von Thomas P. Becker
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Ich danke Ihnen für die schöne Gelegenheit, in einer kleinen Zeitreise ihnen die Menschen ein wenig näherzubringen, die in der Epoche zwischen der Reformation und der französischen Revolution hier in Flerzheim und in der Umgebung gelebt haben.
Ich will Ihnen zu verschiedenen Themen einige Eindrücke von dieser Zeit vermitteln. Helle und dunkle Seiten des Lebens möchte ich dabei beleuchten. Mehr als ein kleines Mosaik kann und soll das nicht sein, denn wenn wir uns diese drei Jahrhunderte im Einzelnen anschauen wollten, stände ich noch in vier Stunden hier am Pult – und Sie wären alle längst tief und fest eingeschlafen.
Also will ich mich kurz fassen und mich bemühen, Sie alle noch wachzuhalten.
Fangen wir einfach an, indem wir uns anschauen, was für ein Ort das eigentlich in früheren Zeiten war. Für unsere Verhältnisse war Flerzheim am Ausgang des Mittelalters nicht gerade groß. Um das Jahr 1700 sind in Flerzheim und Müttighoven zusammen etwas mehr als 300 Kommunikanten verzeichnet, was auf eine Einwohnerzahl von ca. 400 Personen schließen läßt. Die Angaben über die Anzahl der Familien sind nicht ganz eindeutig, aber sie liegen zwischen 80 und 100, so dass wir von einer Familiengröße von vier bis fünf Personen pro Familie ausgehen können. Die Vorstellung von einer Großfamilie mit mehreren Generationen unter einem Dach, die wir gern mit dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit verbinden, ist also zumindest für unsere Region falsch. Den kleinen Familien entsprach aber keineswegs eine niedrige Geburtenrate, denn Totgeburten und eine hohe Kindersterblichkeit im Kleinkindalter gehörten zum Leben dazu. Wenn die Kinder tot zur Welt kamen oder noch vor der Taufe starben, dann durften sie nicht in geweihter Erde begraben werden. Das schmerzte die meisten Eltern mehr als der Tod ihres Kindes, und so suchten die Pfarrer in Flerzheim wie anderswo auch einen Kompromiss: Der Friedhof, der um die Kirche herum lag, wie man heute noch an den Grabsteinen an der Kirchenmauer sehen kann, durfte für das Begräbnis nicht genommen werden, aber man teilte eine von ihm Ecke ab, wo dann die ungetauft gestorbenen Kinder beerdigt werden konnten.
Pfarrer in Flerzheim war übrigens, wie Sie wissen, in der Regel ein Zisterzienser aus dem Kloster Heisterbach. Das hatte Vor- und Nachteile. Ein Vorteil war sicher die im Vergleich zu den Weltgeistlichen bessere theologische Grundausbildung. Ein Priesterseminar gab es lange nicht, erst unter Clemens August ist es ins Leben gerufen worden, und auch da war es nicht verbindlich. In Flerzheim finden wir aber schon einmal jemanden wie Johann Broichhausen, der 1663 angibt, dass er die Artistenfakultät absolviert hat, was so ungefähr so viel ist wie heut das Abitur. Das war gar nicht so schlecht als Voraussetzung für einen Geistlichen. Theologie hat er allerdings auch nicht studiert, das hielt man bei Landpfarrern auch für völlig überflüssig.
Der Nachteil der Pfarrer aus dem Kloster war, dass sie andauernd wechselten. Die Gemeinde konnte da mehr ihre eigenen Regeln von gut und schlecht aufstellen, und so gab es 1716 etwa Krach wegen der Kirchenstühle, was dem Pfarrer gar nicht behagte. Solche Kirchenstühle, meistens kunstvoll geschnitzte Bänke, stellten sich die adeligen Familien und die reichen Halfenbauern, d.h. die Pächter der Klosterhöfe, in die Kirchen, um damit vor den anderen anzugeben. Daher seufzte Pfarrer Johannes Braun 1716: „ich wollte, es gäbe Stühle für alle“.
Eigentlich gab es in den Kirchen früher nämlich gar keine Bänke oder Stühle, man stand während des ganzen Gottesdienstes, was es den Männern im hinteren Teil der Kirche auch leichter machte, zwischendurch auf einen Schnaps und ein Bier in der Kneipe nebenan zu verschwinden. Der Priester feierte die Messe ja mit dem Rücken zum Volk, und da Frauen und Männer getrennt saßen, konnten nicht einmal die wachsamen Ehefrauen hiergegen etwas tun. In Flerzheim ist aber spätestens 1665 damit Schluß. Die Männer gehen während der Messe nicht mehr aus der Kirche heraus, sagt Pfarrer Broichhausen, und zwar, wie er hinzufügt, aus Furcht vor Strafe.
Diese furchtsame Haltung der wackeren Zecher hängt vielleicht damit zusammen, dass die Pfarrer, auch wenn sie nicht so lange in der Gemeinde blieben, um ein enges Verhältnis zu ihr aufzubauen, doch eine mächtige Stellung innehatten, die sich nicht mit der eines normalen Dorfpfarrers vergleichen lässt. Flerzheim gehörte nämlich, obwohl es ein kurkölnisches Dorf war, praktisch der Abtei Heisterbach. Die Mönche hatten seit dem Hohen Mittelalter systematisch immer mehr Land in Flerzheim gekauft, sie hatten Abgabenrechte, z.B. den Zehnten, von anderen kirchlichen Einrichtungen getauscht oder gekauft, sie hatten mit dem Aufkaufen der großen Pachthöfe auch die jeweilige Hofesgerichtsbarkeit mitgekauft, sie hatten eine Bannmühle errichtet, sie kauften schließlich auch das Vogtamt, mit dem die weltliche Polizeigewalt verbunden war, und am Ende sogar die Flerzheimer Burg. Damit waren sie die uneingeschränkten Gerichtsherren in Flerzheim, der Landesherr, der trotz seines kirchlichen Standes als Erzbischof von Köln ihnen als Mönchen in kirchlichen Dingen ohnehin nicht hineinreden durfte, hatte so in Flerzheim praktisch auch keine weltliche Macht mehr, und die der Bescheidenheit und der Weltabgeschiedenheit verpflichteten Zisterzienser hatten sich in ihrer Unterherrschaft Flerzheim ein eigenes kleines Reich geschaffen, in dem sie sich faktisch als Landesherr fühlen konnten. Das Land, das sie zusammengekauft hatten, gaben die Mönche dann an Pächter ab. Mehr als zwanzig der achtzig Flerzheimer Familien waren in der frühen Neuzeit Pächter der weißen Mönche. Damit hatte die Abtei das Dorf gleich dreifach im Griff: als Kirchenherr, als Grundherr und als Pachtherr. Kein Wunder, dass die Männer am Sonntag lieber ihren Durst bezähmten als sich mit dem Vertreter der Abtei anzulegen.
Die Erwähnung von Kirche und Religion bringt mich dazu, an den Anfang unserer Epoche zu schauen: Waren die Flerzheimer und ihre Nachbarn eigentlich immer so brave Katholiken wie wir alle glauben. oder fühlten sich einige auch hier von der Reformation angezogen?
Die Reformation, das darf man wohl ohne Übertreibung sagen, war ein Ereignis von besonderer Dimension. Mit ihr ging eine ungeheure Unruhe einher, die dazu führte, dass eine ganz neue Epoche geboren wurde, die wir die „Frühe Neuzeit“ nennen. Die Reformation hatte auch hier bei uns im Rheinland ihre mächtigen Auswirkungen. Allerdings dauerte es ein Vierteljahrhundert, bis die evangelische Bewegung auch die Bauern im Tal des Swistbaches in ihren Bann schlug. Auslöser dafür waren die Bestrebungen des greisen Kölner Erzbischofs Hermann von Wied, einen eigenen Weg zur Reform der ihm anvertrauten Kölner Kirche zu finden.
1541 lud Hermann ins nahe Buschhoven, wo er ein Jagdschloß am Rande des Kottenforst besaß, den Straßburger Reformator Martin Bucer zu einem Religionsgespräch ein. Bucer stand Luther und Melanchthon nahe, und seine Lehre war nicht mehr mit der romtreuen Richtung in Übereinstimmung zu bringen. Hermann vertraute ihm trotzdem die Reform der Kirche im Rheinland an, und es ist klar, dass es darüber zum Bruch zwischen Bucer-Anhängern und altgläubigen Katholiken kommen musste. In Buschhoven bildete sich unter dem Schutz des Erzbischofs, der in Personalunion auch immer der Kurfürst von Kurköln war, eine kleine evangelische Gemeinde. Zwar wurde Erzbischof Hermann schon 1546 auf kaiserlichen Druck hin abgesetzt und seine Kölner Reformation von seinem Nachfolger verboten, aber in Buschhoven konnte sich der exkommunizierte und abgesetzte Erzbischof trotzdem noch etliche Monate halten, offensichtlich im Vertrauen darauf, dass seine Anhänger hier zahlreich genug waren, um ihn gegen Übergriffe seitens der neuen Regierung zu verteidigen. Ob unter diesen Anhängern auch Flerzheimer waren, ist aus den überlieferten Quellen nicht ersichtlich, aber es ist nicht unwahrscheinlich. Denn auch in anderen Orten der näheren Umgebung fand die neue Bewegung Zulauf. Der Pfarrer von Morenhoven, der ehemalige Augustinermönch Heinrich Mull, war so begeistert von der neuen Lehre, dass er seine Pfarrstelle verließ und 1542 nach Bonn ging, wo er sich den Protestanten anschloss. In genau umgekehrter Richtung kam 1550 ein ehemaliger Bonner Franziskanermönch, der vermutlich auch der neuen Richtung zuneigte, nach Oberdrees, wo er sich als Lehrer niederließ.
25 Jahre später zeigen sich noch immer zahlreiche Spuren der Reformation in den benachbarten Ortschaften. Es waren vor allem die Adeligen, die mehr oder weniger heimlich an dem mittlerweile verbotenen neuen Glauben festhielten oder ihm gar Unterschlupf gewährten. So erfahren wir im Jahre 1569, dass die Frau des Rheinbacher Amtmanns Johann von Brempt, wann immer ihr Mann auf Dienstreise war, mit ihren Kindern und ihrem Gesinde den Kirchgang verweigerte und sich stattdessen in den Wald begab, um an geheimen Konventikeln der „Ketzer“ teilzunehmen. Das waren aber weder Lutheraner noch Calvinisten, sondern die noch viel strenger verbotenen Täufer, die nicht einmal Kirchen und Kapellen hatten, in denen sie sich treffen durften. In der Zeit um 1570 war ihre Bewegung trotz einer gnadenlosen staatlichen Verfolgung im Rheinland zu beachtlicher Stärke angewachsen, und allenthalben findet man in den Dörfern und Städtchen Spuren ihres Wirkens.
Auch in Morenhoven finden sich 1569 noch Auswirkungen der Reformation. Der junge Pfarrer Heinrich Gangel stammt aus den Niederlanden, wo sich seine Eltern zum Calvinismus bekannt haben. Gangel hat sich aber nach Gesprächen mit einigen Geistlichen wieder der katholischen Kirche zugewandt, und nun will er in katholischer Weise Theologie studieren. In seiner Gemeinde gibt es einen Mann namens Roell, der sich zum Protestantismus bekennt, doch von dem heißt es in einer Quelle, „verum magis apparet ipsum impotem mentis, quam heretica pravitate infectus“. In der Sprache der damaligen Morenhovener bedeutet das „dä is kene Protestant, dä is beklopp.“
Den stärksten Rückhalt hatte die neue Lehre aber in der Person des Adeligen Luther Quadt von Landskron. Er war zugleich Herr in Flamersheim, Miel und in Oberwinter am Rhein. Als Reichsritter hatte er das Recht der Reformation für seine Besitzungen und seine Familie. Auf diese Weise setzte er in Miel und in der Burg von Flamersheim evangelischen Gottesdienst durch. In Miel, Müggenhausen und Kuchenheim gelang ihm sogar eine kirchspielübergreifende Gemeindebildung. Diese calvinistische Gemeinde konnte in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts mehr Geld zur Ausbildung eines Theologiestudenten beisteuern konnte als die in Köln. Diese Gemeinde Miel-Müggenhausen-Kuchenheim ist aber schon wenige Jahre später durch militärische Gewalt verschwunden. Und damit komme ich zu einem ganz anderen Kapitel dieser Zeit, das die Menschen auf schreckliche Weise durch fast die ganze Epoche begleitete: den Krieg.
Der Krieg, auf den ich hier zunächst anspiele, hat wieder etwas mit Reformation zu tun. Es ist der so genannte Kölnische oder auch Truchsessische Krieg, der seinen Namen nach dem Kölner Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg hatte. Auch dieser entschloss sich, genau wie Hermann von Wied, die Reformation in seinem Land und seinem Erzbistum einzuführen. Nur waren seine Beweggründe nicht so eindeutig religiöser Natur, ihm ging es vornehmlich um die Heirat mit einer schönen Frau, der Stiftsdame Agnes von Mansfeld. Der dadurch ausgelöste Kölnische Krieg gehört zu den blutigsten und gewalttätigsten Auseinandersetzungen, die sich auf rheinischem Boden ereignet haben.
Gegen den Truchsess und seine Anhänger machte vor allem das Herzogtum Bayern mobil, dem dann auch nach gewonnenem Kampf die Kölner Kurwürde zufiel. Aber zuerst einmal mussten die Truchsessischen aus ihren Stellungen in Bonn und auf der Godesburg vertrieben werden. Das bayerische Heer bezog direkt zwischen Flerzheim und Morenhoven ein Lager, um von hier aus die Belagerung von Bonn vorzubereiten. Die Bayern hausten furchtbar in der Umgebung, obwohl sie doch eigentlich für die Sache der katholisch gebliebenen Rheinländer kämpften. Auf der anderen Seite waren die Garnisonen von Bonn und der Godesburg auch nicht zimperlich. Den Abt von Heisterbach entführten die holländischen Söldner des Gebhard Truchsess aus seinem rechtsrheinischen Kloster und schleppten ihn auf die Godesburg. Zusammen mit ihm inhaftierten sie auch seinen Diener, einen zwölfjährigen Flerzheimer Knaben namens Matthias Frembgen. Schreckliches musste der Junge miterleben. Als die Bayern die Godesburg erstürmten, wehrten sich die Holländer mit geradezu fanatischer Verbissenheit, auch nachdem die Bayern den halben Burgberg mitsamt der Außenmauern kurzerhand in die Luft gesprengt hatten. Nur durch eine List gelang die Überrumpelung der Verteidiger, und die wurden nun gnadenlos Mann für Mann hingemeuchelt. Nur drei Menschen, der Abt, der Junge und der Oberbefehlshaber der Holländer, entkamen dem Gemetzel. Matthias Frembgen kehrte nach Flerzheim zurück, und ein Menschenalter später stieg er dort zum Schultheissen und Bürgermeister auf. Wir werden noch von ihm hören.
Kaum war Gebhard Truchsess geschlagen und das Land in der Hand des neuen Kölner Erzbischofs Ernst aus dem bayerischen Hause Wittelsbach vereint, als schon wieder Krieg herrschte. Von Holland aus waren einige hundert skrupellose Freibeuter, die sich auf den abgesetzten Gebhard Truchsess beriefen, in Bonn eingedrungen, hielten die Stadt besetzt und plünderten schamlos das gesamte Umland aus. In ganz Kurköln gab es keine Truppen mehr, die sie vertreiben konnten. Die einzige katholische Macht, die Soldaten in erreichbarer Nähe hatte, war das Königreich Spanien, das vom heutigen Belgien aus gegen die Niederländer kämpfte. Spanische Truppen strömten also ins Hinterland von Bonn. Sie waren wegen ihrer Rücksichtslosigkeit und ihrer Kompromisslosigkeit in Religionsfragen überall gefürchtet. Als sie nach der Eroberung Bonns wieder abzogen, gab es keine Gemeinde Müggenhausen-Miel mehr. Wir wissen nicht, was genau passiert ist, aber schön war es sicher nicht.
Kriege begleiteten von nun an das Leben der Menschen in Flerzheim. Dem Kölnischen Krieg folgte der Jülich-Klevische Erbfolgekrieg, diesem der Dreißigjährige Krieg, diesem der Holländische Krieg, diesem der Pfälzer Erbfolgekrieg, dann der Spanische Erbfolgekrieg, und so ging es weiter.
Vieles mussten die Menschen erdulden, selbst wenn das Swisttal nicht zum Schlachtfeld wurde. Bei einer Visitation im Jahre 1628 werden für die Pfarrkirche noch vier Altäre aufgezählt, der Hochaltar auf St. Peter, die Nebenaltäre auf Maria, Bernhard und Katharina geweiht. 1665 sind es noch drei, und sie sind ganz neu, ihre Weihetitel sind Martin, Maria und Matthias. Vermutlich also haben plündernde Soldaten die alten Altäre geschändet.
Aber nicht nur die Kirchen und ihre Schätze waren in Gefahr. Als die Hessen am Ende des Dreißigjährigen Krieges den Niederrhein bei Neuß in ihre Hand bekamen, tauchten ihre Streifscharen auch vor Flerzheim auf. Wahllos nahmen sie Flerzheimer gefangen und ließen sie erst wieder laufen, nachdem ein Lösegeld von 400 Reichstalern für sie einging. Das nannte man „Ranzionieren“ und es war eine sehr beliebte Methode für Landsknechte, um ihren Sold aufzubessern.
Damit das ihnen nicht auch so wie den Flerzheimern passieren könnte, mieteten sich im Nachbardorf Morenhoven etliche wohlhabendere Bauern in der Burg ihres notorisch klammen Grundherren ein. Der vermietete an Schutzsuchende Zimmer in der Burg für einen bis drei Reichstaler pro Woche, damals eine enorme Summe. So kann auch die größte Not noch für irgendjemanden von Nutzen sein.
Als 1673 der Holländische Krieg Kurköln an die Seite des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. führte, fielen Freund und Feind wie Heuschrecken über die Gegend her. Sowohl die französischen Truppen als auch die zu ihrer Vertreibung herangerückten kaiserlichen Soldaten und Reichskreiskontingente plünderten reihenweise die Pfarrkirchen, um an Gold und Silber zu kommen.
Schrecklich für Rheinbach und Umgebung wurde der 1. November 1673, als holländische Truppen von den Rheinbachern keine Unterstützung erhielten, sondern stattdessen beschossen wurden. Nach dem verlustreichen Sturm richteten die Holländer in der Stadt ein furchtbares Gemetzel an und brannten sie anschließend nieder. Doch auch danach gingen die alliierten Truppen nicht fort. Erst Holländer und dann Osnabrücker lagerten in Flerzheim und erlegten dem Dorf immer schwerere Kontributionen auf. Der holländische Oberbefehlshaber, der Prinz Wilhelm von Oranien, wohnte selbst einige Zeit im Haus Heisterbach, was nicht geringe Kosten für die Flerzheimer verursacht haben dürfte. Immerhin blieben die neuen Altäre in der Flerzheimer Kirche von Plünderung und Entweihung verschont, was schon einmal ein Trost war.
Als 1689 wieder ein Krieg Ludwigs XIV. gegen das Reich losbricht, läßt der Abt von Heisterbach sicherheitshalber die Rechnungs- und Lagerbücher von Flerzheim in das stark befestigte Bonn bringen, damit sie nicht durch kriegerische Handlungen zerstört werden und man später nicht mehr weiß, was die Flerzheimer jeweils an Abgaben an das Kloster zu leisten haben. Aber das erweist sich als ein verhängnisvoller Fehler, denn die brandenburgischen Truppen, die Bonn belagern, beschließen die vollständige Zerstörung der Stadt durch ein einwöchiges Bombardement. Und während in Flerzheim kein Schuß fällt, verbrennen in Bonn alle Abgabenregister zu Asche. Mühsam muß hinterher durch Befragung der Flerzheimer Einwohner die Abgabenlast rekonstruiert werden. Man würde zu gern wissen, ob sie danach nicht für manchen Flerzheimer ein wenig leichter geworden ist.
Kriege und Missernten brachten immer wieder einen schrecklichen Begleiter mit, der den Menschen das Leben zusätzlich schwer machte: Die Pest. Von 1590 bis 1669 sind immer wieder verheerende Pestzüge festzustellen. Am schlimmsten wütete die Seuche in den Jahren 1665 bis 1669.
Aber auch um 1628 gab es eine schlimme Pestwelle, die im Zusammenhang mit einer Serie von Missernten steht. Sie ist wohl mitverantwortlich dafür, dass nun die Menschen verstärkt bereit waren, Verschwörungstheorien von Hexern und Hexen zu glauben, die – als harmlose Nachbarn getarnt – Hagelwetter, Fröste, Krankheiten und dergleichen herbeizauberten.
Genau 1628, als die Pest um sich zu greifen beginnt und der ganze Sommer ohne Sonnenschein und Wärme ist, taucht in Flerzheim die erste Hexereianklage vor dem Schöffengericht auf. Der Schultheiß hat aber anscheinend die Sache verschleppt, wohl weil er nicht so recht von der Wahrheit der Hexenlehre überzeugt war. Es ist kein anderer als Matthias Frembgen, der als 12jähriger Knabe schon in der Godesburg die Auswirkungen von Fanatismus hat mit ansehen müssen. Der Prozeß wird ihm entzogen und ans kurfürstliche Gericht in Bonn verwiesen. Aber in Flerzheim wird erst einmal kein weiterer Prozeß angestrengt. Das ändert sich allerdings 1631, als hier wieder Hexenprozesse anhängig werden. Und der erste, der angeklagt und verurteilt wird, ist der Schultheiß Matthias Frembgen selber. Als er aus dem Weg geräumt ist, können die Flerzheimer Hexenjäger beliebig schalten und walten. Die Unterstützung der Familie Schall von Bell ist ihnen sicher, und so müssen ca. 30 Flerzheimerinnen und Flerzheimer zwischen 1631 und 1632 auf dem Scheiterhaufen ihr Leben lassen.
Pest, Zauber, Hexerei – die Menschen hatten viel, wovor sie sich ängstigten. Was taten sie nun, um sich zu schützen? Nun, einmal suchten sie Trost bei der Kirche. Als die große Pestepidemie von 1669 hereinbrach, waren keine medizinischen Mittel dagegen vorhanden. Also veranstalteten die Menschen in Rheinbach und Umgebung Wallfahrten zum Kalvarienberg in Ahrweiler, um Schutz im Gebet zu finden. Natürlich konnte durch solche Aktionen die Gefahr der Ansteckung gesteigert werden, aber für viele war das immer noch besser als untätig auf die Gefahr zu warten. Daneben versuchten die Menschen, durch das Aufstellen von Pestkreuzen die Seuche abzuwenden. Sie stehen heute noch, auf der Nussbaumstraße und auf der Konrad-Adenauer-Strasse.
Neben den Heilmitteln der Kirche gab es aber auch andere, die gegen die Gefahren des Alltags helfen konnten. In Morenhoven, so erfahren wir bei einer Visitation, gab es im Jahre 1665 gleich zwei Frauen, die sich auf magische Dinge verstanden. Die eine floh vor den Visitatoren in den Wald, so dass man nicht genau weiß, welches ihre Künste waren. Die andere, so heißt es „ist die bekente alte fraw, so den hohen bendell brauchet“. Sie ist also eine Wahrsagerin, die mit dem Pendel die Zukunft voraussagt. Pendeln, Sieb-Drehen und ähnliche Praktiken waren sehr beliebt als Mittel, einen Blick in die ungewisse Zukunft zu werfen. Besonders junge Mädchen, die wissen wollten, wer ihr Ehemann werden könnte, waren sehr interessiert daran. Heirat hatte in dieser Zeit schließlich nichts mit Liebe zu tun. Die Ehen wurden arrangiert, allerdings nicht ohne vorher einen Sympathietest durchzuführen. Die Burschen, die in der Nacht zum 1. Mai in Flerzheim und anderswo den Mädchen einen Maibaum an die Hauswand gestellt hatten, fanden sich einige Nächte später über eine Leiter in der Kammer des Mädchens ein. Gegen Schläge auf den Hinterkopf, falls der wütende Vater sie beim Hochsteigen entdecken sollten, trugen sie eine Art Schutzhelm aus Stroh, die sogenannte „Schlut“. Daher nannte man das Fensterln hier bei uns auch „Schlutgehen“.
Neben den harmlosen Wahrsagerinnen gab es aber auch die Spezialisten, die man aufsuchte, wenn man sich von einer Hexe bedroht fühlte. Auch für die Umgebung von Rheinbach ist in der Zeit der großen Hexenverfolgung ein solcher Magie-Spezialist bezeugt, bei dem ein verzweifelter Vater Rat sucht, weil er sein Kind behext glaubt. Die Verhaftung einer Schöffenfrau als Hexe ist die Folge.
Aber das Leben unserer Vorfahren bestand nicht nur aus Angst, Not und Verzweiflung. Menschen wollen lachen, sie wollen Freude schenken und Freude erleben, sie wollen feiern und ausgelassen sein. Das taten die Menschen auch in Flerzheim und Umgebung. Leider suchten sie sich nicht gerade den besten Anlaß aus, um ihrer Feierlust Ausdruck zu verleihen. „Excessus bei der dodenwachten“, Exzesse bei der Totenwache in der Kirche, das war einer der häufigsten Kritikpunkte, die von den Pfarrern bei Befragungen in Visitationen vorgebracht wurden. „Excessus enormes in saltando et potitando“, „enorme Missbräuche durch Tanzen und Saufen“ beklagt 1665 Pfarrer Andreas Broich in Morenhoven, wenn es um die Ärgernisse bei der Totenwache in der Kirche geht.
Da sind die Flerzheimer schon besser. Die Ausschweifungen bei der Totenwache waren hier nämlich ursprünglich nicht weniger wild als in Morenhoven. Aber der Pfarrer hatte den Menschen ins Gewissen geredet, und jetzt, so sagt er, beten sie eine Weile still beim aufgebahrten Leichnam, und dann gehen sie brav nach Hause.
Spiel und Spaß kamen aber dennoch nicht zu kurz. Kartenspielen war eine der beliebtesten Vergnügungen der jungen Burschen und der Männer, wie uns die Quellen des 17. Jahrhunderts verraten. In Meckenheim allerdings gehörte der Sonntagnachmittag schon 1665 dem Fußballspiel – oder was immer man in dieser Zeit darunter verstand. Die Fifa wäre mit den damaligen Regeln jedenfalls nicht einverstanden gewesen, war Fußball damals doch etwas, das wir heute eher mit einer Wirtshausschlägerei vergleichen würden.
Diese ganze Epoche mit ihren dunklen und hellen Seiten endete, als 1794 die Truppen der französischen Revolutionsarmee eintrafen. Schon vorher hatten sich in Rheinbach und Meckenheim kleinere aufgeklärte Zirkel gebildet, in denen die Gedanken der Revolution diskutiert wurden. Ob diese Aufregung auch Flerzheim erreichte, ist nicht nachprüfbar. Die Auswirkungen der Revolution und der Besetzung des linken Rheinufers auf Flerzheim aber waren gravierend. Durch die Enteignung des Klosterbesitzes und durch den Zusammenbruch des Kurstaates versank die alte Ordnung. Ein neues, bürgerliches Zeitalter zog heran. Aber das ist Stoff für einen anderen Vortrag.
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