Reformation und katholische Reform in den Vilicher Pfarreien

von Thomas P. Becker

(Text eines Vortrags aus dem Jahre 1994)

Die Geschichte der Reformation in Deutschland beginnt bekanntermaßen mit der Thesenverschickung durch Martin Luther am 31.10.1517. Im Rheinland hatte dieses Ereignis jedoch zunächst noch einen sehr leisen Widerhall. Auch die Unruhen des Jahres 1525, als der Bauernkrieg in Süddeutschland tobte und es in Köln zu einem Aufruhr kam, gingen an den Orten des alten Vilicher Pfarrsprengels spurlos vorbei. Reformatorische Einflüsse lassen sich im Rheinland erst sehr viel später feststellen, und auch da sind die Nachrichten spärlich. Die entscheidende Rolle kam hier dem Wirken des Erzbischofs Hermann von Wied zu. Hermann war schon 1515 auf den Kölner Bischofsthron gelangt, ohne sich in den folgenden 20 Jahren besonders um sein geistliches Amt zu kümmern. Dabei war er ein guter und gewissenhafter Landesherr, der sich mit großer Sorgfalt der Verwaltung seines weltlichen Territoriums, d.h. des Kurfürstentums Köln, widmete. Erst Mitte der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts, nachdem er sich militärisch massiv an der Niederschlagung des messianischen Täuferreiches in Münster beteiligt hatte, begann der fast Sechzigjährige, sich intensiv für die Verbesserung der maroden kirchlichen Zustände seines riesigen Erzbistums zu interessieren. Zusammen mit reformfreudigen katholischen Geistlichen machte er sich an die schwierige Aufgabe der Reform innerhalb des Lehrgefüges der alten Kirche. Nach einigen Jahren jedoch, nachdem die von ihm erhoffte allgemeine Reform der deutschen Kirche durch Reichstage nicht zustande gekommen war, berief er zur weiteren Verfolgung seiner eigenen Reformpläne Theologen ins Land, die sich schon längst auf den Boden der neuen Lehre aus Wittenberg und Zürich gestellt hatten, vor allem den Straßburger Reformator Martin Bucer, aber auch Philipp Melanchton aus Wittenberg und manchen anderen. Gegen Hermanns Reformationsversuch erhob sich erbitterter Widerstand von seiten einiger Priester des Kölner Domkapitels, dem sich der Kölner Stadtrat und Teile des Kölner Klerus verbanden. Die kurkölnische Ständeversammlung stellte sich jedoch hinter ihren Fürsten, der so einige Jahre lang seine Ideen von kirchlicher Reform verbreiten konnte.

Zentrum dieser Kölner Reformation war Bonn. Die umliegenden Dörfer gerieten so ganz von selbst in den Sog der Ereignisse. Nicht nur in Bonn wurde Hermanns Reformationswerk von den Bürgern angenommen, auch Linz, Andernach, Neuss, Rodenkirchen, Frechen oder Kaiserswerth stellten sich hinter den Erzbischof. Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg, zu dessen Territorium die Kirchspiele Ober- und Niederdollendorf, Küdinghoven und Oberkassel gehörten, gab zu erkennen, daß er bereit sei, sich der Kölner Reformation anzuschließen, vorausgesetzt, sein Verhältnis zum Kaiser erlaube es ihm. In Bonn wurde von Butzer in allen Kirchen der Gottesdienst nach protestantischem Muster eingerichtet. Die Resonanz darauf war unterschiedlich, nicht alle Bürger gingen zum neuen Glauben über, aber es gab eher ein friedliches Nebeneinander als eine heftige Gegnerschaft. Noch befinden wir uns in der Zeit, in der die Unterschiede zwischen den Konfessionen nur den Theologen wirklich klar waren, und da nimmt es nicht wunder, daß es in Bonn Dinge gab wie das Verhalten des evangelischen Predigers Heinrich Zell, der auf dem Weg zu einem protestantischen Gottesdienst in Kessenich in der Kirche St. Gangolph gegenüber dem Münster noch schnell mit einer Kontroverspredigt an der katholischen Messe teilnahm. Da Hermann nirgendwo mit Zwang oder Druck vorging, wir aber gleichwohl gerade in den Dörfern auf der rechten Rheinseite eine positive Resonanz auf seine Reformation feststellen können, darf man wohl davon ausgehen, daß die kirchlichen Neuerungen der Reformatoren hier einem Bedürfnis entgegenkamen, daß allmählich unter der Bevölkerung gewachsen war. Genaueres wissen wir nicht, denn über die rechtsrheinischen Uferdörfer gibt es keine unmittelbaren Nachrichten aus der Zeit der Reformation Hermanns von Wied. Diese dauerte nämlich nicht lange. 1547 wurde der abtrünnige Erzbischof durch Papst und Kaiser abgesetzt.

Die Spuren, die wir bezüglich der Wirkung der Reformation auf die rechtsrheinischen Kirchspiele finden können, datieren alle aus der Zeit unmittelbar nach dem Scheitern des Reformationsversuchs unter Hermann von Wied. Ein Beispiel ist das Schicksal des Bonner Minoriten Georg Kuiff, der die neue Lehre angenommen hatte und als Pfarrer nach Niederbachem bei Godesberg gegangen war. Ursprünglich hatte man ihn nach Auflösung des Klosters aufgefordert, ein Handwerk zu erlernen. Da er sich dazu nicht imstande sah, bekam er acht Goldgulden in die Hand und begab sich nach Königswinter, wo er Frühmessner wurde. Bald jedoch übernahm er die Pfarrstelle in Niederbachem, wo er nach der neuen Lehre amtierte. In Bonn ließ er sich von einem anderen Exminoriten, Johann Meinertzhagen, der auch zur neuen Lehre übergegangen war, verheiraten. Drei Kinder entstammten dieser Ehe. Gerade die Priesterehe war eine wichtige Forderung der Reformkräfte, hob sie doch die Priester aus dem unwürdigen Zustand des Konkubinats heraus. Auch auf Seiten der altgläubig gebliebenen Reformkatholiken wie Georg Witzel war sie eine wichtige Forderung, doch nur die neugläubigen Reformer führten sie vor der Entscheidung eines allgemeinen Konzils schon ein. Kuiff hatte sich durch die Annahme der Priesterehe entschieden und sich auf die Seite der Reformation gestellt. Dadurch geriet er nach dem Sturz Hermanns von Wied in die Schußlinie der neuen Machthaber. Ihm und seiner Familie blieb nur die Flucht. Für uns ist nun hochinteressant, wohin er floh: Anstatt nämlich in sichere evangelische Gebiete wie Hessen, Sachsen oder die Pfalz auszuweichen, setzte er nur auf die rechte Rheinseite über und begab sich nach Oberkassel, wo er sich ausreichend sicher und willkommen fühlte. Obwohl wir keine exakten Nachrichten über die Haltung der Gemeinde in den Jahren der Kölner Reformation haben, läßt nicht nur der bereitwillige Empfang der Familie Kuiff darauf schließen, daß hier große Sympathien für die neue Lehre bestanden. Der Umstand, daß Kuiff die Pfarrstelle so reibungslos übernehmen konnte, rührt daher, daß der bisherige Pfarrer verschwunden ist. In einer Quelle aus dem Jahre 1550 heißt es, "man weiss nit, wo ist er blieven."

Eine weitere wichtige Forderung neben der Legalisierung der Priesterehe finden wir in Oberkassel ebenfalls verwirklicht: Den Laienkelch. Pfarrer Kuiff gibt an, daß seine Gemeinde von ihm gefordert hat, unter beiderlei Gestalt zu kommunizieren, d.h. bei der Kommunion ebenfalls den Kelch gereicht zu bekommen. Noch Ostern 1550, als auf der Bonner Seite des Rheins schon seit drei Jahren die Gegenreformation regierte, hatte die ganze Gemeinde so kommunizieren wollen, "niemantz uisgescheiden." Vermutlich werden auch in Schwarz-Rheindorf, Vilich und Holzlar schon damals kleine evangelische Gemeinden entstanden sein. Hierüber haben wir aus der ersten Hälfte des 16. Jahrunderts jedoch keinerlei Nachrichten. Doch in Küdinghoven und Niederdollendorf war die neue Lehre sicher auf fruchtbaren Boden gefallen. Der Küdinghovener Pfarrer Dietrich Habusch, der schon seit 1539 im Amt war, legte ein noch viel deutlicheres Bekenntnis zur neuen Lehre ab als der Exminorit Kuiff, von dem allerdings auch berichtet wird, daß er weder sehr gelehrt noch in theologischen Dingen sehr engagiert war. Nach seinem Bekenntnis gefragt, hat er geantwortet, "daß er Christum predige und sine evangelium, und dweil Christus sine apostel uisgesandt in alle werelt und innen bevolhen, das jenig zo leren und zo thun, was er innen bevohlen, dweil nu solcher bevelh innen mitbetrifft, so hab er anders nit geleret, dan was Christus bevolhen und das wort Gotts mitbrenge."

Dies ist eine selbstbewußte Sprache, die nicht mehr dem Prinzip der Unterordnung unter das autoritative Lehramt der kirchlichen Hierarchie huldigt, sondern dem Prinzip "sola scriptura" verpflichtet ist, das allein die Heilige Schrift und die vom Glauben inspirierte Auslegung gelten lassen will. Habusch macht auch gar kein Hehl daraus, daß er in engem Kontakt mit den Bonner Reformatoren gestanden hat. Unter beiderlei Gestalt ist auch in Küdinghoven kommuniziert worden. Allerdings betont Habusch im Gegensatz zu Kuiff, daß die Gemeinde den Kelch nach seiner Anleitung empfangen habe. Mit Einwilligung der Eltern hat er ein Mädchen aus dem Dorf geheiratet, wobei er vom Pfarrer Ludovicus aus Vilich getraut worden ist.

Der Vilicher Pfarrer, von dem wir weiter nichts wissen, hat also offensichtlich in diesem Punkt die neumodischen Ansichten seines Amtsbruders geteilt. Ansonsten scheint er aber nicht so radikal in der Lehre gewesen zu sein, oder aber er war mittlerweile durch einen gemäßigteren Nachfolger ersetzt worden, denn die Gemeindevorsteher von Küdinghoven beklagen sich, daß jeden Sonntag aus Vilich ganze Rotten von Leuten kommen, um ihren Pfarrer predigen zu hören. Sobald die Predigt zuende ist, also noch vor der Messe, laufen sie wieder aus der Kirche heraus und geben so der Küdinghovener Gemeinde ein schlechtes Beispiel. Diese Leute dürften die erste Generation einer Vilicher evangelischen Gemeinschaft darstellen. Weiteres ist über sie nicht bekannt.

Bleiben wir noch einen Moment bei Dietrich Habusch. Er ist nämlich eine typische Priestergestalt der Übergangszeit jener ersten sechs Jahrzehnte nach der Thesenverschickung. Weitaus radikaler als Kuiff oder andere Amtsbrüder mit neugläubigen Neigungen hat er sich zur neuen Lehre bekannt. Und doch hat er zahlreiche Züge, die gar nicht zu einem evangelischen Pfarrer passen. So hat er ein großes Problem mit einem Verstoß gegen die kirchlichen Fast- und Abstinenzverote, weil er am Vorabend des St. Jakobstages Fleisch gegessen hat. Gegen diesen Vorwurf verteidigt er sich aber vehement, und zwar unter Hinweis auf die außergewöhnlichen Umstände und unter Betonung seiner sonstigen Lebensweise, wo er noch nie in seinem Leben gegen die Fastengebote verstoßen habe. Die Gemeinde legt Wert darauf, ihn in diesem Punkt ausdrücklich zu bestätigen. Bezüglich seiner Lehre und Amtsführung berichtet die Gemeinde, Pfarrer Habusch halte sich an die üblichen Zeremonien der katholischen Kirche in Predigt, Messe und anderen liturgischen Feiern, segne das Wasser und das Salz und verkünde die Fast- und Feiertage, wie sie in der Kirche gebräuchlich seien. Für uns Heutige ein vollkommener Widerspruch. Auf der einen Seite betont Habusch sein unabhängiges Christentum, auf der anderen Seite hängt er sich an religiöse Formen, die von den bekannten Reformatoren schon längst über Bord geworfen worden sind. Aber genau diese für uns schwer nachvollziehbare Haltung, aus beiden Lagern Elemente zu übernehmen, ohne sich um die Widersprüche zu kümmern, ist ein besonders typisches Phänomen für die katholischen Kirchengemeinden dieser Zeit.

Gerade im Gebiet der alten Vilicher Mutterpfarre trifft man dafür so manches Beispiel. Die Haltung der Küdinghovener Gemeinde zur Reformation ist nicht ganz so eindeutig festzustellen wie in Oberkassel. Die Leute sind mit ihrem Pfarrer sehr zufrieden. Gegen die Kommunion unter beiderlei Gestalt haben sie anscheinend nichts einzuwenden gehabt. Doch sowohl in ihrer Bestätigung der römisch-katholischen Amtsführung ihres Pfarrers als auch in der scharfen Attacke gegen das Verhalten der Vilicher Zaungäste schwingt etwas mit, das einen ahnen läßt, daß hier die Neuerungen eher mit Skepsis aufgenommen worden sind. Einigermaßen undurchsichtig ist die Haltung des Niederdollendorfer Pfarrers. Er ist erst seit zwei Jahren, d.h. erst nach dem Sturz Hermanns von Wied, im Amt. Zuerst habe er die Kommunion an diejenigen, die danach fragten, unter beiderlei Gestalt ausgeteilt, was er jedoch seit Erlaß des kaiserlichen Interim unterlassen haben will. Bezüglich der Transsubstantiation und der Verehrung des Allerheiligsten Altarsakraments wird ihm vorgehalten, er habe gelehrt, "das sacrament sei gein sacrament, dan wan es gebrucht wird". Das habe er so nicht gesagt, verteidigt er sich, sondern er habe lediglich Augustinus zitiert, wonach das Sakrament nicht in der Hand des Gebenden, sondern in der Hand des Empfangenden sei. Die Nachbarn bestätigen jedoch den Vorwurf und sie erklären auch die Konsequenzen der Haltung. Von alters her habe es nämlich an Christi Himmelfahrt eine feierliche Prozession von Niederdollendorf über Oberdollendorf nach dem Kloster Heisterbach gegeben, bei der das Allerheiligste in einer kostbaren Monstranz vom Niederdollendorfer Pfarrer das Tal hinauf getragen wurde. 1550 aber habe er sich geweigert, dergleichen zu tun, mit dem Argument, "das das sacrament nit will in golt ader silver beslossen noch umbdragen sein, dan es sie nit in der hand, der es gebe, sonder der es empfang." Von den katholischen Fastengeboten hält er nichts, sondern sagt, "man sulle vasten van buissen werken". Die Gemeinde stellt ihm bezüglich Lehre und Leben ein gutes Zeugnis aus, allerdings hält sich das Gerücht, daß er seine Haushälterin, die zwei Kinder hat, heimlich geheiratet haben soll. Niemand weiß jedoch etwas genaues. Die Verwaltung der Sakramentalien Weihwasser und Salz geschieht in der rechten Weise.

Die Niederdollendorfer scheinen eine Art von Zwischenposition eingenommen zu haben. Sie tendieren, wenn man zwischen den Zeilen liest, eher zu einer konservativen Haltung, die am althergebrachten Brauchtum und Lehrgebäude der katholischen Kirche festhält. Trotzdem hat es einige gegeben, die nach der Kommunion unter beiderlei Gestalt verlangt haben. Das zeigt, daß die Sensibilität für die neue Lehre durchaus auch hier unter den Laien anzutreffen ist. Der Pfarrer bemüht sich in der Lehre offensichtlich um eine liberale Position, die noch nicht die dogmatischen Grundsätze der katholischen Orthodoxie aufgeben will, doch er versucht auf der anderen Seite, Gewissenskonflikten in Fragen der Sakramentenverwaltung durch Vermeidung aus dem Weg zu gehen - sehr zum Verdruß seiner konservativen Kirchenmeister. Bezeichnend für die unentschiedene religionspolitische Situation dieser Zeit ist der Umstand, daß dieser liberale Pfarrer von der Äbtissin zu Vilich noch nach dem Sieg der Gegenreformation im Erzbistum Köln auf sein Amt präsentiert worden ist.

Fügt man die einzelnen Mosaiksteine zu einem Bild zusammen, zeigt sich in allen Dörfern zwischen Schwarzrheindorf und Königswinter direkt oder indirekt eine proreformatorische Tendenz. Sie ist bei den einzelnen Pfarrern und Gemeinden unterschiedlich stark ausgeprägt, doch sichtbar wird sie überall. Woher nun wissen wir von allen diesen Begebenheiten? Durch die Protokolle einer landesherrlichen Visitation im Herzogtum Berg im Jahre 1550. Und wenn wir nun fragen, warum diese Visitation zu diesem Zeitpunkt abgehalten wurde und welche Ziele sie verfolgte, kommen wir gleich zu einem neuen wichtigen Stichwort. Bisher ging es um die Reformation und ihre Einflüsse auf die kirchlichen Entwicklungen in den Vilicher Pfarreien.

Nun nähern wir uns einem weiteren historischen Phänomen, das sozusagen den katholischen Gegenschlag kennzeichnet: der Gegenreformation. Bei der bergischen Visitation von 1550 haben wir es mit einer ganz besonderen Konstellation zu tun. Hier wurden die Untersuchungen der Pfarreien nämlich nicht im Namen des Bischofs durchgeführt, sondern ausdrücklich auf Befehl des Herzogs. Das war nach kirchenrechtlichen Normen illegal, aber es entsprach dem Selbstverständnis der Territorialfürsten des 16. Jahrhunderts. Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg befand sich in einer schwierigen Situation. Er selbst neigte einer modernen liberalen Linie des Katholizismus zu, wie sie von Erasmus von Rotterdam vorgezeichnet worden war. Daher war er den Bestrebungen der Reformatoren gegenüber durchaus tolerant eingestellt gewesen. Politisch hatte er seine ehrgeizigen Großmachtpläne für ein vereinigtes niederrheinisches Fürstentum im geldrischen Erbfolgekrieg jedoch durch eine katastrophale Niederlage begraben müssen. Seitdem mußte er sich in seinen politischen und religiösen Maßnahmen stets vor Kaiser Karl V. in acht nehmen. Die Sympathie für Hermann von Wied hatte Herzog Wilhelm nicht dazu geführt, offen Partei für die Kölner Reformation zu ergreifen, aber er hatte Wohlwollen signalisiert. Daher war es für ihn nun dringend erforderlich, in der veränderten politischen Situation nach dem Sieg Karls V. über die protestantischen deutschen Fürsten einen deutlichen Beweis seiner römisch-katholischen Linientreue zu geben. Die Visitation von 1550 hatte den Zweck, zu beweisen, daß in den Ländern des Herzogs der überwiegende Teil der Pfarrer und der Gemeinden fest bei der angestammten katholischen Religion verblieben waren bzw. diejenigen, die von dieser Haltung abwichen, zu korrigieren oder eventuell zu entfernen. Wenn wir daher von evangelischen Einflüssen in Oberkassel, Küdinghoven oder Oberdollendorf hören, so kann diese Nachricht gleichbedeutend mit dem Ende des jeweiligen Zustands sein - oder sie hätte es sein können, wenn der Düsseldorfer Zentrale die nötigen Machtmittel zur Umsetzung einer konsequenten gegenreformatorischen Politik zur Verfügung gestanden hätten. Diese jedoch besaß nicht einmal der unerbittliche kurkölnischen Nachbar auf der anderen Rheinseite, wo man sehr viel energischer gegenreformatorische Maßnahmen zu betreiben versuchte.

Die Gegenreformation zwischen Bonn und Königswinter blieb daher viel zaghafter, als man nach heutigen Maßstäben erwarten würde. Aus diesem Grund ist es auch kein Wunder, daß wir in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein erneutes Ansteigen evangelischer Bewegungen in den rechtsrheinischen Ortschaften feststellen können. Allerdings haben sich seit den Tagen Bucers und Hermanns von Wied viele Dinge geändert. Innerhalb des rheinischen Protestantismus findet sich das, was man in der Wissenschaft bisweilen als die "zweite Reformation" bezeichnet hat, nämlich das Überschwenken von einer eher lutherisch ausgerichteten Linie zu einem straff durchorganisierten Kirchenaufbau nach der Lehre des Genfer Reformators Johann Calvin. Die neu entstehenden calvinistischen Gemeinden, die häufig an Sympathiegruppen aus der Zeit Hermanns von Wied anknüpfen können, verstehen sich von Anfang an als "Gemeinden unter dem Kreuz", d.h. sie bilden eine Untergrundkirche, die sich in heimlichen Versammlungen trifft und nur an wenigen Orten das eindeutige offene Bekenntnis zur reformierten Kirche wagt. Es ist allerdings auch so, daß für so manchen Pfarrer 50 Jahre nach der Thesenverschickung Luthers die Dinge immer noch nicht klarer geworden und die theologischen Richtungen nicht eindeutig genug von einander geschieden sind. Für beides finden wir Beispiele in einer kurkölnischen Visitation von 1569, einmal in Vilich, das andere Mal in Königswinter. Vilich ist ein ganz besonderer Fall.

Die Visitation, durch die wir zu unseren Informationen über den gleich vorzustellenden Pfarrer kommen, war 1569 auf Befehl des Erzbischofs und Kurfürsten Salentin von Isenburg durchgeführt worden, und zwar ausschließlich auf kurkölnischem Gebiet. Neben Stiften und Klöstern wurden hier die Pfarrkirchen visitiert, d.h. Pfarrer, Gemeinde, Pfarrkirche, Einkünfte und dergleichen. Nur in Vilich wird ausdrücklich nicht die Pfarrei, sondern lediglich der Pastor visitiert. Dieser hieß Georg Neheim und war das Rückgrat der aufkeimenden calvinistischen Bewegung im Gebiet um Bonn. Neheim (oder Nehemann) wurde am 22. Juni 1569 in das Haus der Äbtissin in Vilich bestellt. Er gab an, in Köln die Priesterweihe empfangen zu haben und von der Vilicher Äbtissin als Pfarrer präsentiert worden zu sein; eine Investitur durch den Bonner Archidiakon hat er nicht, und er gibt sogar zu, daß er sie für unnötig hält. Die Frau, mit der er zusammenlebt, hat er geheiratet und bezeichnet sie folglich als Ehefrau und nicht als Haushälterin. Von den Sakramenten akzeptiert er nur die Taufe und das Abendmahl. Die Taufe ist für ihn allerdings nur ein Heilszeichen, vergleichbar der Beschneidung im Alten Testament, weshalb er sie mit ungeweihtem Wasser vornimmt und dabei auf die Salbung mit Chrisma und alle Zeremonien der katholischen Kirche verzichtet. Ausdrücklich lehnt er die Transsubstantiationslehre ab. Das Brot bleibt für ihn während des ganzen Gottesdienstes einfaches Brot, weshalb er selbstverständlich auch die Anbetungswürdigkeit der konsekrierten Gestalten ablehnt. Ebenso verwirft Neheim die Ohrenbeichte. Daß er die Kommunion unter beiderlei Gestalten auszugeben pflegte, versteht sich eigentlich schon von selbst. Neheim war der Sammelpunkt der Neugläubigen. Aus Schwarzrheindorf, vermutlich auch aus Holzlar, sicher aber aus Bonn und Graurheindorf, kamen am Sonntag die Bekehrten und Bekehrungsbedürftigen zu ihm. Innerhalb der Gemeinde hatte sich aber gegen die neugläubige Haltung des Pfarrers, der ja der einzige war und keineswegs nur die überzeugten Protestanten zu versorgen hatte, allmählich Widerstand gebildet. Neheim nahm nämlich, weil er die katholische Lehre von der Wandlung ablehnte, anstatt der bisher üblichen Hostien aus Weizenmehl, die mit einem Kreuz verziert waren, ganz gewöhnliches Roggenbrot. Das wollte sich ein Teil der Gemeindemitglieder nicht bieten lassen. Sie forderten die Rückkehr zur alten Form der Hostie. Das aber lehnte der Pfarrer als Götzendienst ab, wobei er betonte, daß ein Teil der Gemeinde mit der neuen Praxis ja ganz zufrieden sei. Der Streit wurde offensichtlich nicht so schnell beigelegt, denn Neheim hatte sich auf den Standpunkt gestellt, solange man sich nicht (in seinem Sinne) geeinigt habe, werde er überhaupt keine Kommunion mehr austeilen. Als Vilich 1569 visitiert wurde, hatte es dort schon über zwei Jahre keine Kommunion bzw. Abendmahl mehr gegeben. Die beiden Flügel der Gemeinde, der katholische und der evangelische, hatten sich also nicht einigen können. Die Visitatoren haben sich bemüht, Neheim zurück zur katholischen Amtsführung zu bringen. Er beharrte jedoch auf seinem Standpunkt und ging nach Oberwinter, wo sich die calvinistische Gemeinde besser behaupten konnte. Dort wirkte er bis zu seinem Tod 1581 als Prediger.

Die Vilicher reformierte Gemeinde hatte damit keinen Geistlichen mehr am Ort. Die bloße Tatsache der Visitation hatte zudem unter Beweis gestellt, daß die obrigkeitliche Politik in den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts jede Duldsamkeit gegenüber den Calvinisten verloren hatte. Das hatte nur teilweise mit "innenpolitischen" Entwicklungen der vereinigten niederrheinischen Herzogtümer oder Kurkölns zu tun. Wesentlich entscheidender waren dafür die Geschehnisse in den benachbarten Niederlanden, wo die Krone von Spanien, die mächtigste Großmacht der damaligen Zeit, gerade durch die überwiegend calvinistischen Holländer in einen zähen Befreiungskrieg verwickelt wurde. Eine offizielle Duldung einer reformierten Gemeinde war um 1569 politisch einfach nicht vertretbar. Ganz verschwunden sind die Vilicher Protestanten im 16. Jahrhundert jedoch nicht. Noch 1619 taucht in einem Vilicher Visitationsprotokoll die Bemerkung auf, einige Pfarrmitglieder gingen regelmäßig zu ketzerischen Versammlungen, doch als 1612 auf der bergischen Provinzialsynode das alte Siegburger Quartier reorganisiert und in die Mülheimer Classis überführt wurde, wurde Vilich nicht mehr unter den selbständigen Gemeinden aufgeführt. Wie es scheint, sind die Vilicher Calvinisten im Verlauf des 17. Jahrhunderts in das Herzogtum Berg ausgewandert, wo sie bessere Chancen hatten, ihren Glauben ausüben zu können. Konkret heiß das, daß sie ins benachbarte Holzlar abwanderten. Dort existiert noch heute ein kleiner evangelischer Friedhof, dessen ältester Grabstein die Jahreszahl 1658 trägt. Zunächst jedoch blieben sie in Vilich wohnen und konnten für ihre Gottesdienste nur in das unmittelbar auf der anderen Siegseite gelegene Bergheim und das nahe Siegburg ausweichen, wo es noch reformierten Gottesdienst gab. 1572 jedoch war es auch damit Schluß, als der Abt von Siegburg scharfe gegenreformatorische Maßnahmen anwandte. Die reformierten Gemeinden, die nunmehr in den Untergrund gedrängt waren, reagierten durch den Aufbau einer eigenständigen kirchlichen Organisation. Die verstreuten Protestanten in Bonn, Vilich, Bergheim, Siegburg, Lohmar, Honrath, Oberkassel, Küdinghoven und Honnef wurden in einem eigenen Quartier zu einem Bezirkspresbyterium zusammengefaßt, das der Synode von Jülich-Kurköln angehörte. Der Pastor hatte seinen Sitz im linksrheinischen Oberwinter, von wo aus er im Reisedienst die Sakramentsverwaltung und Verkündigung für den riesigen Bezirk übernahm. Der erste, der sich dieser großen Aufgabe stellte, war kein anderer als Georg Neheim, der auf diese Weise vier Jahre nach seiner Vertreibung die seelsorgerische Versorgung seiner alten Gemeinde wieder in die Hand nahm. Die Vilicher Gemeinde konnte so weiter existieren. 1573 brachte sie bei den Abgaben an das Presbyterium zwei Drittel des Siegburger Satzes und doppelt so viel wie die Bonner Protestanten auf. Der wieder katholisch amtierende Pfarrer hat aber zweifellos, gestärkt durch die konsequente Haltung des noch bis 1577 amtierenden Salentin von Isenburg, die altgläubigen Kräfte in der Gemeinde mobilisieren können, denn die 1573 noch so reiche Vilicher Gemeinde mußte 1583 und 1584 schon wegen Bedürftigkeit von den Kölner Glaubensbrüdern unterstützt werden.

Neben Vilich hatten sich auf der rechten Rheinseite in zwei weiteren Orten protestantische Gemeinden gebildet, in Bergheim und Oberkassel. Wie es scheint, hat sich die Oberkasseler Gemeinde erst nach der Gegenreformation von 1569/1573 zusammengefunden. Rückhalt gewann sie an reformierten Glaubensflüchtlingen aus Frankreich. Zunächst errichteten sich diese Flüchtlinge Reisighütten am Waldrand. Dort im Wald, den man später "Geusenbusch" genannt hat, hielten die Calvinisten in den kommenden Jahren heimlich ihre religiösen Versammlungen ab. Seit 1590 war die kleine Gemeinde vorübergehend im Besitz der katholischen Pfarrkirche. Ihr erster Pastor war der ehemals katholisch amtierende Pfarrer Peter Leinen. Nach dem Wechsel der Politik ging die Pfarrstelle an die katholische Seite zurück. 1611 kam sie jedoch wieder an die Reformierten.

Ebenso konnten sich die Gemeinden in Bergheim und Honnef noch halten. Erbost schreibt der Amtmann von Löwenberg an den Herzog: "In gleichen zu honeff vnd Obercaßel soll zuuor auch lange zeit unsere religion floriret, nunmehro aber auch die Calvinisten solche örter zu sich gezogen haben, vnd ob wol deßwegen eine commission auszufertigen beschloßen worden, ist sie doch noch der Zeit nit zu effect kommen." Die Bergheimer Calvinisten bekamen eine entscheidende Verstärkung, als zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges in ihrer unmittelbaren Nähe die Holländer ein Fort auf einer Rheininsel (die sog. "Pfaffenmütz") errichteten. Als mit spanischen Truppen die Holländer 1623 vertrieben worden waren, ging den Evangelischen damit der letzte Schutz verloren. Unter dem Zwang spanischer Waffen wurde nun in allen Gotteshäusern der katholische Kultus wieder eingeführt. Der reformierte Prediger Johannes Lehmann wurde sogar ins Gefängnis geworfen. An seine Stelle trat ein von der Abtei Heisterbach entsandter Pater namens Peter Buirmann. Seine Ernennungsurkunde ist datiert: Düsseldorf am 28. [Septem]bris anno 1624. Später jedoch sollte es um die konfessionellen Verhältnisse zu Oberkassel in diesem Jahr immer wieder Streit geben. Als nämlich nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges die Bestimmung des Westfälischen Friedens umzusetzen war, wonach alle Pfarreien auf dem konfessionellen Stand von 1624 festgeschrieben werden sollten, wurde Oberkassel von den Calvinisten reklamiert. Trotz erheblicher Proteste der Gemeinde, des Vilicher Stiftes als Kollator und des Klosters Heisterbach wurde 1672 im Religionsvergleich zwischen Jülich-Berg und Brandenburg Oberkassel als Ort festgehalten, an dem die Reformierten ein angestammtes Recht auf die Pfarrkirche hätten, weil sie zu Anfang des Jahrhunderts dort schon die Einkünfte der Pfarrei innegehabt hätten. Der Streit dauerte bis 1683, als die Reformierten sich eine eigene kleine Kirche bauten, neben der auch ein Pfarrhaus und eine eigene Schule waren. Denn obgleich die Düsseldorfer Regierung bei der strittigen Frage des Besitzrechtes im Normaljahr 1624 häufig die Seite der Protestanten ergriffen hatte, war es dem calvinistischen Prediger doch bis etwa 1670 nicht erlaubt worden, in Oberkassel zu wohnen.

Doch zurück zur Visitation von 1569. Georg Neheim war nicht der einzige Pfarrer im Bonner Raum, der seinen Weg ins Lager der Calvinisten gefunden hatte. Auch der Königswinterer Pfarrer Gerhard Venrad gehörte zu den Reformierten der ersten Stunde. Seine erste Pfarrstelle hatte er in Orsoy. Dort hat er stets die Kommunion unter beiderlei Gestalt gereicht. Noch 1568 hatte er das Protokoll des Weseler Konvents mitunterschrieben, wo die Organisation der reformierten Untergrundkirche im Rheinland beschlossen worden war. Auf seiner Königswinterer Pfarrstelle hat er sich aber offensichtlich wieder auf den Katholizismus zubewegt, denn in der Kommunionausteilung und der Sakramentenverwaltung hält er sich ganz an die herkömmlichen Regeln der römischen Kirche, was die Gemeindevertreter ausdrücklich bestätigen. Totengedächtnisse und Exequien hat er allerdings nicht abgehalten, doch war das schon von seinem Vorgänger abgeschafft worden. Ganz eindeutig ist seine Entscheidung für die Ortodoxie jedoch noch nicht, denn zur Predigtvorbereitung verwendet er einerseits einen Predigtkommentar des Franziskaners Johannes Wild, andererseits eine Postille Martin Luthers. Das größte Problem für ihn ist, daß die Pfarrstelle an St. Remigius so schlecht mit Einkünften ausgestattet ist, daß er nur wenig für seinen Unterhalt hat und viel Zeit für die Arbeit in seinem Weinberg aufbringen muß, um sich und die Seinen zu ernähren. Genau wie viele seiner Amtsbrüder hat auch er mit seiner Haushälterin drei Kinder gezeugt. Dieses Problem begegnet den Visitatoren in jeder dritten Pfarrei. Die Gemeinde ist in der Regel mit der eheähnlichen Gemeinschaft des Pfarrers und seiner Magd einverstanden, denn gerade ein Pastor wie Gerhard Venrad in Königswinter hat für seinen Unterhalt zu arbeiten wie jeder andere Bauer, und jedem im Dorf ist klar, daß ein Mann den Hof nicht ohne Frau und Kinder bewirtschaften kann. Von dem Zeitpunkt, wo ein katholischer Pfarrer sein sexuelles Verhältnis mit einer Magd diskret verschweigt und in das Haus eines Freundes verlegt, sind wir noch ein Jahrhundert entfernt.

Neben dem Vordringen des Calvinismus, der gerade in Oberkassel, Vilich, Schwarzrheindorf, Küdinghoven und Niederdollendorf Anhänger für sich gewinnen kann, ergibt sich für die Wiederherstellung der katholischen Lehre in den rechtsrheinischen Gemeinden ein weitaus größeres Problem aus der Existenz einer ganz anderen religiösen Gemeinschaft, nämlich den Täufern. Täufer gab es hier überall, in Limperich, Küdinghoven Ober- und Niederdollendorf, Oberkassel, Königswinter oder Honnef. Das Täuferzentrum war wohl das Städtchen Königswinter. Dort soll es um 1569 40 Haushaltungen von Täufern gegeben haben, was bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 500 Personen etwa ein Drittel ausmacht. Dort unterhielten die Täufer auch eine eigene Schule. Die Visitatoren gaben den Äbtissinnen der Stifte und den Pfarrern der betroffenen Gemeinden Maßregeln für den Umgang mit den - nach Reichsrecht vogelfreien - Täufern: "Daß die Pastöre die Wiedertäufer und anderen Sektierer aus den Heiligen Schriften informieren und lehren mögen, daß sie sich von ihren Irrtümern zurückziehen mögen; daß, wenn diese nicht gehorchen und hartnäckig in ihren Irrtümern verbleiben, sie diese der weltlichen Gewalt anzeigen, so daß sie durch diese zurechtgewiesen oder fortgeschafft werden, oder sie sollen den Herren (Visitations-) Kommissaren angezeigt werden, so daß Reverendissimus (d.i. der Kurfürst) berichtet werde, damit nicht Katholische und Fromme vergiftet und verführt werden." Nach dem Reichstagsabschied von 1551 waren alle Täufer, "die aus diesem mutwilligen, verführigen und aufrührigen irrsal und sect, den oberkeiten nicht huldigen und schwören oder gar kein oberheit erkennen wöllen, vom natürlichen leben zum tod mit feur, schwerd oder dergleichen nach gelegenheit der person ohne vorhergehende der geistlichn richter inquisition" zu richten. Die im Rheinland gebräuchliche Verfolgungspraxis, die Bekehrung und bei Uneinsichtigkeit Abschiebung in den Vordergrund stellte, hebt sich wohltuend von dieser strengen Regelung des Reichsrechts ab. Sie geht auf den Einfluß Hermanns von Wied zurück. Das Täufertum hatte sich am Niederrhein allmählich vom Schock der Niederwerfung des Münsteraner Gottesstaates erholt, an dem sich alle rheinischen Fürsten beteiligt hatten. Unter Menno Simons war es wieder erstarkt. Der Sieg Karls V. über die Schmalkaldener und das nachfolgende Interim, das zur schon erwähnten Bergischen Visitation von 1550 geführt hatte, hatten die lutherische Reformation entschieden gehemmt. Hier war gegen Ende der 50er Jahre des 16. Jahrhunderts das mennonitisch geprägte Täufertum in die Lücke eingedrungen. Vor allem in der Schicht der umherschweifenden Handwerker und der einfachen Bauern fand die Täuferbewegung, die konsequent die Trennung von der Universalkirche wie auch von der Religionshoheit der weltlichen Obrigkeit verfocht, ihre Anhänger. Nach den Salentinischen Visitationsprotokollen gab es Täufer in Bornheim, Hersel, Merten, Graurheindorf, Urfeld, Erpel, Mehlem, Rüngsdorf, Rheinbach, Schwarzrheindorf, Vilich, Königswinter, Heimersheim, Frauenberg, Gymnich, Üdinghoven, Büttgen, Uerdingen, Kempen, Oedt, Hüls, Elsen, Deutz, Longerich und Dorsten. Außerhalb Kurkölns lassen sich in Jülich-Berg noch viele Gemeinden aufzählen. Das Zentrum der rheinischen Täufer war allerdings die Reichsstadt Köln.

Selten waren es mehr als ein oder zwei Familien, die sich dem Täufertum zuwandten, aber ihre Präsenz war ausreichend, um für eine zunehmende Beunruhigung der Obrigkeit zu sorgen. Ab 1560 sind daher in den vereinigten Herzogtümern, in denen sich das Täufertum stärker bemerkbar machte, zahlreiche Verfolgungsedikte zu verzeichnen. Auch hier hatte allerdings das Beispiel Hermanns von Wied gewirkt. Die Bevölkerung verhielt sich in der Regel den Täufern gegenüber indifferent. In Graurheindorf jedoch hatte es Streit gegeben, weil die konfessionellen Abweichler nach Aussage der Sendschöffen "mit den Nachbarn nicht einmütig zusammenleben können". Auch in Mehlem gab es eine gewisse Beunruhigung, weil die Täuferhochburg Königswinter direkt gegenüber lag. Beides deutet auf auf eine nicht unerhebliche Missionierung der Täufer in den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts hin. Die Täuferbewegung hat sich in den rechtsrheinischen Orten noch lange gehalten. Allerdings wurden sie im Jülich-Bergischen wie auch im Kurkölnischen in den Untergrund gedrängt. Die Gegenreformation der 60er Jahre des 16. Jahrhunderts, der wir schon begegnet sind, hat hier das Klima in tödlicher Weise verschärft. Ein viele Strophen langes Täuferlied aus dieser Zeit besingt das Martyrium des Niederdollendorfer Wanderpredigers Konrad Koch, der im Alter von 65 Jahren in den Kerker geworfen wurde. Trotz vieler Vorhaltungen, Versprechungen und Qualen, zuletzt auch unter der Folter, widerrief er nicht seine Überzeugung, daß nur die Taufe der Erwachsenen gerechtfertigt sei. 1565 wurde er in Honnef öffentlich hingerichtet. Täufer zu sein, war also in dieser Zeit gefährlich. Ihre Versammlungen fanden im Freien und häufig bei Nacht statt. Der Wechsel der Regierung vom Haus Kleve auf das Haus Pfalz-Neuburg im Jülicher Erbfolgekrieg brachte nach dem Übertritt Wolfgang Wilhelms zum Katholizismus eine weitere Verschärfung der Maßnahmen mit sich, die jedoch zunächst nicht zu einer völligen Ausrottung der Täufer führte. Wolfgang Wilhelm verfügte zwar immer wieder die Ausweisung überführter Täufer bei Konfiskation ihrer Güter, doch ließ er sich die Duldung der Täufer letzten Endes teuer bezahlen. Daher ließ er durch seinen Löwenburger Amtmann genaue Verzeichnisse der Täufer anlegen, die als Grundlage für die Schatzung dienen sollten. Aus ihnen geht hervor, daß 1638 in Honnef noch 19 Täufer, in Ober- und Niederdollendorf sowie in Oberkassel zusammen 22 und in Küdinghoven 11 Täufer lebten.

Das Ende der Täuferbewegung kam mit dem Erlaß zur Ausweisung vom 28.2.1671, den der seit 1653 regierende Sohn Wolfgang Wilhelms, Philipp Wilhelm, erlassen hatte. Dieser Erlaß war nur einer in einer langen Folge von bergischen Anti-Täufer-Dekreten, aber er gab dem energischen Honnefer Pfarrer und Schriftsteller Franz Xaver Trips die Handhabe zu einem scharfen Vorgehen. Im Verein mit dem Löwenburger Amtmann sorgte er für eine Durchführung der Verordnung über Ausweisung und Güterkonfiskation aller Nichtkatholischen. Im linksrheinischen Gebiet war ebenfalls im Verlauf des 17. Jahrhunderts die Gegenreformation erfolgreich im Kampf gegen die Täufer gewesen. 1619 hören wir noch von je einem Täufer in Bonn, in Buschhoven und in Heimerzheim. Hier hatte die räumlich nähere Präsenz des Fürsten den Täufern offensichtlich mehr zugesetzt als im Bergischen. In den Visitationsberichten späterer Jahre finden wir gar keine Meldungen über Täufer mehr. Weder Reformation noch Täufertum hatten den Katholizismus in den rechtsrheinischen Pfarreien völlig verdrängen können. Sie waren jedoch ungehindert in diese Gemeinden eingedrungen. In Vilich, Königswinter, Oberkassel und Küdinghoven finden sich zwischen 1550 und 1569 Pfarrer, die eindeutig nach neugläubiger Lehre amtieren oder in ihren bisherigen Stellen amtiert haben, ohne daß dies die Äbtissin des Stiftes Vilich als Kollatorin gehindert hätte, sie auf ihre Stellen zu präsentieren. Außer Georg Neheim wird auch niemand gezwungen, seine Stelle zu verlassen. Lediglich die Ermahnung wird allen auf den Weg gegeben, sich künftig nach den Geboten der römischen Kirche zu richten.

Die Rahmenbedingungen für den eigentlichen Wiederaufbau der katholischen Kirche im Rheinland sind im 16. Jahrhundert noch zu ungünstig. Die Erzbischöfe amtieren nicht lange genug oder sind viel zu desinteressiert, als daß sie die nötige Dynamik für einen Reformprozeß zu entfalten vermöchten. Die Bevölkerung ist trotz der zahlenmäßig beachtlichen Erfolge der Reformierten und der Täufer in der Mehrheit religiös eher indifferent. Pastor Gerhard Venrad zu Königswinter etwa beklagt sich 1569 bitter, die Leute seien in Bezug auf Besuch und Mitfeier des Gottesdienstes einfach "kalt". Die politschen Rahmenbedingungen änderten sich, als 1595 mit Ferdinand von Wittelsbach ein Koadjutor und späterer Erzbischof an die Regierung Kurkölns kam, der ganz im Sinne der tridentinischen Refom an die Wiederherstellung und Verbesserung der kirchlichen Zustände in seinem Land gehen wollte, und als seit 1614 mit der Konversion Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg auch in den Herzogtümern Jülich und Berg ein zuverlässig katholischer Herrscher saß. Leider jedoch wurde die Gegend seit den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts immer wieder von Kriegen heimgesucht. Erst kam der Kölnische Krieg, der die Stifte Vilich und Schwarzrheindorf verwüstete, dann der jülich-klevische Erbfolgekrieg und später der Dreißigjährige Krieg. Besonders letzterer brachte dreimal große Not in die rechtsrheinischen Pfarreien. Zuerst waren es die schon erwähnten Niederländer auf der Rheininsel "Pfaffenmütz" und die sie bekriegenden Spanier, die Verwüstung und Not verbreiteten, Mitte der 30er Jahre kamen dann die Schweden, die 1633/34 die Drachenburg bei Königswinter zerstörten und auch an den anderen Kirchen und festen Plätzen so manchen Schaden anrichteten, und schließlich gegen Ende des Krieges umherstreifende Scharen der Hessen, die ebenfalls Plünderungen nicht abgeneigt waren. Auch gegen Ende des 17. Jahrhunderts hatten die Dörfer noch einmal unter der Kriegsfurie zu leiden, als die Soldaten des Sonnenkönigs Ludwig XIV. von Bonn aus brennend und sengend die Ortschaften zwischen Beuel und Honnef verheerten.

Kein Wunder also, daß viele Maßnahmen zur Erneuerung der katholischen Frömmigkeit und zur Reform von Kultus und Gemeindeleben erst ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zu beobachten sind. Diese Bemühungen um Wiederbelebung und Erneuerung, die seit Hubert Jedin mit dem Begriff "katholische Reform" bezeichnet werden, sahen ihr Ziel vor allem in der klaren Abgrenzung der sakralen Sphäre von allen Elementen des Weltlichen. Ein Pfarrer sollte nicht länger wegen seines genußsüchtigen Lebenswandels zum Gespött der Menge werden, sondern duch einen Züchtigkeit und Frömmigkeit die Aura des Heiligen erhalten. Die Kirchen sollten nur den geistlichen Aufgaben dienen und nicht etwa der Aufbewahrung von Winteräpfeln, und die Friedhöfe sollten Orte heiliger Ruhe sein und nicht etwa vom Meckern der Ziegen, Grunzen der Schweine und Scharren der Hühner widerhallen, die auf ihnen ihr Futter suchten. Neben dieser "Spiritualisierung des Sakralen" bestand die zweite Säule der katholischen Reform in der Kontrolle, welche die Kirche nunmehr über alles Profane beanspruchte. Der gesamte Bereich des alltäglichen Lebens wurde nun durchnormiert und kontrolliert. Kleiderordnungen, Regelungen von Tanz, Festen, Karneval, Maibräuchen, Glücksspielen, Essen, Trinken, Tabakrauchen usw. waren ebenso der Kontrolle unterworfen wie das Bücherlesen, das Singen, das Beten oder das Abhalten von Prozessionen. Diesen Prozeß, der sich bei Katholiken wie bei Protestanten gleichermaßen findet, nennt man Konfessionalisierung. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen der katholischen Reform und der Konfessionalisierung war die personelle Erneuerung des Seelsorgeklerus. Gerade im Rheinland, wo unter den Laien so viel an Indifferenz und unter dem hohen Klerus so viel an Genußsucht und unfrommen Lebensweisen zu finden war, kam es ganz besonders darauf an, für die Stellen der Pfarrer in den dörflichen und städtischen Gemeinden geeignete Personen zu finden, die wenigstens ein Mindestmaß an Unterscheidungsbewußtsein für die jeweiligen Lehren der verschiedenen christlichen Konfessionen mitbrachten ...und sich an die Normen und Gewohnheiten der römisch-katholischen Kirche hielten. Im 16. und 17. Jahrhundert war oft noch das Gegenteil der Fall. so heißt es vom Vilicher Pfarrer Hubert Fabricius 1617, er trage keine geistliche Kleidung und frequentiere häufig die umliegenden Kneipen. Nachwuchs an geeigneten Priestern gab es aber kaum, denn es gab außer einer sehr kurzen Periode unter Ferdinand von Wittelsbach im Erzbistum Köln kein Priesterseminar, und außerdem hatte der Erzbischof aufgrund der aus fränkischem Eigenkirchenrecht herstammenden Kollations- und Präsentationsrechte nur in einer verschwindend geringen Anzahl von Gemeinden seiner Diözese das Auswahlrecht für den Pfarrer. Gerade in den Gemeinden am Fuß des Siebengebirges, die ja durch den täuferischen und calvinistischen Einfluß besonders gefährdet waren, fand sich Abhilfe durch die konsequente Inanspruchnahme der Klöster.

In Oberkassel, so haben wir schon gehört, war nach der Verhaftung des Johann Lehmann durch die Spanier ein Mönch aus Heisterbach eingesprungen. Er übernahm auch die Pfarrei Küdinghoven, so daß beide Pfarreien sozusagen sicher in katholischer Hand waren. Das war nicht das erste Mal so. Schon vor der Übernahme der Pfarrei Oberkassel durch die Calvinisten hatte hier ein Trierer Pater namens Mertens die Pfarrei geleitet, und auch er war zugleich Pfarrer in Küdinghoven gewesen. Nach Weggang des Paters Peter Buirmann nach Niederkassel im Jahre 1631 wird wieder ein Regularkleriker Nachfolger in Oberkassel, und zwar ein Pater des Klosters Rommersdorf bei Koblenz. 1643, nachdem einige Zeit ein Weltgeistlicher namens Volmar das Amt versehen hatte, folgt wieder ein Mönch von Heisterbach namens Johannes Hönlingen, auch er für beide Pfarreien gemeinsam. Die Verwaltung der Pfarreien scheint seit 1647 wieder getrennt gewesen zu sein. In den nun einsetzenden friedlicheren Zeiten bindet man den Küdinghovener Pfarrer durch Inkorporation einer Vikarstelle jedoch stärker an das Vilicher Stift. Regularkleriker finden sich hier nicht mehr. In Oberkassel jedoch ist zumindest der bis 1668 dort amtierende Bernhard Breitel ein Zisterziensermönch, wenn auch nicht aus Heisterbach, sondern aus Grevenbroich. Ähnlich wie in Küdinghoven und Oberkassel finden wir die Verhältnisse in Ober- und Niederdollendorf. Auch hier werden in den schwierigen Zeiten des 16. und 17. Jahrhunderts die Pfarreien bisweilen zusammengelegt. Der Grund liegt in der schlechten wirtschaftlichen Ausstattung, die uns ja schon anderweitig beim Bericht über den Königswinterer Pfarrer Gerhard Venrad begegnet ist. Sitz des Pfarrers ist in solchen Zeiten Oberdollendorf. 1624 ist hier ein Leonard Muhr bezeugt, der aus Bitburg stammte und sehr wahrscheinlich auch ein Regularkleriker war. Sein Nachfolger Nikolaus Fabritius jedenfalls, der von 1639 bis 1657 beide Gemeinden von Oberdollendorf aus verwaltete, trug wieder den vertrauten Habit der Zisterzienser. Auch sein Nachfolger in Oberdollendorf, Jakob Broichhausen, war ein Zisterzienser aus Heisterbach. Auf ihn folgte der Deutzer Benediktiner Johann Glesch. Etwas anders sind die Verhältnisse in Königswinter, wo wir keinen Seelsorger aus einem Orden treffen. Hier jedoch wird das 17. Jahrhundert dominiert durch die Gestalt des Peter Kohlen aus Luxemburg, der von 1621 bis 1667 als Pfarrer amtiert. Er ist einer der wenigen Absolventen des erzbischöflichen Priesterseminars, das er 1618 verlassen hat. Damit ist auch in Königswinter für die schwierige Anfangszeit der katholischen Reform ein geeigneter Mann gefunden worden. Unter seinen Nachfolgern findet sich von 1689-1716 der Licentiat der Theologie Johannes Ament, was zeigt, daß man in Königswinter auch weiterhin daran interessiert war, einen gut ausgebildeten Kandidaten für die Pfarrstelle zu finden. Neben dem Pfarrer ist die Person des Küsters von erheblicher Bedeutung. Er versieht nämlich neben vielen anderen Dingen vor allem die Stelle des Dorflehrers.

Die Schule spielt im System der katholischen Reform eine besonders wichtige Rolle, weshalb darauf geachtet wird, an allen Pfarrkirchen Schulunterricht einzuführen und Sorge zu tragen, daß der Küster auch sorgfältig seinen Lehrerpflichten nachkommt. An Wissen hat dieser freilich außer ein wenig Lesen, Schreiben und Rechnen nicht viel zu vermitteln. Seine eigentliche Aufgabe besteht in der Unterweisung der Kinder in Gebeten, der Liturgie der Heiligen Messe und anderen religiösen Formeln, außerdem führt er die Kinder bei Prozessionen an, erzählt ihnen Geschichten aus der Bibel und übt mit ihnen fromme Theaterszenen ein. So forderte ein Visitationsdekrat des Siegburger Landdekanates von 1617: "Der Pfarrer muß selbst oder durch andere (Frühmesser, Offermann) den Unterricht erteilen. Die Schule soll vor September beginnen und ohne Unterbrechung (im Winter) fortgesetzt werden. Eine Entschuldigung ist nicht zulässig. Der Pastor verfällt einer Strafe von 5 Goldgulden, wenn er dabei seine Pflicht nicht erfüllt. die Lehrer dürfen keine häretischen Bücher gebrauchen, sondern nur solche, die von Pastor oder Dechanten gebilligt sind." Die Küsterschulen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts haben eher den Charakter einer Koranschule als den einer Elementarschule, wie wir sie seit der Aufklärung kennen. Nicht jeder Küster war in der Lage, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Der studierte Theologe Ament, von dem gerade die Rede war, warf gleich zu Beginn seiner Amtszeit in Königswinter den bisherigen Küster hinaus und stellte einen anderen ein. In Vilich ging man nicht so drastisch vor, aber sowohl 1687 als auch 1731 sind die jeweiligen Pfarrer mit den Leistungen ihrer Küster nicht so recht einverstanden. Gerade in Vilich war die Schule aber einer der Hauptaufgaben des Stiftsküsters. Die Küsterei diente sogar eigens als Schulgebäude. Ab wann die Schulen tatsächlich eingerichtet worden sind, ist heute nicht mehr leicht festzustellen. Aus den Visitationsberichten des 16. Jahrhunderts wissen wir, daß damals in vielen Dörfern noch Widerstand gegen eine für die einfachen Bauern und Winzer völlig nutzlose Einrichtung der Küsterschule vorhanden war. Vermutlich dürfte das Vorbild der Stiftsschule für die Novizinnen in Vilich hier auch für eine frühe Einführung der Pfarrschule gesorgt haben, zumal das Amt des Küsters mit dem Stift verbunden war. Sicher belegt ist derzeit nur die Existenz einer Schule in Oberkassel im Jahr 1596. In Königswinter gab es 1569 noch keine Pfarrschule, allerdings hatte einer der dortigen Täufer eine eigene Schule eröffnet. Der erste Küster, der für Oberdollendorf als Lehrer nachgewiesen ist, Johann Georg Harffen,. trat dieses Amt 1712 an. Vermutlich dürfte es auch davor schon eine Küsterschule gegeben haben, doch bleibt der Nachweis hierfür noch abzuwarten. Generell gilt für die Orte am Fuß des Siebengebirges, daß mit der Existenz einer Küsterschule erst ab dem letzen Quartal des 17. Jahrhunderts sicher zu rechnen ist. Dies ist einer der Gründe dafür, warum die Entwicklung der katholischen Reform auch nach den friedlicheren Jahrzehnten nach Ende des Dreißigjährigen Krieges nur sehr schleppend vorankam.

Neben der Schule war der Katechismusunterricht, die sogenannte Christenlehre, von besonderer Bedeutung für die religiöse Erziehung im Sinne der tridentinischen Reform. Hierüber erfahren wir jedoch so gut wie nichts. Lediglich einen wichtigen Hinweis erhalten wir, und zwar durch die Einrichtung der Bruderschaft Jesus, Maria und Joseph. Ihre besondere Aufgabe war die Förderung der Christenlehre, weshalb sie auch den lateinischen Namen "Fraternitas de doctrina christiana" trug. Sie begegnet uns zum Beispiel im 18. Jahrhundert in Küdinghoven. Schon 1659 war sie sie durch Pater Broichhausen in Oberdollendorf eingeführt worden. In Oberkassel allerdings wurde sie erst im Jahre 1800 gegründet. Die Bruderschaften, die damit schon erwähnt worden sind, stellen ein weiteres wichtiges Element der katholischen Reform dar. Hier lassen sich zwei Typen unterscheiden. Die ältere Form, die aus dem Mittelalter stammt, hat zwar stets einen starken religiösen Bezug, der schon allein schon durch den jeweiligen Heiligen hergestellt wird, unter dessen Patronat sie steht. Doch der eigentliche Zweck dieser Vereinigungen lag in verschiedenen gesellschaftlichen Verpflichtungen und Aufgaben, von der korrekten Bestattung verstorbener Mitglieder bis zur Verteidigung der Heimat durch Schützenbruderschaften. Der neue Typ der Bruderschaft, der ein Element der katholischen Reform darstellt, ist ganz und gar eine religiös ausgerichtete Vereinigung. Hier steht in der Regel nicht mehr ein dem Mittelalter entlehnter Heiligenkult im Vordergrund, sondern entsprechend der stärkeren Ausrichtung der barocken katholischen Theologie auf christozentrische Themen finden wir hier auf Christus oder Maria bezogene Namen bzw. solche, die bestimmte Formen der Frömmigkeit ausdrücken. Das gilt z.B. für die 1688 in Niederdollendorf eingeführte Erzbruderschaft vom Heiligen Rosenkranz. Ansonsten herrscht hier der ältere Typ der Schützenbruderschaft vor. So heißt es 1578 in einem Bericht aus Küdinghoven: "Ferners ist ... vor etlichen jaren under den schutzen ... umb guter freundlicher nachbarschaft und liebten halber eine bruderschaft aufgerichtet und angestiftet worden..." In Niederdollendorf ist 1512 eine Bruderschaft zu Ehren Unserer Lieben Frau aufgerichtet worden, die offensichtlich die Stürme der Reformation überstanden hat, da sie 1578 bezeugt ist. Wahrscheinlich ist sie identisch mit der Antoniusbruderschaft, die 1650 erneuert worden ist, nachdem sie in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges untergegangen war. In Oberdollendorf ist die Sebastianusbruderschaft schon vor 1578 gegründet worden. In Vilich gab es ebenfalls eine Sebastianusbruderschaft, doch wurde diese erst 1717 gegründet. Vorher bestand hier nur eine Skapulierbruderschaft, die angeblich bis 1688 in Niederdollendorf beheimatet gewesen sein soll. Unter Sebastianusbruderschaften sind in aller Regel Schützenbruderschaften zu verstehen. Sie hatten einerseits vielfältige Aufgaben in polizeilicher Hinsicht, andererseits hatte ihre Tätigkeit gerade in Gegenden mit einer gemischtkonfessionellen Bevölkerung auch eine ganz pragmatische Funktion innerhalb des kirchlichen Lebens, denn sie schützten mit ihren Waffen und mit ihrer bloßen Präsenz das Allerheiligste bei den häufigen Flurprozessionen.

Überblickt man die ganze Entwicklung der Reformation, Gegenreformation und der katholischen Reform in den Dörfern am Fuße des Siebengebirges, so erweist sich, daß die Verhältnisse sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts soweit eingependelt hatten, daß ein gewisses Gleichgewicht entstand. In den ersten Jahrzehnten nach dem Beginn der Reformation hatte sich kaum ein Effekt bemerkbar gemacht. Im Gefolge der Kölner Reformation Hermanns von Wied jedoch finden sich auch in den Gemeinden der alten Vilicher Mutterpfarrei Pastöre und Laien, die sich der neuen Lehre gegenüber aufgeschlossen zeigen. In den 50er und 60er Jahren treten an die Stelle dieser ersten evangelischen Gruppen Täufer und Calvinisten. Zugleich wird aber auch eine stärker gegenreformatorisch ausgerichtete Politik des Herzogs von Berg wie auch des Kurfürsten von Köln sichtbar. Vor allem durch das Auftreten der Spanier im Dreißigjährigen Krieg kann der Einfluß der Calvinisten zurückgedrängt werden. Die Täufer halten sich in den Ortschaften des Herzogtums Berg wesentlich länger, müssen jedoch Ende des 17. Jahrhunderts endgültig dem unerbittlichen Druck des Herzogs Philipp Wilhelm weichen. Die reformierten Gemeinden südlich der Sieg gehen unter bis auf die Gemeinden in Honnef und Oberkassel. Die Oberkasseler Gemeinde kann glaubhaft machen, daß sie im sogenannten "Normaljahr" 1624 im Besitz der Pfarreirechte und -einkünfte war. Daher wird ihr im Religionsvergleich zwischen den Fürsten von Pfalz-Neuburg und Brandenburg 1672 die Pfarrkirche zugestanden. Die fortgesetzten Streitigkeiten mit den Katholiken führen 1683 zum Bau einer eigenen Kirche. Damit ist in der ganzen Region zwischen Schwarzrheindorf und Königswinter ein relativer konfessioneller Friede eingekehrt. Trotz starker Zerstörungen in den Raubkriegen Ludwigs XIV. wird der Reformprozeß im Sinne der Beschlüsse des Konzils von Trient, der nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges schon eingesetzt hatte, fortgeführt. Wichtiger Garant für eine Stabilisierung der kirchlichen Verhältnisse im katholischen Bereich ist die Auswahl geeigneter Pfarrer für die einzelnen Pfarrstellen wie auch die ausreichende Dotierung der jeweiligen Pastorate. Die Lösung liegt einerseits in der Zusammenlegung der Pfarreien Oberkassel und Küdinghoven bzw. Ober- und Niederdollendorf, andererseits in der Rekrutierung der Pfarrgeistlichen aus dem Regularklerus, vor allem aus dem nahen Zisterzienserkloster Heisterbach. Erfolge der katholischen Reform zeigen sich etwa im Aufbau "moderner" Bruderschaften wie "Jesus, Maria und Joseph" zur Beförderung der Christenlehre oder der Rosenkranz-Bruderschaft, aber auch in der zunehmenden Einrichtung von Küsterschulen. Daß die Bevölkerung jedoch althergebrachte Formen des kirchlichen Lebens nicht leicht zugunsten der neuen katholischen Werte aufgab, zeigt das Festhalten an den älteren Formen der Schützenbruderschaften, die im 17. und 18. Jahrhundert erneuert und zum Teil erst gegründet werden. Die Zeit größerer Konflikte scheint seit dem Ende des 17. Jahrhunderts jedoch ausgeräumt zu sein. Wenn auch nicht zu einem Miteinander, so fanden die Christen verschiedener Konfessionen seit dem 18. Jahrhundert zu Füßen des Siebengebirges immerhin zu einem einigermaßen friedlichen Nebeneinander.


(c) 2000 by Thomas Becker, Bonn

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