"Es ist allhie gar ein kaltes Volk." Gegenreformation und katholische Reform unter Ferdinand von Wittelsbach, Erzbischof und Kurfürst von Köln 1595-1612

      von Thomas P. Becker

      Als 1577 nach dem Rücktritt Salentins von Isenburg der Kölner Bischofsstuhl neu zu besetzen war, kam es nicht von ungefähr, daß der bayerische Kandidat, der junge Herzog Ernst, trotz einer Vielzahl von Empfehlungen aus Wien, Rom. Madrid, Brüssel und sogar aus den protestantischen Herrschersitzen Dresden und Berlin dem Reichsgrafen Gebhard Truchseß von Waldburg unterlag. Köln war ein "Grafenstift", eine Versorgungsbasis für die nachgeborenen Söhne des mittleren Reichsadels. Der Fürstensohn aus einem ehrgeizigen Herzogshaus, welches schon seit Jahrhunderten in stetiger Konkurrenz zu seinem glücklicheren Nachbarn Habsburg um die Macht buhlte, paßte nicht ins Konzept der Grafensöhne, deren dynastisches Denken sich auf die Ausnutzung der sogenannten Turnus-Praxis für die Versorgung von Brüdern, Vettern und Neffen richtete. Hinzu kam im Spiel der hohen Politik der Konflikt zwischen aufsteigender Fürsten- und sinkender Grafenmacht, wie er deutlich wird am Bemühen des Wetterauer Grafenvereins, der sich verzweifelt diesem Zug der Zeit entgegenzustellen versuchte. Der Kampf der Wetterauer um die Durchsetzung ihrer spezifischen Auffassung der "Freistellung", d.h. vom Recht auf die Loslösung von der katholischen Konfessiona auch innerhalb geistlicher Territorien, läßt sich nicht von der Sorge um die schwindende politische Einflußnahme trennen. Immerhin stellte die Kölner Kurwürde, die aus der Schar der gräflichen Domkanoniker besetzt wurde, für den Reichsgrafenstand ein wichtiges Sprachrohr dar. Die Interessen der Grafen hatten 1577 die Wahl des Bayern verhindert, und die Interessen der Grafen - oder zumindest einen Teils von ihnen - hatten Gebhard Truchseß zu seinem verhängnisvollen Entschluß verleitet, 1582 die Freistellung im geistlichen Erzstift Köln trotz des "geistlichen Vorbehalts", der dies als geheimer Anhang zum Augsburger Religionsfrieden verbot, mit Waffengewalt durchzusetzen. Von der gräflichen Freistellungs-Politik auf den Reichstagen der 60er und 70er jahre führt eine direkte Linie zum Kölner Krieg und zu den Straßburger Wirren der 80er Jahre. Das wußte man auch im Kölner Domkapitel, und deswegen fiel es schwer, nach dem Sieg der katholischen Waffen über den glücklosen Gebhard Truchseß und seine Wetterauer Freunde den im März 1583 erneut zur Wahl stehenden Ernst ein weiteres Mal abzuschlagen.. Trotzdem machten sie es sich nicht leicht. Enorme Bestechungsgelder waren notwendig, um den Grafen die Wahl eines Fürstensohnes "abzukaufen". Die häufig zitierte verächtliche Bemerkung des päpstlichen Nuntius Malaspina, nie habe er käuflichere Leute gesehen, zeigt weniger die Verderbtheit der Kanoniker als vielmehr die Unfähigkeit des Italieners, die Lage des deutschen Grafenstandes zu verstehen.

      Ab 1583 gab es also zum ersten Mal seit Walram von Jülich (1332 - 1349) wieder einen Kölner Erzbischof, der aus einem hochadeligen Haus stammte. Zugleich war damit der Kandidat der katholischen Seite durchgesetzt worden, d.h. der Kandidat Roms, Madrids und Wiens. Ernst von Wittelsbach war allerdings alles andere als ein Bischof nach tridentinischen Idealvorstellungen. Weder von seiner Persönlichkeit noch von seiner kirchlichen Stellung her erfüllte er die Anforderungen des Tridentinums. Persönlich war er zwar katholisch, wies auch jedes Ansinnen zum Glaubenswechsel von sich5, ja, er war sogar seit 1577 zum Priester geweiht, doch war er weder enthaltsam noch sonderlich fromm, von irgendwelchem Reformeifer für die Sache der katholischen Kirche ganz zu schweigen. Ernst war ein Opfer der zielstrebigen Machtpolitik seines Vaters und seines älteren Bruders, die ihn zum bischof bestimmt hatten, obwohl ers selbst niemals den geistlichen Stand hatte wählen wollen. In einem langen Zermürbungsprozeß war es dem bayerischen Herzog Wilhelm gelungen, seinen Bruder zum resignierten Nachgeben zu bewegen und somit als Instrument für seine Bistumspolitik zu gewinnen6. Und war Ernst schon seines unpriesterlichen Lebenswandels wegen eine Belastung für die römische Kurie, so war es seine Stellung als Bischof ebenfalls, denn die bayerische Bistumspolitik hatte ihm schon vor der Wahl in Köln die Bistümer Freising, Hildesheim und Lüttich eingebracht. Damit verstieß der Kandidat der päpstlichen Partei gegen eines der wichtigsten Dekrete des Tridentinums, gegen das Verbot der Pfründenhäufung und gegen die damit verbundene Verpflichtung zur Residenz. Rom hatte jedoch keine Wahl, wollte es das Erzbistum Köln vor Gebhard Truchseß retten. Das Desinteresse des neuen Erzbischofs in Fragen der katholischen Erneuerung versteht sich angesichts dieser Situation von selbst.

      Die Reform des Kölner Kirchenwesens wurde im Jahrzehnt nach der Absetzung Gebhards nicht Sache des Erzbischofs sondern der päpstlichen Nuntiatur. Rom hatte sich entschlossen, zur Sicherung der bedrohten und zweimal nur mit Mühe gehaltenen Kirchenprovinz eine ständige Nuntiatur einzurichten. Die Nuntien gaben sich äußerste Mühe, die Reform des desolaten Kirchenwesens voranzutreiben, doch außerhalb des Machtbereichs der souveränen und stets katholisch gebliebenen Stadt Köln war ihnen nur sehr mäßiger Erfolg beschieden. Der Grund dafür lag nicht etwa in einer straken Wirksamkeit des Protestantismus oder in anderern anitkatholischen bzw. antireformatorischen Tendenzen, sondern in der politischen und vor allem in der finanziellen Situation des Kurstaates.

      Schon die Fehden des streitlustigen Erzbischofs Dietrich von Moers im 15. Jahrhundert hatten das Erzstift Köln mit hohen Schulden belastet, deren Tilgung gegen Ende des 16. Jahrhunderts noch nicht beendet war. Der Krieg 1583/84 hatte dazu noch einmal ganze Schuldenberge angehäuft, über deren Abtragung vollkommene Ratlosigkeit herrschte. Als ob damit noch nicht genug geschehen wäre, tauchte das Gespenst des Kölner Krieges in den nächsten Jahren immer wieder auf: Zunächst 1584 in Neuß, und zuletzt 1587 in Bonn. Beide Male hatten Söldner aus den Niederlanden die Stäfte besetzt, die sich "Truchsessische" nannten und die ihr Handeln durch den Anspruch Gebhards auf das Erzstift legitimierten, obwohl doch jeder wußte, daß sie aus den Generalstaaten stammten. Und beide Male war die Rechnung der Niederländer aufgegangen, weil der machtlose Kurfürst Ernst die Spanier aus ihrer südniederländischen Provinz zur Hilfe holen mußte. Die spanischen Truppen waren nicht zimperlich, und wenn der Kurfürst vermeiden wollte, daß die Verbündeten sein Land über Gebühr ausplünderten, mußte er sie angemessen versorgen und entlohnen. Das bedeutete neue Schulden, während die Zinsen für die alten Lasten weiterwuchsen. Dadurch fehlten die Mittel, die für eine Förderung der katholischen Reform dringend gebraucht wurden. Für bessere Dotierung der Pfarrstellen, für den Wiederaufbau kriegszerstörter Kirchen, für den Aufbau eines Priesterseminars, für die Verbreitung geeigneter liturgischer und pastoraler Bücher etc. fehlte das Geld. Die ersten beiden Nuntien, Bonomi und Frangipani, mußten notgedrungen den größten Teil ihrer Tatkraft auf die Lösung der drängenden Finanzfrage wie auch auf die Beendigung des immer wieder aufflackernden Krieges verwenden. Was ihnen an Zeit blieb, wurde oft genug durch die Auseinandersetzungen mit dem Erzbischof absorbiert. Ernst war nach wie vor an der Förderung kirchlicher Anliegen wenig interessiert, dfür aber bereit, zur Lösung der Finanznöte härteste Steuer- und Polizeimaßnahmen, ja sogar Brutalität, Betrug und Erpressung anzuwenden.

      Die Zeit der katholischen Erneuerung und die wirklich neue Epoche in der Geschichte der Kölner Erzbischöfe begann 1595. Auf Druck des Nuntius Garzodoro hatte Ernst eingewilligt, seinen erst 18jährigen Neffen Ferdinand als Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge anzunehmen. Viel gravierender war, daß er sich ebenfalls bereiterklärte - gegen eine stattliche Jahresrente allerdings - sich in sein Bistum Lüttich zurückzuziehen und dem unerfahrenen jungen Mann die weltlichen und geistlichen Geschicke seiner Kölner Besitzungen zu überlassen. Mit dieser Koadjutorie war zweierlei erreicht worden: Erstens war der eigentliche Erzbischof, den man mit Recht als Reformhindernis bezeichnen kann, abgeschoben worden, so daß der Weg nun frei war für eine konstruktive Poltik - im Weltlichen wie im Geistlichen. zum anderen hatte das Haus Wittelsbach mit diesem Schachzug aus dem momentanen Machtgewinn von 1583 eine feste Institution geschaffen, eine Sekundogenitur, welche die Verbindung München - Köln in die Zukunft hinein festschrieb. Nur durch Unachtsamkeit wurde sie nach 178 Jahren im Jahre 1761 nicht mehr fortgeführt. Nichts zeigt deutlicher die Berechtigung der gräflichen Widerständler gegen den fürstlichen Bewerber als diese Kontinuität, die trotz formalem Fortbestehens des Domkapitels eine dynastische Linie in die kurkölnische Politik brachte. Das Erzstift Köln bewahrte sich zwar immer eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber der Münchener Regierung, aber die Verbindung und die politische Anlehnung blieben dennoch bestehen.

      Ferdinand stand seinem geistlichen Amt im Gegensatz zu seinem unglücklichen Onkel nicht negativ gegenüber. Am 7.10.1577 in München geboren war er genauso alt wie die bayerische Politik in Richtung Kurköln. Als er neun Jahre alt war, wurde er zusammen mit seinem Bruder Philipp auf das Ingolstädter Jesuitengymnasium geschickt, das von bedeutenden Jesuiten wie Petrus Canisius geprägt worden war. Die Erziehung durch die Jesuiten dürfte sicher ein Schlüssel für viele Verhaltensweisen und Einstellungen in seiner Regierungszeit als Erzbischof sein. Das bedeutet aber nicht, daß Ferdinand bereit gewesen wäre, sich den Anforderungen des tridentinischen Priester- und Bischofsideals zu unterwerfen. Edith Ennen schildert uns Ferdinand als einen "liebenswerten, bescheidenen, lebensfrohen, den schönen Künsten und der Jagd leidenschaftlich ergebenen, auf sein schweres Amt aber noch wenig vorbereiteten jungen Mann." Auch nach den ersten Lehrjahren, in denen er sich schnell in die schwere Kunst des Regierens eingefunden hatte, blieb er im wesentlichen der leidenschaftliche Jäger und Kunstliebhaber, dessen unbestrittene persönliche Frömmigkeit und romtreue Haltung ihn nicht dazu veranlassen konnten, die Priesterweihe oder die Bischofsweihe zu empfangen.

      Es war ein schwere Erbe, was Ferdinand anzutreten hatte, und das war gerade im kirchlichen Bereich keineswegs eine Folge des langen Krieges sondern eher das Ergebnis einer religiösen Lauheit, die dazu geführt hatte, daß die rheinische Bevölkerung sowohl den Neuerungen der Reformatoren als auch den neuen Katholizismus-Konzepten der Jesuiten gleichermaßen skeptisch und indifferent gegenüberstand11. Waren schon vor dem Krieg Pastoral und Katechese vom Standpunkt des Reformkonzils aus unhaltbar gewesen, wie die Berichte der salentinischen Visitation von 1569 zeigen12, so fehlte den geistlichen Institutionen nunmehr schon der äußere Rahmen zur Erfüllung ihrer Funktion. Besonders die Klöster befanden sich überwiegend in einem Zustand der Verwahrlosung und Orientierungslosigkeit. Die Pfarrgeistlichkeit war schlecht besoldet und schlecht ausgebildet, die höhere Geistlichkeit wenig an ihren liturgischen Pflichten interessiert. Doch das war nicht einmal das dringendste Problem, denn die Jesuiten hatten ihn nicht darauf vorbereitet, ein vom Krieg zerrüttetes und von der "rothen Rotte", der Spezialeinheit seines Onkels und Vorgängers, bis aufs Blut ausgesaugtes Land zu übernehmen, wo zudem noch die Stände jede seiner Bewegungen mißtrauisch beäugten und die leidigen Finanzprobleme die politische Bewegungsfreiheit weit über das erträgliche Maß hinaus einschnürten. Nicht einmal in seine Residenzstadt Bonn konnte Ferdinand ohne weiteres einziehen, denn der Lütticher Oberst Hermann von Linden, ein im Volk verhaßter Günstling des Kurfürsten Ernst, wollte mit seiner Besatzung erst abziehen, wenn die Soldrückstände von mehr als 6000 Reichstalern bezahlt seien13. Zu allem Übel kamen in den nächsten Jahren mehrere Pestepidemien - die erste schon 1597 - und eine mißratene Weinernte: "O mein Speer", schreibt Ferdinand am 31. Oktober 1597 an einen ihm vertrauten Münchener Hofrat, "wol gehts vnss so übel, zum thail vnd principaliter mit dem weissen wein, ist schier alles zerfroren. Dominus dedit, Dominus abstulit, sit nomen Domini nihilominus benedictum."

      Das war der Rahmen, der sich Ferdinand bot, als er 1595 daran ging, die katholische Reform in der Erzdiözese Köln zu verwirklichen. Er ging jedoch von Anfang an mit frischem Mut und mit dem Ungestüm der Jugend an die schwierige Aufgabe der Kirchenreform heran. Am 15. März 1596, als er gerade die endgültige Bestätigung seiner Koadjutorie durch das Domkapitel erhalten hatte, berichtete er seiner Mutter über die offizielle Regierungsübernahme: Als er 1590 Domherr geworden sei, habe er, als er den Eid leisten sollte, "zwe finger auffs euangelibuech gelegt vnd hernach ein euangeli, das ungeuar khomen, gelesen; das ist gewesen: Erat Jesus eijciens demonium et illud erat mutum etc. Wie ih iez iuramentum capitulationis gethon vnd auh ein euangeli gelesen, ist mir eben das vorig in die hand khomen: Erat Jesus eijciens demonium et illud erat mutum, vnd ist in der warheit in dem capitl ein mutum demonium zue zeiten darinnen ... Ob Got der almehtig mit sein gnad verlihe, das man das thombcapitl ein wenig reformiere vnd das demonium mutum ejicitur ..."

      Bei seinen Reformansätzen konnte Ferdinand vielfach an die bisher meist vergeblichen Bemühungen der Nuntien anknüpfen. So wurden die Insassinnen der etwa 30 Frauenklöster, wo "vil magna scandala und auch flagitia ... geschehen sein", wieder an eine Beobachtung der Klausur gewöhnt. Immer noch war wegen umherschweifender Söldnerbanden und auch wegen der Pest an eine Generalvisitation nicht zu denken, die ja schon seit der Zeit des Erzbischofs Adolpf von Schauenburg von allen Reformkräften dringend erwünscht wurde. Aber der junge Koadjutor ließ sich davon nicht beirren. In seiner Eigenschaft als Propst des Cassiusstiftes und Archidiakon des Archidiakonates Bonn nahm er persönlich eine Visitation des Dekanates Ahrgau vor. Dazu ließ er die 72 Pfarrer, von denen 40 erschienen, am 5. März 1597 ins Minoritenkloster in Bonn bestellen. nach Abschluß der Visitation wurde eine Mahnschrift abgefaßt und allen Seelsorgern des Dekanates zugestellt, um durch diese Vorschriften wenigstens die gröbsten Mängel abzustellen. Bei diesem Dekret, aus dem wir gewissermaßen die Einschätzung der Situation ablesen können, geht es um liturgische Fragen (Sakramentenritus, Ewiges Licht vor dem Tabernakel, Brevierbeten), um kirchendisziplinäre Fragen (Konkubinat, Pfründenhäufung, Investitur, Matrimonialgerichtsbarkeit) und um verwaltungsrechtliche Fragen, die in den Bereich der kirchlichen Reform hineinragten (Kollatoren, die Kirchengüter schmälerten oder unterschlugen, waren anzuzeigen, ebenso solche, die Verordnungen erlassen hatten, die dem geistlichen Recht widersprachen. Ordensleute, die Pfarrstellen besetzten, hatten innerhalb von 14 Tagen die Genehmigung ihrer Ordensoberen vorzulegen). Obwohl es sich insgesamt um Einzelmaßnahmen handelte, zeigte der Koadjutor sich nicht unzufrieden. An seinen Vater, den Herzog Wilhelm von Bayern, schrieb er fünf Tage nach der Visitation: "Gott gebe,. das es initia sein viler anderer guetter reformationen, so in künftiger zeit mit der gnadt Gottes khinen angestelt werden." Ermutigt durch diesen ersten Erfolg fügte Ferdinand im Oktober des gleichen Jahres 1597 eine Visitation des Vestes Recklinghausen an. Die VERhältnisse lagen auch hier sehr im argen, aber die Ausgangssituation war günstiger als im Erzstift, so daß sich abermals das Gefühl des Erfolges einstellte. "Die raiss ist gleichwoll auch zu sonderer Gottes ehren geraicht und ist der armen verwüsten kirchen im flecken alda zu gueten kommen ..." schreibt der Hoftheologe Ferdinands, Johannes Cholinus, an den Herzog in München.

      Einen deutlichen Markstein für die Etablierung der katholischen Reform setzte Ferdinand im Herbst des nächsten Jahres: Am 2. Oktober 1598 hielt er eine Diözesansynode ab. Damit waren zum ersten Mal seit Frangipanis Fastensynode von 1590 wieder alle Teile des weiten Sprengels versammelt, um über Fragen des Glaubens zu beraten. Diese Synode wurde grundlegend für die ab 1601 eingeleiteten Maßnahmen. Die sofort gedruckten Bestimmungen behandelten in fünf Teilen die Kanoniker, die Pastöre, Landdechanten, Prediger und Beichtväter, die umherschweifenden Priester, die Ordensgeistlichen und die Laien. Reinhaltung der Lehre und der Sitte waren die Hauptanliegen dieser Synode, deren Beschlüsse vielfach dem Wortlaut der tridentinischen Dekrete folgten. Sie lesen sich als Grundsatzprogramm für die Aktivitäten der kommenden Jahrzehnte:

      • Die Kanoniker wurden zu Beobachtung der Canones über ihren Lebenswandel angehalten, insbesondere, was Simonie, Konkubinat, Ehebruch, Trunkenheit, Tonsur und geistliche Kleidung anging. Außerdem wurden sie aufgefordert, ihrer Residenzpflicht und ihrem Chorgebet nachzukommen und sich von weltlichen Angelegenheiten sowie von dem unerlaubten Besuch von Nonneklöstern fernzuhalten. Die Vorsteher der Kapitel sollten die Einhaltung der Vorschriften überwachen, weil andernfalls der Bischof selbst einschreiten werde.
      • Die Pfarrer sollten sich über Jurisdiktion und Investitur bei ihren Dechanten ausweisen und in deren Hände die Professio fidie tridentina ablegen. Auch sie wurden zur Beachtung der Residenzpflicht angehalten. Tauf- und Ehesakramente sollten sie nur in der Kirche spenden. Das Dekret "Tametsi" des Tridentinums, das schon 1589 vom Nuntius verkündet worden war, wird noch einmal feierlich in das Synodaldekret übernommen. Die Lehrer der Pfarrschulen waren von den Pfarrern auf ihren Glauben, ihren Lebenswandel und ihre wissenschaftliche Ausbildung hin geprüft werden und die professio fidei in die Hände des Pfarrers ablegen. Auch die theologische Bildung und der Lebenswandel der Pfarrer sollte überprüft werden, und zwar durch eine Kommission aus Köln. Irgendwelche angestammten Privilegien sollten für die Durchführung dieser Bestimmungen kein Hindernis sein. Das Dekret "Tametsi" über die Ehe war des öfteren von den Kanzeln zu verkündigen, damit das Volk keine Unwissenheit vorschützen könne.
      • Unherschweifende und fremde Priester durften in keiner Kirche eine gottesdienstliche Handlung vornehmen, bevor sie nicht über die Gültigkeit ihrer Weihe, über reinen Lebenswandel, Ausbildung und Titel durch Zeugnis ihres Ordinarius ausgewiesen waren. Außerdem benötigten sie eine schriftliche Erlaubnis des Generalvikars oder in dessen Abwesenheit des Landdechanten.
      • Die Ordensoberen sollten die Beichtväter für die ihnen unterstellten Ordensleute prüfen oder prüfen lassen. Die Beichtväter der Nonnenklöster benötigten eine Vollmacht und die Approbation des Bischofs oder seines Generalvikars. Außerdem sollte zwei- bis dreimal in Jahr ein vom Bischof bestimmter außerordentlicher Beichtvater in den Nonnenklöstern die Beichte anbieten. Ordensleute, die keine Vollmacht ihrer Oberen besaßen, sollten nicht predigen dürfen, und auch mit dieser Erlaubnis sollten sie erst vom Bischif den Segen erbitten, bevor sie zu predigen begannen; in Kirchen, die nicht dem Orden gehörten, bedurften sie darüber hinaus noch einer ausdrücklcihen Erlaubnis des Bsichofs. Die Klausur sollte wiederhergestellt und Unbefugten ihr Betreten bei Strafe der sofortigen Exkommunikation verboten sein. Auch das Armutsgebot sollte beachtet werden.
      • Dem Volk sollte die Sonntagspflicht eingeschärft werden. Ebenso war es zu häufigem Kirchenbesuch anzuhalten, besonders an den Hauptfesten der Kölner Kirche. Den Meßbesuchern an diesen Festen sollte ein vierzigtägiger Ablaß gewährt werden. Sonn- und feiertags sollten die Wein- und Bierstuben während des der Zeit des Gottesdienstes nur Fremden und Reisenden geöffnet sein. Die Gläubigen sollten ermahnt werden, einmal im Jahr zu beichten und zu Ostern die Heilige Kommunion zu empfangen.

      Das eine wichtige Werkzeug zur Durchführung kirchlicher Reformmaßnahmen, die Diözesansynode, war angesetzt worden. Jetzt blieb noch das andere, die nie aus den Augen verlorene Generalvisitation. Um hier Abhilfe zu schaffen, obwohl die unsicheren Wegverhältnisse eine Visitation in üblicher Form immer noch nicht zuließen, verfiel der Koadjutor auf einen Gedanken, zu dem ihm der Anstoß aus Bayern und aus Münster gekommen war: Am 23. September 1599 richtete Ferdinand ein Schreiben an den Kurfürsten Ernst in Lüttich, in welchem er vorschlug, zur Besserung der Zustände im Stift einen geistlichen Rat einzurichten, der sich neben dem Generalvikar, den Sieglern und anderen schon existierenden Beamten speziell der Regelung der geistlichen Angelegenheiten widmen sollte. Dieses neue Gremium trat zwei Jahre später unter dem Namen "Kirchenrat" (congregatio ecclesiastica) unter dem Vorsitz des Nuntius zu seiner ersten Sitzung zusammen. Die neue Behörde, die zweimal wöchentlich tagte, begann ab Sommer 1601 mit der Visitation, allerdings in der "stationierten" Form, die Ferdinand selbst schon 1597 bei der Ahrgau-Visitation angewandt hatte: Man ging nicht in die Pfarreien hinaus sondern bestellte die Pfarrer zum Bericht nach Köln. Ziel dieser Befragungen war die Überwachung der Diözesanstatuten von 1598.

      Wichtiger und symbolträchtiger als diese Überwachungen waren weitere Maßnahmen, die Ferdinand in den nächsten Jahren zusammen mit dem Kirchenrat zu verwirklichen suchte: Einmal die Errichtung eines Priesterseminars und zweitens die Neubearbeitung von Agende, Missale und Brevier. In beiden Fällen war der Mangel längst bekannt, in beiden Fällen dauerte es aber gut 15 Jahre, bis 1614/15 endlich die Pläne verwirklicht werden konnten.

      Das Priesterseminar war angesichts der katastrophalen Lage in der Seelsorge ein dringendes Desiderat. Trotzdem wurde seine Errichtung über Jahre hinaus verhindert. Der wichtigste Grund dafür war das wohlbekannte leidige Übel - Geldmangel! Das betraf einerseits die Notwendigkeit, die Einkünfte der Pfarrer auf dem Land zu erhöhen, die oft in erbärmlichen Umständen lebten, und andererseits die eigentliche Fundierung des Seminars. Der Klerus des Erzstiftes wehrte sich immer wieder hartnäckig gegen die Errichtung dieses Seminars, weil der einzige gangbar Weg dorthin die vom Tridentinum vorgesehene Besteuerung des Gesamtklerus war. Auch die Spannungen zwischen Ferdinand und dem Nuntius Garzodoro trugen bis zu dessen Ablösung 1606 dazu bei, den Fortschritt der Seminarpläne aufzuhalten. Mit Garzodoros Nahfolger Amalteo wollte Ferdinand die Angelegenheit gar nicht erst erläutern. Der Nuntius Albergati konnte zwar die Beziehung zum Erzbischof wiederherstellen, aber dafür kam er mit der Frage des Beitrages des Klerus nicht weiter. So entschloß sich Ferdinand, seit 1612 selbst Kurfürst und Erzbischof, zur Schaffung vollendeter Tatsachen: Am 30. November 1615 leisteten die ersten 12 Kölner Seminaristen in der Wohnung des Dompropstes den Treueid. Am nächsten Tag zogen sie in das Haus "zum Freudenberg", das von den Jesuiten zur Miete überlassen worden war. Die Jesuiten übernahmen auch die Leitung des Seminars. Leider sollte es nur Episode bleiben. Nach etlichen Jahren der Wirksamkeit mußte es aus finanziellen Gründen seine Tätigkeit einstellen.

      Im Seelsorgeklerus wurden immer wieder Klagen laut, daß im Erzbistum Köln keine den Zeitanforderungen entsprechende Agende bestand. In Köln gab es eine Agende aus dem Jahre 1521, die mit ihren sechs Gliederungspunkten schon längst nicht mehr als ausreichend angesehen wurde. 1599 schon beauftragte Ferdinand den späteren Weihbischof Johann Nopel mit der Revision von Agende und Missale. Die Bearbeitung wurde jedoch immer wieder verschleppt, und so dauerte es fünfzehn Jahre, bis am 30. Juni 1614 das neue Kölner Diözesanrituale herauskam. Diese Agende war ein umfangreiches Handbuch mit 73 Gliederungspunkten, worin neben ausführlichen Instruktionen über die Sakramente und ihre Spendung Verordnungen über das Predigtamt, Fast- und Abstinenztage, über die Pastoral, über die Pflichten der Küster, Kapläne, Lehrer usw. zu finden waren. Jeder Pfarrer wurde verpflichtet, sich die neue Agende anzuschaffen und sie eifrig zu studieren. In ähnlich langer Zeit und mit ähnlicher Bedeutung für die Pfarrgeistlichen erfolgte die Neuausgabe von Brevier (1618) und Missale (1626).

      Es fällt auf, daß die meisten der Reformmaßnahmen Ferdinands schon in der Zeit angelegt waren, als er noch als Koadjutor unter der nominellen Hoheit des Kurfürsten Ernst amtierte. Ausgenommen davon ist vor allem die Generalvisitation, die seit den Zeiten Adolphs von Schauenburg das erklärte Ziel der Kölner Erzbischöfe war. Der Kirchenrat hatte diese Generalvisitation mit dem ineffektiven Mittel der stationierten Visitation zu meistern versucht, d.h durch Einbestellung der Pfarrer nach Köln. Erst nach der Amtsübernahme Ferdinands im Jahre 1612 und nach der endgültigen Entmachtung des Kirchenrates 1615 änderte sich das. Ab 1613 wurde das ganze Herzogtum Westfalen visitiert15. Seit 1616 finden wir den Generalvikar Schulcken unermüdlich auf Visitationsreisen in der ganzen Erzdiözese. Er nimmt den Stier gleich bei den Hörnern und beginnt die Visitationen in Jülich-Berg, wo biher seitens der Düsseldorfer Regierung die stärksten Vorbehalte gegen die Ausübung der erzbischöflichen Jurisdiktion gewesen waren. Die Tatsache, daß mittlerweile statt des erasmianischen Hauses Kleve der Konvertit Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg in Düsseldorf regierte, hatte an der ablehnenden Haltung der herzoglichen Regierung gegen die erzbischöfliche Visitation nichts geändert. Dennoch vermag es Schulcken, 1616 Teile des Dekanates Deutz und 1617 die weit in das Herzogtum Jülich hineinragenden Christianitäten Bergheim, Neuss, Ahrgau und Eifel zu visitieren16. Damit war neben der Diözesansynode der zweite Hebel zur Durchsetzung der katholischen Reform angesetzt. Bezeichnenderweise ist aber nicht mehr der Erzbischof der eigentliche Träger des Reformwerkes, sondern der Generalvikar. In den kommenden Jahrzehnten bis in die Zeit Joseph Clemens' hinein werden sie es sein, die das Werk der Kirchenreform weiterführen werden. Ferdinand selbst trat dabei nicht völlig zurück. Bisweilen finden wir ihne selbst als Visitator bedeutender Gemeinden oder Stifte. In seiner Residenz Bonn visitierte er z.B. 1618 das Cassiusstift und 1625 die Hauptpfarrei St. Remigius. Ein persönliches Anliegen blieb ihm in den Jahren seiner Regierung die Neuansiedlung von Klöstern und die Förderung von neuen tridentinischen Frömmigkeitsformen. Die wesentlichen Weichenstellungen blieben aber seit 1615 unverändert, was nicht zuletzt auch ein Resultat der ausbrechenden Kriege überall in Deutschland und Europa gewesen sein könnte.

      Die Instrumentarien, die zur Reformierung der Kölner Kirche geschaffen und unter den Generalvikaren Schulcken, Gelenius, Binius und Stravius weiterentwickelt und gepfelgt wurden, erwecken den Eindruck, daß die Durchsetzung der katholischen Reform nach den ersten Weichenstellungen nur eine Frage der Zeit war und in der langen Regierungszeit Ferdinands spielend zum Ende gebracht werden konnten. Weit gefehlt! Den enormen Anstrengungen seitens des Erzbischofs, der Generalvikare, Nuntien, Jesuiten, Kapuziner und aller anderen reformwilligen Kräfte standen noch enormere Widerstände gegenüber. Nur zum Teil waren das die Widrigkeiten der politischen Entwicklung mit ihren endlosen Kriegswirren, die am Rhein ja schon lange vor dem Prager Fenstersturz begonnen hatten und die Wege auf fast ein Jahrhundert unsicher und gefährlich machten. Viel problematischer war die traditionelle Haltung der Bevölkerung und des Klerus, die nur selten von den Neuerungen der Reformation angesteckt worden waren, die aber den nicht weniger neuen religiösen Formen des Tridentinums skeptisch und ablehnend gegenüberstanden.

      Am 18. Januar 1597 schreibt Ferdinand an seine Mutter: "es sein die sinden, ja auch grosse sinden, an viler orten also in ein schwankh khomen, das mans schier nit mehr acht vnd sein die pastores vnd seelsorger eben selbst nichts werdt, irer ain theil concubinarij et aliis vicijs pleni ... " Sechs Jahre später, im Jahr 1602, hat sich an dieser Situation noch nichts geändert. Ferdinand schreibt an seine Mutter am 24. März: " ... es stehet schier alles in alten terminis vnd ist alhie gar ein kaltes volk. Ih hab das miserere 3mahl in der wochen hie angestelt zu halten, khombt aber schier niemandts alss etlih alte weiber darzue; so khumbt das volk auch sonst wenich in die kirch ..." Die Bemerkung bezieht sich auf die Bevölkerung von Bonn, aber wir haben keine Veranlassung zu glauben, daß es sich in den anderen Städten und Dörfern Kurkölns anders verhielt. die Berichte der Nuntien an den Heiligen Stuhl in Rom. Frangipani klagte dem Papst gegenüber schon 1591 über Atheismus und um sich greifende Unsicherheit, die er allerdings dem gerade überstandenen Krieg anlastete19. Doch auch 1606, als die Kriegsmisere (für's erste) überwunden war, klagte der Nuntius Amalteo dem Kardinalnepoten Borghese von der "miseria die questi populi" in Hinsicht auf die geistliche Situation.

      Der Reformhindernisse gab es viele. Theoretisch waren alle Geistlichen dem Bischof gegenüber zu Gehorsam verpflichtet. Praktisch jedoch war diese Gehorsamspflicht durch vielfältige einschränkungen durchlöchert. So wurden z.B. zahlreiche Pfarrgemeinden wegen Priestermangels von Ordensgeistlichen versehen, die von der bischöflcihen Jurisdiktion auzsgenommen waren. Noch über die Zeit Ferdinands hinaus gab es mit der mächtigen Abtei Steinfeld lange Auseinandersetzungen wegen der vielen Prämonstratenser, die von dort aus in Pfarrgemeinden geschickt wurden21. Besonders im Bergischen Land war der Einsatz von Regularklerikern sehr verbreitet, die in der Regel aus den Klöstern der Franziskaner kamen22. Zudem war das Bistum in einzelne Dekanate aufgeteilt, die jeweils mehrere Landdekanate umfaßten. Die Archidiakone hatten sich im Verlauf des Mittelalters quasi episkopale Macht angeeignet, sie waren regelrechte "Unterbischöfe"23. Das Konzil von Trient hatte daher ihre Befugnisse fast völlig abgeschafft24. Im Erzbistum Köln allerdings konnten die Archidiakone ihre Machtposition behaupten und die Übernahme der entsprechenden tridentinischen Dekrete verhindern. Durch Archidiakone, exempte Klöster, einflußreiche Stiftsgeistliche und andere reformfeindliche Kräfte wurde die Verwirklichung der tridentinischen Reform immer wieder behindert. Sogar die Übernahme der Dekrete von Trient in das Diözesanrecht war ein quälender Prozeß, der ein ganzes Jahrhundert dauerte. Erst die Diözesansynode von 1662 konnte den überwiegenden Teil der tridentinischen Dekrete verabschieden, nachdem auf allen früheren Versammlungen immer nur einzelne Dekrete übernommen worden waren. Eine komplette Übernahme aller Canones hat es nie gegeben.

      Angesichts dieser Widerstände läßt sich die Frage nach der Wirksamkeit der Reformbemühungen Ferdinands nur beantworten, wenn man nicht bei seinem Tode im Jahre 1650 schon bilanziert. Die ersten Jahrzehnte seiner Koadjutorie hatten die großen Reformanstrengungen gebracht, mit denen die Werkzeuge der Kirchenreform geschmiedet worden waren. Die Jahrzehnte seiner Regierung als Erzbischof und Kurfürst standen im Zeichen des Dreißigjährigen Krieges. Niederländische Streifscharen, spanische Strafexpeditionen, Schwedenkrieg und Hessennot ließen für eine kraftvolle Konfessionalisierung wenig Raum. In zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden aber vielfach die Früchte eingefahren, deren Samen Ferdinand gelegt hat. Eine Bilanz der Konfessionalisierung in Kurköln und im Kölner Erzbistum überhaupt, die nicht an den Grenzen der Regierungszeit haltmacht, fällt daher gar nicht so schlecht aus.

      Generell gilt, daß die Konfessionalisierung in den Städten energischer vorangetrieben wurde und auch schneller und nachhaltiger Erfolge zeigte. Hier waren es mehr einzelne Institutionen, die zäh an der überkommenen Kirchlichkeit des Mittelalters festhielten. Vor allem die großen Stifte sind hier zu nennen, deren vornehmstes, St. Cassius und Florentius zu Bonn, bis 1618 von Ferdinand selbst als Propst geführt worden ist. Das hat die Stiftskanoniker nicht gehindert, ihren alten Schlendrian und ihre Unsitten weiterzuführen25. Die Stadt selber aber, so zeigt eine von Ferdinand selber vorgenommene Visitation der Hauptpfarre von 162526, hatte sich durchaus im Sinne gelungener Konfessionalisierung den Normen des Tridentinums angenähert.

      In den kleinen Landstädtchen und in den Dörfern, wo die meisten Menschen wohnten, war es allerdings anders. Daß sich aber im Verlauf des 17. Jahrhunderts auch hier etwas tat, zeigt sich schon am Erscheinungsbild der Kirchen. Zwar blieb der bauliche Zustand lange Zeit ein Problem, wofür nicht zuletzt die vielen Kriege - von Karl V. bis zu Ludwig XIV: - gesorgt hatten. Doch das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer würdigen Behausung für das Allerheiligste war deutlich gewachsen, und sobald wirtschaftliche und politische Lage es zuließen, gingen die Pfarreien zu Ausbesserungen und Neubauten über. Das zeigt sich auch im Innern. Die Visitationsprotokolle des späten 17. Jahrhunderts verzeichnen kaum noch Beschwerden über verschmutzte und staubige Innenräume. Die Wände sind ordentlich geweißt, die Paramente gewaschen und geflickt. Beschädigte oder geschmacklose Heiligenbilder sind diskret im Friedhof vergraben und durch neue ersetzt worden. Die Zahl der Altäre kommt dem neuartigen Katholizismus zugute, denn da der Tabernakel auf den Hochaltar gerückt und ein Seitenaltar der Gottesmutter geweiht ist, kommt der christologische Ansatz der nachtridentinischen Theologie stärker zum Ausdruck. Auch die profanen Gerätschaften verschwanden mehr und mehr aus den Kirchen. Ein sichtbares Beispiel für die Übernahme der tridentinisch geprägten Theologie ist auch der von Karl Borromäus entwickelte Beichtstuhl. Bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts gab es nur einen einfachen Holzstuhl mit Armlehne, wenn die Ohrenbeichte überhaupt abgehalten wurde. Nun aber zeigt eine Auswertung der Visitationsprotokolle des Dekanates Ahrgau, daß der Anteil an Kirchen mit "borromäischen" Beichtstühlen von 27,8 % 1663 auf 88 % 1743 gestiegen ist.

      Veranwortlich für die Veränderung in den Kirchengebäuden war vor allem die Veränderung im Klerus. Die Reformationszeit hatte viele Ressentiments gegen Kleriker zum Ausdruck gebracht. Neben anderen Vorwürfen war vor allem die schlechte Ausbildung der Leutepriester ein Angriffspunkt. Hier läßt sich ebenfalls eine Besserung sehen. Eine Visitation im Gefolge der Diözesansynode von 1662 zeigt, daß alle visitierten Pfarreien eine befriedigende Ausbildung gehabt haben. 61% hatten die artes studiert und noch ein theologisches Aufbaustudium angeschlossen, 4% sogar hatten ihre Studien sogar als Licentiat oder Doktor der Theologie abgeschlossen. 13% waren über ein Jesuitenkolleg gegangen, wobei 9% über diese Ausbildung hinaus noch weiter Theologie studiert hatten28. Damit waren die Pfarrer 1663 weit entfernt von der mittelalterlichen Vorstellung der "scientia competens",die vom Weltgeistlichen verlangte, lediglich "aliquantulum plus" zu wissen als der Laie29. Nun konnte man davon ausgehen, daß ein Priester für seine Amtsführung um die Grundlagen der katholischen Konfession wußte und nicht mehr in die Verlegenheit kam, beim Hochgebet die stillen Teile aus Unwissenheit fortzulassen oder den Predigttext aus einem lutherischen Buch zu nehmen.

      Noch viel ernster als die Bildung der Geistlichen war der Mangel an sittlicher Lebensführung. Zentrales Problem war das Konkubinat, das im 16. Jahrhundert in hohme wie niederem Klerus weit verbreitet gewesen war. Visitationen von 1569 und noch von 1628 (also über drei Jahrzehnte nach Ferdinands Machtübernahme) zeigen, daß etwa eine Drittel bis ein Viertel der Landpfarrer Konkubinarier waren. Allerdings ist die regionale Verteilung des Konkubinats unterschiedlich. In den linksrheinischen Regionen südlich von Köln haben wir hohe Zahlen, in manchen Teilen des Herzogtums Berg tauchen Konkubinarier fast gar nicht auf30.Die Kommentare der Bevölkerung im 16. Jahrhundert zeugen von Verständnis für das Konkubinat der Landpfarrer, denn dieser ist ein Bauer wie alle anderen auch, und daher braucht er für seinen Hof Frau und Kinder zur Bewirtschaftung31. Allerdings akzeptierten die Nachbarn auch nur dieses eheähnliche Verhältnis. Wenn Zustände eintraten, wie sie 1628 aus Kesseling an der Ahr berichtet werden, wo gleich mehrere Mägde im Pfarrhaus schwanger waren, ließ sich das nicht mehr mit Selbstverständlichkeit hinnehmen32. Ende des 17. Jahrhunderts spüren wir, daß die Bemühungen um die katholische Konfessionalisierung erfolgreich waren. Ein Beispiel aus Friesdorf bei Bonn aus dem Jahre 1686 kann das belegen. Der dortige Pfarrer beklagte sich beim Visitator, der Schulmeister habe ihn einen "Hurenpfaff" genannt. Der Hintergrund dieser Bemerkung tauchte erst auf, als die Visitatoren den Knecht Christian Verschaum wegen unzüchtigen Verhaltens zitierten. Verschaum wurde beschuldigt, die Pfarrersmagd Gertrud Esch geschwängert zu haben. Er gab den Verkehr zu, begehrte aber, von einer Schwangerschaft nichts zu wissen, weshalb er die Vaterschaft nicht anerkennen wollte. Seiner Meinung nach könne der Herr Pastor genausogut der Vater sein. Im weiteren Verhör kommt heraus, daß der Beschuldigte zu Weihnachten und noch dreimal danach sexuell mit seiner Magd verkehrt hatte, zuletzt auch im Beisein einer anderen Magd. Der Pfarrer allerdings nahm nicht an diesem Treiben teil. Er hatte es vorgezogen, seine Magd heimlich im Haus des Herrn Merzenich in Bonn zu treffen, wo sie, wie sie es diskret formuliert, "ihm für ein Küßchen gut" war33. Die Geschichte ist symptomatisch, denn zu dieser Zeit war es auch in einem kleinen Winzerdorf wie Friesdorf nicht mehr denkbar, daß ein Verhältnis des Pfarrers mit seiner Haushälterin noch akzeptiert oder auch nur stillschweigend hingenommen wurde. So bleibt nur der Verzicht oder die Heimlichkeit. Dementsprechend nehmen die Meldungen von Konkubinariern in den Visitationsprotokollen gegen Ende des Jahrhunderts merklich ab und werden in der Folge zur absoluten Ausnahmeerscheinung.

      Schauen wir uns auch die Gemeinde an, jenes "gar kalte volk". Hier wird das Bild schon differenzierter. Der deutlichste Erfolg zeigt sich im alljährlichen Kommunionsempfang, der an Ostern für alle in der Heimatpfarrei vorgeschrieben war. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts ist die österliche Kommunion mit vorausgegangener Beichte zur allgemeinen Regel geworden. Wo sie unterblieb, hatte dies Bekennercharakter, denn es signalisierte in aller Regel eine innerliche Entfernung von der katholischen Kirche, die zu einer Konversion führte oder heimlich schon geführt hatte.

      Das Hauptübel der Laien war die mangelnde Disziplin und Ehrerbietigkeit während der Messe. Meßbare Beispiele sind Unpünktlichkeit oder Nicht-Erscheinen. Daneben gibt es noch die Disziplinlosigkeit während der Messe, d.h. das Umherlaufen, Schwätzen, Lachen, etc. Diese Erscheinungen wurden zwar höchsten in jeder dritten visitierten Pfarrei moniert, aber eine abnehmende Tendenz war auch im 18. Jahrhundert noch nicht zu verzeichnen. Entsprechendes gilt für das Verhalten der Männer, während der Messe schnell ins benachbarte Wirtshaus zu schlüpfen, um einen Schnaps zu kippen.

      Am interessantesten ist das Verhalten der Bevölkerung jedoch bei den Prozessionen und Wallfahrten. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts war das Interesse der Landbevölkerung daran äußerst gering. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte erreichte das Prozessionsfieber, das in den größeren Städten schon seit etwa 1600 festzustellen ist, auch das flache Land. Die städtischen Prozessionen waren durch Ferdinand selbst, aber vielfach auch durch die Jesuiten und andere Reformkräfte angeregt worden. Die Übernahme dieser Prozessionswut durch die Dörfler müßte also eigentlich als ein Erfolg der katholischen Reform gewertet werden. Doch ganzu so war es nicht. Auf dem Land war man zwar bereit, nun auch mehrmals im Jahr in frommem Eifer Prozessionen und Wallfahrten abzuhalten, aber die Formen, in denen das geschah, entsprachen nicht den Erwartungen, die man in der kirchlichen Obrigkeit daran geknüpft hatte. Statt des würdevollen und frommen Wallens, in das sich durchaus die ernsthafte Dramatik der Büßergruppen mit Selbstgeißelungen und Kreuzetragen einbauen ließ, entdeckte das Volk nämlich längst vergessene Formen mittelalterlichen Brauchtums wieder. Diese Formen waren auch fromm, aber sie waren vor allen Dingen fröhlich. Bestandteile dieser Prozessionen waren sog. "repraesentationes", d.h. szenische Darstellungen biblischer Themen. Beliebt war etwa ein fröhlich singender Jonas, der von vier Männern im "Walfischbauch" umhergetragen wurde, oder ein Samson, der mit einer "Eselsbacke" auf die am Rand der Prozession stehenden "Philister" eindrosch. Sehr beliebt war auch das Werben von Esther um Holofernes,. weil die Frauenrollen alle von Männern gespielt wurden, was viele Möglichkeiten zu Anzüglichkeiten und derben Scherzen bot. Das Ganze wurde von den Dorfmusikanten mit Pauken und Blasmusik untermalt. Dazwischen stimmte die Musik schon einmal einen Reigentanz an, oder sie begleitete das Hüpfen im Dreisprung, wie man es heute noch aus Echternach kennt. Ferdinand selbst versuchte, in scharfen Mandaten diesen Erscheinungen Herr zu werden34. Aber der Kampf war vergeblich. Genausowenig gelang es, die alkoholischen und bisweilen auch sexuellen Ausschweifungen auf mehrtägigen Wallfahrten in den Blick zu bekommen. Das Grundprinzip der katholischen Reform, die Reinhaltung alles Religiösen von weltlichen Dingen, ließ sich mit diesen Konzepten der Volksfrömmigkeit nicht vereinbaren. Hier wurde eine Schlacht verloren.

      Der Konflikt zwischen Kirchenleitung und Volk wird noch deutlicher, wenn wir die religiöse Sphäre verlassen und uns z.B. dem weltlichen Brauchtum zuwenden. Im Sinne der katholischen Konfessionalisierung bemühten sich die Reformkräfte, vor allem die Jesuiten, um Zurückdrängung alles Karnevalesken. Damit ist jede Form von burlesker und ausschweifender Fröhlichkeit gemeint, die im Sinne der "verkehrten Welt" die angestammte Ordnung spielerisch auf den Kopf stellte. Die Termine dafür zogen sich quer durch das Jahr und waren nicht auf die "drei tollen Tage" beschränkt.

      Schon im ersten Jahr seiner Koadjutorie versuchte Ferdinand, in der von ihm erlassenen Polizeiordnung gegen diese Umtriebe vorzugehen:

        "So ordenen Wir, daß hinfuerter die Faßnachts oder Fastelabends geselschafft gentzlich abgeschafft und in den Stetten und Doerfferen nur am Montage nach dem Sontag Esto mihi ein ehrliche Geselschafft den Buergeren und Haußleuten gestattet, doch dergestalt, daß fuer sechs Uhren ein jeder wiederumb in seinem Hauß sein und die Nachtgelage, das Nachtsauffen, die Schwerdtdentzer und Mummereyen so wol in den Stetten alß auch auff den Doerferen, sampt allen ubermessigen Fressen, Sauffen, Dantzen und alle leichtfertigkeit, sonderlich am Escher Mittwochen und in der gantzen vierzigtaegigen Fasten, gantz und gar abgestelt, und die Ubertreter mit einer Poen von fuenff gulden oder fuenff Westphelische marcken unnachleßlich gestrafft werden sollen."

      Viele weitere Versuche folgten. Sie fanden letztlich ihren Erfolg nur darin, daß ein Kompromiß zustande kam. Die Kirche ließ die Fastnacht in Ruhe, solange die "Narren" die Fastenzeit respektierten. Das Maibrauchtum, eng mit allem Karnevalesken verbunden, verlagerte sich aus der Fastenzeit heraus ganz auf die Zeit ab dem 1. Mai, die anderen Lustbarkeiten auf den heutigen Karnevalstermin bzw. auf Pfingsten. Dieser Kompromiß war eher ein Punktsieg der Bevölkerung als ein echter Erfolg der katholischen Reform, aber er ermöglichte es der Kirche, mit dem Brauchtum zu leben. Völlig versagten die Reformbemühungen in einem weiteren Brauch, der sich nur schwer von Mailehen und Karneval trennen läßt: dem Schlutgehen. Die Schlut war eine aus einer Strohgarbe hergestellte Kopfbedeckung, die der Maibräutigam zum Schutz vor Knüppelschlägen aufsetzte, wenn er nach der Auslosung der Paare das tat, was man in Bayern das "fensterln" nennt. Gegen diese geradezu ritualisierte Form des vorehelichen Geschlechtsverkehrs lief die Obrigkeit Sturm, ja man drohte noch im 18. Jahrhundert sogar mit zwei Wochen Festungshaft, doch die Burschen auf den Dörfern blieben ihrem Brauch treu. Erst im Gefolge der Aufklärung kam es gegen Ende des 18. Jahrhunderts in den Junggesellenvereinen zu einer freiwilligen Entsexualisierung des Maibrauchtums. Mit Konfessionalisierung hat das aber nichts mehr zu tun.

      Faßt man die Erfolge der katholischen Reform zusammen, wie sie von Ferdinand von Wittelsbach angestoßen worden ist, so ist das Ergebnis abhängig von der betrachteten Ebene. Im Bereich von Priester und Altar haben wir es mit einem vollständigen Erfolg zu tun. Er stellte sich in den Städten schon zu Lebzeiten Ferdinands ein und war auf dem Land auf Dauer auch nicht aufzuhalten. Je weiter man sich jedoch vom Altar als Nukleus des religiösen Lebens entfernt, desto geringer wird der Erfolg der katholischen Reform. die Widerstände und das Beharrungsvermögen der Landbevölkerung machten die Konfessionalisierung zu einem langwierigen und zähen Prozeß, dem in einigen Bereichen nie Erfolg beschieden war. Insgesamt aber war die katholische Reform, die zur bürgerlichen Kirche des 19. Jahrhunderts führen sollte, durch die Maßnahmen, die durch Ferdinand eingeleitet worden waren, nicht mehr aufzuhalten. Als er 1650 starb, war alles das, was er seit 1595 für die Kölner Kirche angestrebt hatte, noch Stückwerk, doch es war unabänderlich auf den Weg gebracht. Die Institutionen zur Weiterentwicklung des Reformweges waren geschaffen und durch die rechtzeitige Annahme seines Neffen Max Heinrich zum Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge hatte Ferdinand dafür gesorgt, daß auch die politische und kirchliche Linie des Hauses Wittelsbach nach seinem Tod Fortbestand haben würde.


      (c) 1997 by Thomas P. Becker  e-Mail tombeee at aol.com

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