Universität und Krieg.
      Betrachtungen zu einem schwierigen Verhältnis

      Vortrag vor dem Historischen Club Bonn am 21.06.2001 von Thomas P. Becker

      (bisher unveröffentlichtes Manuskript. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Autors)

      Universitäten sind - zumindest in Deutschland und zumindest in dem hier betrachteten Zeitraum - staatliche Einrichtungen wie viele andere auch. Insofern werden sie von kriegerischen Ereignissen in der gleichen Weise betroffen wie andere staatliche Stellen auch. So gesehen besteht hinsichtlich der Auswirkungen eines Krieges kein wesentlicher Unterschied zwischen einer Universität und beispielsweise einem Finanzamt. Hier soll es jedoch nicht um die Frage der Auswirkungen eines Krieges auf die Einrichtung Universität gehen, sondern um die Frage, ob und in welcher Weise Universitäten von sich aus über das notwendige Maß kriegsbedingter Funktionsveränderungen hinaus auf Kriege reagiert haben. In erster Linie ist das nicht die Frage nach institutionellen Maßnahmen und Maßregeln, sondern diejenige nach Haltungen und Handlungen von Menschen, die als Professoren und vor allem als Studenten das Leben an den Universitäten mitbestimmten.

      Daß Universitäten und Hochschulen überhaupt am politischen Lebenteilhaben und sich anders als passiv dazu verhalten, ist in der deutschen Geschichte alles andere als selbstverständlich. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war die deutsche Hochschule vor allem an sich selbst und an ihren Rechten und Privilegien interessiert. Protest gegen staatliches Handeln war in der Regel die Reaktion auf staatliche Eingriffe in die akademische Autonomie, freiwilliges Mittragen und Unterstützen staatlichen Handelns eine eher seltene und zufällige Sache.1 Anders als ihre Kommilitonen des 18. Jahrhunderts haben die deutschen Studenten der napoleonischen Zeit aber hinsichtlich der Teilnahme am Kriegsgeschehen eine ganz andere Einstellung. Gerade Professoren und Studenten bilden die Speerspitze der patriotischen Bewegung, die sich gegen die napoleonische Herrschaft in Deutschland bildet. Schon vor dem Ausbruch der Befreiungskriege hatten sich einzelne studentische Geheimzirkel gebildet, die gegen die Franzosen konspirierten und sogar vor einem Attentat auf den Kaiser nicht zurückschreckten.2 Nachdem der preußische König Friedrich Wilhelm III. 1813 in seinem Aufruf "An mein Volk" nicht mehr in der gewohnten Weise an die Stände der preußischen Provinzen, sondern an "Preußen und Deutsche" appellierte, verstand die vom Wunsch nach nationaler Einheit getriebene deutsche Studentenschaft dies als Fanal und meldete sich in Scharen zu den Waffen. Ganze Landsmannschaften und Orden gingen geschlossen in den Dienst der preußischen Armee. Das bei weitem berühmteste Freikorps war die "Schwarze Schar" des Majors Adolph Freiherr von Lützow, das zeitweise 2800 Mann umfaßte.3 Bei Kitzen in der Nähe von Leipzig wurde das Korps am 17.6.1813 fast vollständig aufgerieben, aber durch Theodor Körners noch im selben Jahr erschienenes Lied von "Lützows wilder verwegener Jagd" wurde das Ungestüm und der Opfermut der Studenten zumpatriotischen Symbol.

      Das Jahr 1813 markiert damit die Geburt einesneuen politischen Selbstverständnisses der deutschen Studentenschaft. Es geht einher mit den gleichzeitigen radikal neuen Entwürfen eines Wilhelm von Humboldt von der Universität als einem Ort nicht der Erziehung, sondern der geistigen Bildung mit dem Ziel der gereiften Persönlichkeit. Dieses neue Selbstverständnis findet seine Manifestation wenige Jahre nach den Befreiungskriegen im Wartburgfest von 1817. Nicht umsonst ist die Fahne, die von den zuhauf erschienenen Studenten geschwenkt wird, die schwarz-rot-goldene Trikolore. Schwarze Uniform, rote Litzen, goldene Knöpfe und Epauletten, das war die Uniform der Lützowschen Kavallerie gewesen, die nun auf der 300-Jahr-Feier der Reformation, die zugleich als Erinnerungsfeier an die Völkerschlacht bei Leipzig ausgerichtet wurde, zum Symbol für die deutsche Nationalbewegung umgeformt wurde. Zugleich wurde - sozusagen in Vorwegnahme der deutschen Einheit - die Einheit der deutschen Studentenschaft durch die Gründung der Urburschenschaft symbolisiert, die auch die Farben Schwarz-Rot-Gold als Erkennungszeichen für sich wählte.4 Deutlicher kann die Verbindung von Krieg und studentischem Selbstverständnis nicht mehr sein. Dieses sozusagen aus dem Geist der Befreiungskriege heraus geborene neue studentische Selbstverständnis konnte freilich die Universität Bonn zunächst einmal nicht erreichen, weil es sie noch gar nicht gab. Erst 1818, und zwar - durchaus nicht von ungefähr - wieder an einem 18. Oktober, wurde die Preußische Rhein-Universität aus der Taufe gehoben. Mit der deutschen Einheitsbewegung und mit dem Befreiungskampf der deutschen Studenten war die junge Universität aber nicht nur durch den Tag ihrer Gründung verbunden, sondern auch durch die Berufung ihrer prominentesten Professoren, aus deren Mitte Ernst Moritz Arndt als der Dichter der deutschen Einheitsbewegung hervorstach. Auch in Bonn entstand geradezu gleichzeitig mit der Gründung der Universität eine Burschenschaft, die sich den Gedanken des Wartburgfestes verbunden fühlte. Allerdings hatte dieser neue frische Geist der Einheitsbewegung in Bonn nicht lange Bestand. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 führten zum Verbot der Burschenschaften und zur Suspendierung Arndts, die erst nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. im Jahre 1840 wieder aufgehoben wurde.

      Die Burschenschaften waren allerdings nicht die einzigen studentischenZusammenschlüsse. Auch die aus den studentischen Orden des 18. Jahrhunderts hervorgegangenen Landsmannschaften spielten in den deutschen Universitätsstädten eine wichtige Rolle. Sie, die später in den Korps aufgegangen sind, waren genauso verboten wie die Burschenschaften. Aber die Schilderungen studentischen Lebens an der Universität Bonn zeigen uns, daß die Universitätspolizei der Pedelle die indirekt gezeigten Farben der Landsmannschaften stillschweigend duldeten, während die als politisch brisant eingestufte Burschenschaftnicht mit Nachsicht zu rechnen hatte.

      Beiden begegnen wir wieder, als eserneut danach aussieht, daß Deutschland mit Frankreich in einen Krieg eintreten könnte. Diese Befürchtung führt uns ins Revolutionsjahr 1848. Seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. acht Jahre zuvor waren die Burschenschaften und die studentischen Korps wieder zugelassen. In Bonn hatte Ende Februar 1848 die Nachricht von der Revolution in Frankreich zu Befürchtungen wegen der mangelnden Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung geführt, weil man erwartete, daß die Bonner Garnison an die Grenze zu Frankreich verlegt werden könnte. "Um eintretenden Falles zur Aufrrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" wirken zu können,5 wurde am 4. März eine Bürgerversammlung einberufen, in der eine Bürgerwache aufgestellt wurde. Es ist ein Zeichen für die in den Befreiungskriegen erwachte Politisierung der Studentenschaft, daß in dieser Bürgerversammlung überhaupt Studenten anwesend waren. Diese hielten sich aber keineswegs zurück, sondern setzten sich heftig dafür ein, daß an der neuen Schutzwache auch die Bonner Studenten beteiligt sein sollten. Auch die Universitätsleitung versagte sich nicht diesem Ansinnen und trat für den Waffendienst der Bonner Studenten ein. Im Unterschied zu den studentischen Teilnehmern der Bürgerversammlung vertraten Rektor und Senat aber die Auffassung, es sei ,,den Studierenden zu eröffnen, daß, wenn sie zur Handhabung der Ruhe thätig mitwirken wollen, es für zweckdienlich erkannt worden, daß die Studierenden sich in Abtheilungen, Kompagnien von 40, 50, 60 Mann zusammenschaaren, welche unter den ordentlichen Professoren einen Anführer; Hauptmann und unter sich selbst zwei Adjuncten zu wählen hätten".6 Hinter dieser Weisung stand zweifellos der Wunsch der Professorenschaft, nicht gänzlich von der Entwicklung überrollt zu werden, sondern die bewaffneten Studenten nach wie vor unter Kontrolle zu behalten. Wie sich zeigte, waren aber die Burschenschaften und die Korps in dieser Frage völlig uneins. Während die Koprs-Studenten sich willig in die neue akademische Schutzwache einteilen ließen, um nur nicht mit den verachteten "Philistern" zusammen Dienst tun zu müssen, protestierten die Burschenschaften Alemannia und Frankonia vehement gegen diesen akademischen Alleingang bei der Aufstellung einer Wachtruppe und forderten die Einreihung der studentischen Kräfte in die allgemeine Bürgerwehr. Zu einer Einigung ist es nicht gekommen. In den Folgemonaten exerzierte die akademische Schutztruppe, die den Oberbefehl ausgerechnet dem greisen Ernst Moritz Arndt angetragen hatte, immer lustloser im Hofgarten, während die meisten der demokratisch gesinnten Studenten, die sich in der Burschenschaft Frankonia unter der Führung des jungen Carl Schurz zusammenfanden, systematisch die Bürgerwache und spätere Bürgerwehr unterwanderten und nach und nach einige Offiziersstellen ergatterten. Als es im November 1848 nach der Verlegung der preußischen Nationalversammlung von Berlin nach Brandenburg zur Steuerverweigerungskampagne kam und der Bonner Bürgermeister Oppenhoff die Bürgerwehr an die Stadttore kommandierte, um die ordnungsgemäße Abgabe der Mahl- und Schlachtsteuer zu überwachen, zeigt es sich, daß bei der Versammlung der Bürgerwehroffiziere die demokratischen Studenten mittlerweile die Mehrheit innehatten. Die Steuerzahlungen an den Toren werden eingestellt, am Mittag des 18. November wird vom Zollhaus der preußische Adler heruntergerissen.8 Für diesen einen Tag hat die demokratische Revolution in Bonn gesiegt - unter erheblicher Beteiligung Bonner Studenten. Allerdings dauert es keine zwei Tage, bis durch die Ankunft von 1000 Mann preußischer Linieninfanterie die Bonner Steuerverweigerungskampagne in sich zusammenfällt. Krieg - Bürgerkrieg in diesem Fall - war aus der Aktion Gott sei Dank nicht geworden. Die Studenten ließen sich brav entwaffnen, die Bürgerwehr wurde aufgelöst und die Steuern an den Toren durch reguläre Truppen in regulärer Weiseerhoben.

      In anderen Städten ging die Auseinandersetzung nicht soglimpflich aus. In Wien, wo bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, hatte die "akademische Legion" einen nicht unerheblichen Anteil an der Verteidigung der Stadt gegen das habsburgische Militär, und viele der Wiener Studenten bezahlten ihren Einsatz für die bürgerlichen Freiheiten mit dem Tode. In München ging es nicht gar so blutig zu, aber durch die Protestaktionen der Münchener Studenten gegen die Tänzerin Lola Montez, die Mätresse König Ludwigs I., wurde die Regierung destabilisiert und der König zur Abdankung gezwungen. Die Sicherung der Stadt in dem unmittelbar danach einsetzenden Durcheinander übernahm eine bewaffnete Studententruppe, die gut 1000 Mann stark war und die sich sogar eine eigene Uniform schneidern ließ, zu der dann Schärpen in den jeweiligen Korpsfarben der studentischen Vereinigungen getragen wurden. Auch bei einer weiteren Aktion der Bonner Demokraten, dem Sturm auf das Siegburger Zeughaus, waren Bonner Studenten beteiligt. Allerdings waren es nur wenige, weit weniger jedenfalls, als der ehemalige preußische Leutnant Fritz Anneke, der den Zug befehligte, erhofft hatte.9 Das ganze Unternehmen endete eher peinlich und gottlob unblutig: Der etwa 100 Mann umfassenden Schar, die mit einigen Säbeln und Gewehren bewaffnet nach Siegburg vorstoßen wollte, wo man sich mit ca. 1000 revolutionären bergischen Bauern zu vereinigen dachte, um das dortige Zeughaus zu stürmen, wurden aus Bonn 34 Dragoner hinterhergeschickt, die wohl nicht einmal sehr erpicht darauf waren, die Aufrührer anzugreifen, denn sie ritten ohne Gegenwehr einfach durch die Schar hindurch. Das reichte jedoch dafür, daß sich die Bonner Revoluzzer in die Felder längs der Straße in Sicherheit brachten und eilig zerstreuten. So endete die Revolution in Bonn eher als Posse denn als heldenmütiger Aufstand. Bitter schrieb Carl Schurz später in seinen Memoiren: "Unser Unternehmen hatte also nicht nur einen unglücklichen, sondern einen lächerlichen, schmachvollen Ausgang genommen. Vor einer Handvoll Soldaten war unsere mehr als dreimal so starke Schar, ohne einen Schuß zu feuern, auseinander gelaufen. So bewahrheiteten sich die großen Worte derer, welche der Freiheit und Einheit des deutschen Volkes Gut und Blut, Leib und Leben zu opfern versprochen."

      Sehen wir einmal von der Scham und Enttäuschung ab, die aus diesenWorten spricht, so bleibt doch übrig, daß ein Mann wie Carl Schurz auch in seiner Erinnerung als ehemaliger amerikanischer Innenminister und "elder statesman" es als ein moralische Verpflichtung des deutschen Studenten angesehen hat, sich in die Politik einzumischen und auch mit der Waffe in der Hand für die "Freiheit und Einheit des deutschen Volkes" einzutreten. Diese Einheit kam - wie bekannt - nicht durch die Revolution zustande, sondern durch den Krieg. Gemeint ist der deutsch-französische Krieg von 1870/71. In den meisten Darstellungen zur deutschen Universitätsgeschichte findet sich dieser Krieg gar nicht erwähnt. So schicksalhaft er für die politische Entwicklung Deutschlands war, so wenig hat er für die ohnehin sehr dynamische und ausgreifende Entwicklung des deutschen Universitätslebens als Zäsur gewirkt. Bei genauerer Betrachtung aber stellt sich heraus, daß gerade dieser Krieg ein Maß an patriotischer Begeisterung und Kriegswilligkeit unter den deutschen Studenten entfesselte, das den Befreiungskriegen in nichts nachstehen muß. Der Krieg, der am 16. Juli 1870 ausbrach, war alles andere als eine Überraschung für die beiden Länder. Kaum war die Kunde von der französischen Kriegserklärung aus den Telegraphenstationen in die Stadt gedrungen, strömten viele hundert Bonner Studenten auf dem Marktplatz zusammen. Von dort aus zogen sie mit patriotischen Gesängen zur Wohnung des Rektors Friedrich Heimsöth an der heutigen Adenauerallee und dann weiter zur Wohnung des Historikers Heinrich von Sybel und zu derjenigen des Chirurgen Prof. Wilhelm Busch. Jedesmal wurden sie von den Professoren mit zündenden patriotischen Ansprachen empfangen, in denen viel von Deutschlands Recht und Deutschlands Ehre, vom Ernst der Lage und von der patriotischen Pflicht der deutschen Studenten die Rede war. Am selben Tag noch hatten verschiedene Professoren der Medizinischen Fakultät, darunter Busch, Rühle, Veit und andere, am Schwarzen Brett zu einer allgemeinen Studentenversammlung in die Aula gerufen. Dort wurde dann spontan ein freiwilliges Studenten-Sanitätskorps ins Leben gerufen, das unter den Befehl des Dekans der Medizinischen Fakultät, des Pathologen Wilhelm von Rindfleisch, gestellt wurde. Innerhalb weniger Tage hatten sich über 50 Studenten der Medizin zu dieser freiwilligen Truppe gemeldet, die nach Koblenz geschickt und dort in Krankenpfleger-Trupps eingereiht wurden. Weiter 36 Freiwillige blieben unter der Führung von Rindfleisch und machten als eigenes Bonner Studenten-Sanitäts-Korps den Krieg mit. Sie machten die Schlacht von Vionville mit und waren schließlich bei der Belagerung von Paris mit dabei. Neben Rindfleisch zogen noch weitere Bonner Professoren als freiwillige Ärzte und Helfer in den Krieg, so der Staatsrechtler Ludwig Aegidi, der das von Professor Franz Obernier (Innere Medizin) gegründete "Bonner Nothhelfercorps" führte, das nach seinem Ausfall durch eine Fußverletzung der Privatdozent Varrentrapp, ein Historiker, weiterführte. Die Professoren der Medizin Carl Binz und Josef Doutrelepont, die Privatdozenten Finelnburg, Höning und Zinke oder der Assistent Eickert wurden zur Armee eingezogen und dienten als Stabsärzte oder Apotheker in den Feldlazaretten, die Professoren Schaafhausen, de la Valette und Sämisch sowie der Privatdozent Mosengeil und der Assistent Orth organisierten und betreuten Lazarette in Bonn. Der Wirtschaftswissenschaftler Adolf Held bemühte sich um die Unterstützung der Truppe durch Tätigkeiten im "Localverein für Pflege verwundeter Krieger" und durch Organisation von Verlosungen und Tombolas, die insgesamt 7000 Taler Reinerlös einbrachten, den er in Form von Liebesgaben an die Front brachte und verteilte.11 Von den Bonner Studenten wurden 175 zum Kriegsdienst eingezogen, weitere 100 meldeten sich freiwillig. Von letzteren meldeten sich 30 zum Dienst mit der Waffe (5 evang. Theologen, 1 kath. Theologe, 6 Juristen, 9 Mediziner, 9 Philosophen), einer zur Militärseelsorge (kath. Geistlicher), 96 zur freiwilligen Krankenpflege (13 evang. Theologen, 6 kath. Theologen, 2 Juristen, 63 Mediziner, 12 Philosophen, 3 immatrikulierte Pharmazeuten) sowie ein Angehöriger der Philosophischen Fakultät zu sonstiger militärischer Dienstleistung. Insgesamt zogen also 275 von 922 Immatrikulierten ins Feld, was einem Anteil von 29,4% entspricht. Die 175 Wehrpflichtigen, die zu den Waffen gerufen worden waren, entsprechen dabei unserer Eingangsbemerkung, daß Universitäten als staatliche Einrichtungen von Kriegszeiten genauso betroffen werden wie der Rest des Landes auch. Die 100 Bonner Freiwilligen aber zeigen uns sehr viel mehr von der Einstellung der Studenten zu diesem Krieg. 100 Studenten, das waren 10,8% aller in Bonn Immatrikulierten. Die Universität im Westen des Reiches lag damit deutlich über dem Reichsdurchschnitt, der mit 914 Freiwilligen bei 13.792 Studierenden bei 6,63% lag. Kleinere Universitäten wie Kiel, Freiburg, Erlangen, Marburg oder Rostock, lagen deutlich darüber, was aber in der Sache nicht viel aussagen will, denn die Mannstärke der hier zusammengekommenen Hilfskorps war nicht einmal halb so hoch wie in Bonn. Von den Universitäten zwischen 500 und 1000 Studenten, also Breslau, Heidelberg, Würzburg, Göttingen und München, liegen nur die beiden letzten mit gut 10% im selben Bereich wie Bonn, die anderen Universitäten, darunter auch die beiden größten deutschen Hochschulen Leipzig und Berlin, liegen bei den Freiwilligen-Meldungen zwischen 3 und 6 Prozent.12 Insgesamt aber war die Begeisterung der deutschen Studentenschaft, daran darf wohl kein Zweifel sein, denn die insgesamt 914 Freiwilligen, die sich aus den deutschen Universitäten zusammenfanden, kommen ja noch zu den 2745 Wehrdienstpflichtigen hinzu und waren vom Dienst freigestellt. Ein Drittel der studentischen deutschen Jugend zog in den Kampf, und wir können davon ausgehen, daß sie es freudig taten. Freude und Euphorie sind auch durch die blutigen Schlachten von Metz, Vionville oder Sedan nicht getrübt worden. Einer der Gründe dafür dürfte sein, daß die deutschen Truppen im Gegensatz zu den Franzosen wesentlich weniger Gefallene und Verwundete zu beklagen hatten. Der Blutzoll, den die Universität Bonn zu beklagen hatte, war im Verhältnis zu der Tatsache, daß ein Drittel ihrer Studenten im Krieg war, erstaunlich gering. Neun Studenten fanden den Tod, davon drei Juristen, zwei Mediziner, ein Philosoph, ein Ökonom und ein evangelischer Theologe. So bedauerlich ihr Tod ist, mengenmäßig war das gerade ein Prozent der Bonner Studentenschaft. Damit liegt Bonn unter dem Reichsdurchschnitt, aber auch er ist mit 1,8% erstaunlich gering für diesen großen Krieg.

      Die geringen Verluste unter den studentischen Kriegsteilnehmern dürftender Grund dafür sein, daß die patriotische Begeisterung des Kriegsausbruches sich auch in den Jahrzehnten nach dem Krieg weiterhin hielt und in Heldengedenken und in akademischen Sedansfeiern ihren Niederschlag fand. Die Namen der neun gefallenen Bonner Studenten wurden in goldenen Lettern in eine Marmortafel eingeritzt und diese in der Aula der Universität aufgehängt. Keine Reflexion über das Grauen eines Schlachtfeldes trübte die Stilisierung des studentischen Heldenmutes, wenigstens ist mir keine bekannt. In dieser Tradition dürfte vielleicht auch der Grund dafür zu finden sein, daß der Krieg, der nach 43 Jahren den Untergang des deutschen Kaiserreiches einleitete, mit einer ebensolchen Begeisterung von der studentischen Jugend begrüßt worden ist wie der von 1870. Vielleicht war in der wilhelminischen Gesellschaft sogar noch ausgeprägter. Die Jahrhundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig jedenfalls, von der das Selbstbewußtsein der Burschenschaft und der politisierten deutschen Studentenschaft ja ihren Ausgang genommen hatte, stellte als Symbol nationaler Einheit alles Vorherige in den Schatten. Konrad Jarausch spricht von dieser Feier und von dem im gleichen Jahr begangenen 25. Regierungsjubliäum Wilhelms II. als "nationalen Sakramente(n), welche die Studenten über alle konfessionellen, organisatorischen undpolitischen Spaltungen hinweg zusammenführten:"

      Daß es bei derKriegsbegeisterung im August 1914 ein Traditionsbewußtsein der deutschen Universitäten gab, sehen wir an der Rede des Bonner Rektors, die in der Chronik des akademischen Jahres 1914/15 abgedruckt ist. "Wir stehen an der Schwelle eines großen Krieges, und es erneuert sich in uns und um uns der Geist jener großen Zeit der Befreiungskriege ... Die Geschlechter von 1813 und 1870 sollten uns ihrer würdig sehen!" Die Bilder der Begeisterung und des Enthusiasmus der ersten Kriegstage wiederholen sich, die wir schon von 1870 kennengelernt haben. Ich brauche hier nicht näher darauf einzugehen. Die Absurdität und Naivität dieses akademischen Hurra-Patriotismus bewies drastisch und blutig der Sturm der sogenannten Studentenregimentern am 11. November 1914 in der Schlacht von Langemarck. Doch trotz der Sinnlosigkeit des Angriffes in Paradeformation auf gut verschanzte MG-Nester in Langemarck wurde auch hier der Mythos des studentischen Opfermutes nicht gebrochen, sondern eher noch aufgebläht. Vielleicht ist darin sogar eine Parallele zu sehen zum verlorenen Kampf des Lützowschen Freikorps im Juni 1813, dessen militärische Fragwürdigkeit ja in keinem Verhältnis zu seiner propagandistischen Bedeutung steht. Im Gegensatz zum Krieg von 1870/71 war aber der Erste Weltkrieg für die Studenten lang und blutig. Die nach der gewaltigen Expansion der Jahrhundertwende auf 79.225 Immatrikulierte angewachsene deutsche Studentenschaft mußte 1914 etwa die Hälfte ihrer Mitglieder ins Feld entlassen. Von den 84.636 Immatrikulierten des letzten Kriegsjahres waren sogar zwei Drittel im Krieg. Insgesamt 16.000 deutsche Studenten sind in diesen vier Kriegsjahren gefallen, das war mehr als 1870 überhaupt studierten und mit 20% der Gesamtstudentenzahlen deutlich mehr als in früheren Kriegen. Nicht mehr eine kleine Marmortafel in der Aula, sondern eine ganze Gedenkhalle im Durchgang zum Arkadenhof war nötig, um die Namen der Bonner Studenten und Dozenten aufzunehmen, die diesen Krieg nicht überlebt haben. Der Anteil der Akademiker unter den Gefallenen war in diesem Krieg höher als in anderen Kriegen, was sicher auch ein Resultat der bei Kriegsausbruch ungebrochenen patriotischen Begeisterung der Studenten und Professoren war. In Marburg etwa waren 1700 Männer zum Militär eingezogen worden, von denen 464 Marburger Bürger fielen und 580 Marburger Studenten.

      Viele Studenten fühlten ein besonderes Sendungsbewußtsein bei ihrem Gangins Feld. Die moralische Überlegenheit Deutschlands gegenüber seinen Feinden sollte nicht zuletzt darin ihren Ausdruck finden, daß im deutschen Heer keine Verrohung durch den Krieg zu beobachten sein sollte, sondern Haltung und Bildung. Studenten organisierten daher - durchaus mit Unterstützung ihrer Heimatuniversitäten - Bildungsveranstaltungen und Etappen-Hochschulen wie etwa in Conflans bei Metz. Die Universitäten schickten Broschüren an ihre Studenten im Felde, wie etwa die Ostergrußbotschaft des Bonner Rektors 1916 oder Traktate zu akademischen Themen, die den Soldaten in den Schützengräben die Erinnerung an ihre geistige Bildung und ihre akademische Würde bringen sollte. Neben der Fernbetreuung der Studenten im Felde organisierten die Universitäten in der Tradition des deutsch-französischen Krieges wieder freiwillige Sanitäts-Einheiten. Da sich die Zeiten geändert hatten, war es aber mit einem aus drei Dutzend Freiwilligen bestehenden Krankenpfleger-Korps nicht mehr getan. Der Jurist Ernst Landsberg, der einzige Jude unter den Bonner Rektoren, organisierte stattdessen mit tatkräftiger Unterstützung durch die Stadtverwaltung einen ganzen Eisenbahnzug, der als fahrbares Lazarett ausgerüstet war und an den Fronten im Osten und im Westen eingesetzt worden ist. Freiwillige Bonner Medizinstudenen und freiwillige Angehörige des Bonner vaterländischen Frauenvereins fuhren als Pflegepersonal auf diesem Zug mit. Durch den hohen Anteil der in die Armee eingezogenen Studenten wurde das Bild an den Universitäten zunehmend durch die Studentinnen geprägt, die seit 1908 in Preußen vollberechtigt zum Studium zugelassen waren. Ihre Zahl stieg während des Krieges sogar von 4057 auf 7182. Daß ihr Anteil stieg und ihr Auftreten den verbliebenen Universitätsbetrieb deutlich prägte, heißt nicht, daß sie weniger Kriegsbegeisterung gezeigt hätten als ihre männlichen Kommilitonen. Die deutschen Studentinnen diskutieren Kriegsstrategien und Kriegsziele genauso engagiert wie die Männer, und ihre patriotische Begeisterung machte nicht vor dem Kriegseinsatz selber halt. Klara Marie Faßbinder, eine Lehrerin, die in Bonn 1917 ihr Staatsexamen in Romanistik abgelegt hatte, nahm gern die Gelegenheit wahr, selbst nach Frankreich in den Rücken der Front zu gelangen, um durch "Vaterländischen Hilfsdienst" in Form von Bildungs- und Kulturangeboten die Moral der Truppe zu verbessern und so zum Sieg der deutschen Waffen beizutragen. Ende April 1918 sitzt sie im Zug an die Front. Erste Ernüchterung ist der kurze Halt auf der Strecke, als ein Gegenzug vorbeifährt, in dem Soldaten sind, die aus der Hölle der Schützengräben zurück in die Etappe verlegt werden und mit totengleichen Gesichtern in die Leere starren. Doch auch das hält die enthusiastische Patriotin nicht davon ab, am 1. Mai 1918 stolzerfüllt auf der Höhe von Sedan zu stehen und mit heißem Herzen an den Sieg über Frankreich und Napoleon III. zu denken und daran, daß sie nun mithelfen dürfte, einweiteres Mal den Erbfeind in die Knie zu zwingen!

      Klara MarieFaßbinder aber, die in dem kleinen Dorf in der Etappe, in das es sie verschlagen hat, durch persönliche Erlebnisse von der Nationalistin zur Pazifistin wird, zeigt in ihrem persönlichen Leben einen Umschwung und eine Verunsicherung, die ihre ganze Generation von studentischen Kriegsteilnehmern mit ihr teilte. Wer aus dem Grauen der Materialschlachten zurückkam, der hatte kein Verständnis mehr für die nationalistischen Sonntagsreden seiner akademischen Lehrer und für die naive Begeisterung nach Art der Befreiungskriege. Und so geht mit dem Ersten Weltkrieg die patriotische Kriegsbegeisterung, die ein ganzes Jahrhundert lang die deutsche Studentenschaft als Gründungsmythos und als Glaube an die besondere Bestimmung getragen hatte, in der Realität des Stellungskrieges unter. Der Wechsel, der in der Einstellung zum Krieg eingetreten war, hat allerdings nicht zu einer Abkehr vom Pathos und zu einer kritischen Haltung dem Krieg gegenüber geführt. Heldenverehrung wird in den 20er Jahren an den deutschen Universitäten groß geschrieben. Aber gerade im Rheinland wird sie instrumentalisiert, dient sie als politische Propaganda gegen die französische Besatzungsmacht und ihre Politik. Die Errichtung der Ehrenhalle an der Universität Bonn ist ein Element dieser politischen Indienstnahme der Heldenverehrung. Von jedem einzelnen gefallenen Angehörigen oder Mitglied der Universität Bonn wird ein Photo besorgt. Diese Photos, die meist die Studenten in Uniform zeigen, werden in große Photoalben geklebt und - versehen mit den Angaben über Einsatzort und Todestag - ausgestellt. Jeder der Gefallenen erhält ein förmliches Abgangszeugnis der Universität, in dem sein Tod auf der Vorderseite vermerkt wird. Das alles dient der Inszenierung, nicht aber der Verarbeitung der Tatsache, daß ein so hoher Prozentsatz der Kommilitonen von einst nicht mehr zurückgekommen ist.

      Der Nationalsozialismus findet daher auch keine dezidiert pazifistischeDozenten- und Studentenschaft vor, als er sich an die Gleichschaltung der Hochschulen macht. Dennoch findet sich - trotz der massiven Propaganda-Maschinerie der Nazis - die alte Begeisterungsfähigkeit der Studenten für den nationalen Krieg nicht wieder. Der Grund dafür liegt meines Erachtens nicht in der Erfahrung der Schrecken des Ersten Weltkrieges, sondern im Charakter der braunen Diktatur. Universität und Nationalsozialismus waren sich zu fremd, als daß sie sich hätten in der Frage des Krieges gegenseitig beflügeln können. Das Mißtrauen der Nazis gegen den akademischen Dünkel der Universitäten hatte zu einem gespannten Verhältnis geführt. Der Verbindungsstudent, seit der wilhelminischen Zeit das Urbild des deutschen Studenten, war so suspekt, daß die Studentenverbindungen trotz aller Anbiederungsversuche auf der einen und Gleichschaltungsmaßnahmen auf der anderen Seite ihren Weg in den nationalsozialistischen Staat nicht finden konnten. Sie wurden schließlich verboten. Der Nationalsozialistischen Deutsche Studentenbund bot aber keinen Ersatz für die Tradition und für die Mythen, die mit Burschenschaften, Korporationen und Verbindungen verbunden waren. Und gerade die Anbindung an die Urburschenschaft und ihre Geburt aus dem Geiste der Befreiungskriege war es gewesen, die 1870 und 1914 als Anknüpfungspunkt für die Kriegsbereitschaft und Kriegsbegeisterung der akademischen Jugend gedient hatte. Hinzu kam, daß gerade die Studenten, die sich am weitesten auf den Nationalsozialismus eingelassen hatten, als erste als Kriegsfreiwillige bei der Wehrmacht oder der SS eintraten und so zur propagandistischen Beeinflussung ihrer Kommilitonen an den Heimathochschulen fehlten. Eine zu hohe Kriegsbegeisterung lag auch gar nicht im Interesse der nationalsozialistischen Führung, denn viel dringender als Studenten, die sich als Kanonenfutter verheizen ließen, brauchte man nun Hochschulabsolventen, die im immer technischer werdenden Krieg als Spezialisten in die Waffenfertigung und an andere kriegswichtige Stellen geschickt werden konnten. Um die noch studierenden Jahrgänge schneller in den Produktionsprozeß integrieren zu können, wurden daher vom WS 1939/40 an Trimester eingeführt, die die Studiendauer verkürzen sollten.

      Die Desillusionierung, die nach dem Ersten Weltkrieg noch in Grenzengehalten war, trat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs viel stärker ein. Krieg und Kriegsverehrung waren einfach kein Thema mehr. Die Universität Bonn hatte im Zweiten Weltkrieg schätzungsweise mehr Tote zu beklagen als im Ersten Weltkrieg, der Bombenkrieg brachte neben den an der Front Gefallenen auch den Tod von Professoren in der Heimat mit sich, doch keine Wandtafel, kein Denkmal, kein irgendwie geartetes Symbol zierte oder ziert einen Winkel der Universität. Bedarf danach ist offensichtlich nur bei einigen Unverbesserlichen, die sich in regelmäßigen Abständen beim Universitätsarchiv erkundigen, warum sich die Universität denn ihrer im Kriege gefallenen Wehrmachtsangehörigen schäme und sie nicht mit einer Gedenktafel ehre. Innerhalb der Hochschule war und ist dies kein Thema. Krieg an sich wurde aber sehr wohl wieder zum Thema gemacht. Dies geschah durch eine neue Generation, die den Zweiten Weltkrieg nicht mehr als Kombattanten mitgemacht hatte, sich aber nach Kräften gegen alle Reste faschistischen Denkens in den Köpfen ihrer Eltern und älteren Geschwister zur Wehr zu setzen versuchte. Für diese studentische Generation, die man pauschal als "Studentenbewegung" beschreibt, wurde der Krieg zum besonderen Ausdruck der gesellschaftlichen Widersprüche des kapitalistischen Systems, das es zu bekämpfen galt. Der Vietnamkrieg wurde, wie allgemein bekannt, zum wichtigsten Thema dieser politisierten Studentengeneration. Auf die Widersprüche in dieser ablehnenden Haltung zur kriegerischen Gewalt, die gerade beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei sichtbar wurden, brauche ich hier nicht einzugehen, auch nicht auf die Naivität, die teilweise den politischen Analysen und Modellen der sogenannten "68er" anhaftete. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß die linken Studenten von 1968 etwas gemeinsam haben mit den Studentischen Freikorps der Befreiungskriege und mit den engagierten Burschenschaftlern von 1848. Es ist das Gefühl der Verantwortung für die Gesellschaft. In dieser, letzlich in den Gedanken Wilhelms von Humboldt verankerten Haltung der Selbstverpflichtung sehe ich eine Brücke zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert, selbst wenn die konkreten politischen Ziele gegensätzlicher nicht sein könnten.

      Dieser moralische Rigorismus fand sich auch zu Anfang der 80er Jahre inden leidenschaftlichen Appellen gegen den Nato-Doppelbeschluß wieder, die ihren Platz auch in den Universitäten hatten. Im Unterschied zu 1968 waren die Aktionen der Friedensbewegung allerdings nicht von den Studenten als zentraler Gruppe getragen, und die Universitäten beteiligten sich zwar an den Aktionen, aber die Frage des Atomkrieges und der weltweiten Hochrüstung stürzte sie nicht in größere Unruhe. Immerhin, die Frage des Krieges und der Haltung des Akademikers zu ihm spielte auch weiterhin eine bedeutende Rolle in der deutschen Universitätslandschaft. Man erinnere sich nur an die Aktion von Walter Jens, amerikanische Deserteure des Golfkrieges bei sich aufzunehmen. Aber die Kriege der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, über die an Deutschlands Universitäten mit unterschiedlicher Intensität gestritten wurde, waren Kriege ohne deutsche Beteiligung. Ein einziges Mal in diesem Jahrhundert aber sollten deutsche Soldaten doch noch als Kombattanten an einem Krieg teilnehmen. Die Rede ist von der Bombardierung des Kosovo 1999. Weit mehr als man sich das in den Jahrzehnten davor hatte überhaupt vorstellen können, standen deutsche Soldaten an der Schwelle dazu, in harte Gefechte und blutige Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Und die deutschen Universitäten? Man könnte meinen, daß die deutschen Studierenden und Professoren den Krieg, über den stundenlang im Fernsehen berichtet wurde, gar nicht wahrgenommen hätten. Das haben Sie auch nicht, zumindest nicht als etwas, zu dem sie aus ihrer Verantwortung als Universitätsangehörige Stellung zu nehmen hätten. Dies läßt die Frage nach dem "warum" aufkommen. Kann es sein, so fragt man sich, daß diese heutige Generation deutscher Studierender, die doch gerade erst 1998 mit ihrem Unistreik bewiesen hatte, daß sie auch zu politischen Protestaktionen fähig ist, mit den Humboldtschen Gedanken von der besonderen Verantwortung des Akademikers für das Wohl der Nation und der Gesellschaft gar nichts mehr anfangen kann? Ist also die indifferente Haltung der heutigen akademischen Jugend zum Krieg, die es so in den letzten 180 Jahren nicht gegeben hat, ein Zeichen für einen tiefgreifenden Umbruch im Verständnis von Universität und akademischer Bildung? Das wäre eine Hypothese, die nur durch den Blick in die Zukunft zu beantworten ist. Die Zukunft aber liest man aus Kaffeesatz und nicht aus archivalischen Quellen, und daher ist ein Historiker auch nicht dafür geeignet, sie zu deuten.

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