke mit Predigen und Administration der Sakramente wohl vorstehen könnte, und sich Unserer Kirchenordnung in dem Fall allenthalben gemäß hielte, bestellen wollt."
Nach einer alten Moerser Tradition gilt Heinrich Bommel als Verfasser dieser ersten Moerser Kirchenordnung. Von seiner herausragenden Stellung innerhalb der Moerser Kirche, die uns in der Widmung des Pfarrers Martin Hof im Wittenberger Ordiniertenbuch schon aufgefallen ist, wäre das auch durchaus denkbar. Wenn das richtig wäre, dürften wir von einer lutherisch geprägten Kirchenordnung ausgehen. Bommel soll sich zwar nach einer Behauptung von Leopold Henrichs immer mehr dem Calvinismus zugeneigt haben, doch haben wir dafür keinen quellenmäßigen Nachweis. Lange ist nach dem Text dieser ersten Moerser Kirchenordnung gesucht worden. Der katholische Pfarrer Leopold Henrichs aus Dornick bei Emmerich hatte in seiner "Geschichte der Grafschaft Moers bis zum Jahre 1625" im Jahre 1914 eine Kirchenordnung abgedruckt, die er im Hausarchiv der Familie Pelden-Cloudt in Hamburg aufgefunden hatte. In diesem Text aus dem Jahr 1603, der sich auf eine ältere Kirchenordnung bezog, sah Henrichs die lange gesuchte Kirchenordnung von 1560, wenn auch in einer späteren Bearbeitung. Seine Entdeckung wurde immer wieder angezweifelt. Heute steht fest, daß der von Henrichs aufgefundene Text nicht die Kirchenordnung Hermanns von Neuenahr aus dem Jahr 1560 gewesen ist. Ja, es stellt sich sogar die Frage, ob Graf Hermann 1560 überhaupt ein ausformuliertes Kirchenreglement hat aufstellen lassen. Möglicherweise hat er auch in seinem Brief an die Nonnen des Klosters Meer eher die Summe seiner bisherigen Anordnungen in Kirchenfragen gemeint als eine vervielfältigte Ordnung. Zudem muß man davon ausgehen, daß eine Kirchenordnung im Jahre 1560, in der die religiöse Position des Grafen festgeschrieben worden wäre, wohl eine lutherische hätte sein müssen. Gegen eine solche Ordnung auf der Grundlage des Luthertums spricht jedoch, daß noch vor dem Tod des Grafen Hermann reformierte Prediger aus der niederländischen Flüchtlingsgemeinde in Frankenthal nach Moers gerufen worden sind, vor allem der Schulmeister und Prediger Johannes Seu, aber auch Johannes Faber und Hubert Sturmius. Sie hätten dies wohl nicht tun können, wenn sie sich auf eine lutherische Kirchenordnung hätten verpflichten müssen. Auch wenn sich von des oft genannten Reglements von 1560 keine Spur mehr findet, hat sich dennoch eine Kirchenordnung in seinem wesentlichen Textgehalt durch die Jahrhunderte hindurch erhalten, aber es ist nicht diejenige von Graf Hermann.
Damit kommen wir zum letzten Abschnitt der Moerser Reformationsgeschichte, der Zeit unter Graf Adolf von Neuenahr. In Werner Teschenmachers "Annales Ecclesiastici" lesen wir: "Als aber Graff Herman anno 1578 gestorben und ihm sein Vetter und Schwager. Adolff, Graff zu Neuenahr, Mörß und Limburg in der Regierung gefolget, hat solcher auch in der Warheit das H. Evangelium geeyfert und dessen Lauf in Kirchen und Schulen treulich befordert." Der klevische Hofprediger Teschenmacher dürfte diesen Eifer für das Heilige Evangelium nicht nur als allgemeines Kompliment verstanden haben sondern als eine grundlegende Richtungsentscheidung des neuen Moerser Regenten. Denn im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern folgte Adolf von Neuenahr nicht der Lehre Luthers und Melanchthons, sondern er bewegte sich auf dem Boden des Bekenntnisses der Reformierten, die sich in der Gefolgschaft des Johannes Calvin mit dem Heidelberger Katechismus ebenfalls die Grundlage für ein eigenes Kirchentum gegeben hatten. Diese Hinwendung zum Calvinismus, die in der Forschung bisweilen auch als "zweite Reformation" bezeichnet wird, ist für das Rheinland eine typische Erscheinung. Hier, wo nach dem Scheitern des Kölner Reformationsversuches die Gegenreformation allenthalben die evangelische Bewegung weit zurückgeworfen hatte, war der Protestantismus erst in den 60er Jahren durch niederländische Einflüsse wieder erstarkt, was eine Hinwendung zum Calvinismus mit sich brachte. Gegenden wie die Grafschaft Moers, wo das Interim nur ein kurzes Intermezzo dargestellt hatte, waren die Ausnahme. Gerade weil die Religionspolitik in Moers anders war als anderswo am Niederrhein, hatte sich hier lutherischer Glaube eher erhalten können. Graf Adolf war jedoch stärker als sein verstorbener Vetter mit den Niederlanden verbunden, wo der Calvinismus die herrschende Auffassung geworden war. Seit Beginn des Freiheitskampfes der Niederländer gegen die spanische Krone waren immer mehr Exulanten an den Niederrhein geströmt und hatten hier mehr oder weniger heimlich reformierte Flüchtlingsgemeinden gegründet. Auch das trug dazu bei, daß sich der Calvinismus hier immer mehr als neue Leitkonfession für die evangelische Bewegung anbot. Weil ihm die vorgefundenen Religionsverhältnisse in Moers nicht eindeutig genug waren, wandte sich der neue Graf 1581 mit der Bitte um Hilfe an die "hochdeutsch-reformierte Gemeinde" zu Köln, d. h. an den heimlichen Zusammenschluß der deutschen (im Gegensatz zu den niederländischen) Kölner Calvinisten. Er bat um die Entsendung des Predigers Johann Badius, damit dieser den Konfessionswechsel in Stadt und Land Moers vorbereiten und begleiten könne. "Aufs furgeben und fruntliches gesinnen des wolgebornen hern grafen Adolphen zu Moers an die Deutschen gemeinen [zu Köln] von wegen Johannis Badii, daß er I[hro]. Gn[aden]. zu einem kirchendiener vergunnet wurde, durch welche hilf I. Gn. auch gute reformation in kirchen und schulen an die hand nehmen muge - dieweil aber die von Colln allerlei ursachen furbracht und hierinnen sich sehr beschweren, so ist die sache nach notturft angehort worden und also ratsam zu sein erfunden, daß Johannes Badius auf Moers kome, demnach er im offentlichen dienst des h. evangelii in scholen- und kirchen-reformation viel guits tun kuntte", so notiert es das Synodalbuch der Jülicher Classis. Die Kölner Gemeinde sperrte sich also gegen eine Abordnung des Badius nach Moers, obwohl die Synode dies befürwortete. Daher ist Badius nur für die kurze Zeit von Anfang April bis Mitte Mai 1581 nach Moers gekommen. Doch wir können heute sicher sein, daß er es war, der genau in dieser Zeit eine Kirchenordnung auf reformierter Grundlage für den Grafen Adolf ausarbeitete. Da Badius selbst von 1573 bis 1577 in pfälzischen Diensten gestanden hatte, wird es nicht nur wegen des allgemeinen Vorbildcharakters sondern auch wegen dieses persönlichen Hintergrundes verständlich, warum sich die Moerser Kirchenordnung von 1581 so sehr an die kurpfälzische anlehnte. Mit der reformierten Kirchenordnung von 1581 war die Voraussetzung für den Konfessionswechsel geschaffen, der nun systematisch betrieben wurde. Eine der wichtigsten Aktionen war die endgültige Aufhebung des Karmeliterklosters und die Verwendung seiner Einkünfte zur Gründung einer reformierten höheren Schule, um einerseits die künftigen geistlichen und weltlichen Funktionsträger der neuenahrischen Länder im reformierten Sinne auszubilden und andererseits der Gegenreformation durch die jesuitischen Kolleggründungen eine adäquate Anstalt entgegenzustellen. Über Erfolg und Mißerfolg der Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Konfession in diesen Jahren können wir nichts sagen. Vieles spricht dafür, daß der Graf bei der Bevölkerung offene Türen einrannte. So war einer der Bestandteile der Übergabebedingungen bei der Eroberung der Stadt Moers durch die Spanier 1586 die Beibehaltung der Religion, worunter das reformierte Bekenntnis zu verstehen ist. Es ist anzunehmen, daß die Konfessionalisierung der Grafschaft und die Ausbildung eines stabilen reformierten Kirchenwesens mit Schulen, Universität und Gemeindeleben in den kommenden Jahrzehnten rasche Fortschritte gemacht hätte. Aber das Schicksal hatte es anders vorgesehen. Das Ausbrechen des Truchsessischen Krieges brachte Moers in nur wenigen Jahren unter die Herrschaft der Spanier und sorgte für eine langjährige Unterbrechung der kontinuierlichen reformierten Konfessionalisierung, die unter Graf Adolf eingeleitet worden war. Erst in einer Zeit, die nicht mehr unter den Epochenbegriff "Reformation" fällt, konnte die Rückkehr zum evangelischen Bekenntnis gelingen.
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Vgl. dazu Thomas P. Becker, Moers im Zeitalter der Reformation (1500-1600), in: Margret Wensky (Hrsg.), Moers. Die Geschichte der Stadt von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Bd. 1, Köln 2000, S. 159 - 270.
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