Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen

Ansprache anläßlich der Buchvorstellung des Faksimile von Hermann Löhers "Wehmütiger Klage"
am 2. Februar 1999 im St-Michael-Gymnasium zu Bad Münstereifel

von Thomas P. Becker

"Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich". Dieser Vers stammt nicht von Hermann Löher, wie Sie alle wissen, er stammt aus der Bergpredigt. Aber er paßt sehr gut auf den Mann, dessen wir heute mit der Präsentation seines Buches gedenken wollen. Und jemand, der den Autor und sein Buch gut gekannt haben muß, wußte darum, wie passend diese Worte aus Matthäus 5, Vers 10, für ihn sind, und er hat sie daher in den Deckel des Buches geschrieben.

"Verfolgung erleiden um der Gerechtigkeit willen"? das paßt gut zu dem Mann, um den es heute geht. Lois Gibbons, der schon 1931 den ersten wissenschaftlichen Aufsatz über Hermann Löher in einer amerikanischen Festschrift verfaßt hat, bezeichnete ihn als "A Seventeenth Century Humanitarian". Das ist in einer Dissertation der letzen Jahre als "Humanist" verstanden worden, doch meint das Wort nicht einen an den klassischen Texten der Griechen und Römer geschulten Gelehrten, denn das war Löher mit Sicherheit nicht, sondern einen Menschen, der im ursprünglichen Sinne des Wortes dem Humanismus anhängt, als einer, der sich dem Studium des "Humanum" verschrieben hat, des Menschlichen, das uns, wie der Apostel Paulus sagt, immer auf uns selbst zurückkrümmt und uns in unseren Ängsten und Schwachheiten gefangen hält.

Wer war Hermann Löher, und was ist das für ein Buch, das es wert macht,nach über 300 Jahren noch einmal gedruckt und den Menschen zum Kauf angeboten zu werden? Er war, um es gleich vorweg zu sagen, einer von uns. Kein Gelehrter, kein charismatischer Politiker, kein unerschrockener Held. Er war ein Mann, der seine Familie durch seine Kaufmannschaft redlich nährte, der sich als Ratsmitglied und Bürgermeister um seine Heimatstadt Rheinbach verdient machte, der sich nicht drückte, wenn er gebraucht wurde, der sich aber auch nicht in den Vordergrund drängte.

Löhers Familie stammte aus Münstereifel. 1595 wurde er hier geboren,doch zog sein Vater schon 1601 nach Rheinbach im benachbarten Kurköln. Seit dem Tod seines Vaters Gerhard im Jahre 1625 führte Hermann Löher das Geschäft alleine. Seine Beschäftigung war es, "mit reyssen im lande nach Franckfurt, Achen, Theuren und Cölln wahren dahin zu brengen und ab zu holen, mit Stahl, Ijssen, Wüllen und Linnen, Spezereyen, Fruchten und Weynen gelt und Gutter zu gewinnen." Zwei Jahre später schon wurde er für ein Jahr in das ehrenvolle Amt des Bürgermeisters gewählt. Seit dieser Zeit dürfte er im Stadtrat stets vertreten gewesen sein. 1631 wurde er in das siebenköpfige Gremium der Schöffen am Hochherrengericht als jüngster Schöffe aufgenommen. Er war damals 36 Jahre alt, ein Mann, der sich in seiner kleinen Welt eingerichtet hatte und nach allem, was wir seinem Buch entnehmen können, recht zufrieden darin gelebt hätte, wenn ihn das Schicksal nur gelassen hätte.Dieses Schicksal aber hatte anderes mit ihm vor.

Im Sommer 1631 begannin Rheinbach das, was in den ganzen kurkölnischen Orten der Umgebung schon seit etlichen Jahren zugange war: die sogenannte "Hexenverfolgung". Es läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren, was genau der Anlaß für den ersten Rheinbacher Hexenprozeß gewesen ist, der im Juni dieses Jahres gegen eine Magd des Rheinbacher Bürgers Hilger Lirtz angestrengt wurde. Sicher ist, daß sie nach wenigen Tagen der Hexerei für schuldig befunden und in der üblichen Weise zum Tod durch Erdrosselung und anschließende Verbrennung des toten Körpers verurteilt wurde. Die Urteilsfindung war Sache des Rheinbacher Richters, der Schuldspruch aber erging durch die Jury der sieben Schöffen, die zusammen mit sieben anderen Bürgern den Rheinbacher Stadtrat bildeten.Einer dieser Schöffen war Hermann Löher.

Nichts in seinem Buch deutetdarauf hin, daß er sich ein großes Gewissen daraus gemacht hat, als er für den Tod dieser armen Frau stimmte, und auch die Hinrichtung eines weiteren Opfers, einer armen alten Frau namens Grete, war für den Schöffen noch kein Problem. Erst als in Folge der beiden Verfahren Schwierigkeiten bei Gericht auftraten und man entsprechend der kurkölnischen Hexenprozeßordnung den Bonner Rechtsgelehrten und Hexenjäger Dr. Franz Buirmann nach Rheinbach holte, kamen dem 36jährigen Schöffen erste Bedenken über die Rechtmäßigkeit des Treibens in der Gerichtsstube und in der Folterkammer.

Das dritte Opfer der Rheinbacher Hexenprozesse war Christina Böffgens,Witwe eines früheren Schöffen und Bürgermeisters und wie Hermann Löher erfolgreich im Tuchgeschäft tätig. Löher kannte sie gut und respektierte sie sehr. Wie kann das sein, so muß er gedacht haben, daß diese ehrbare Frau sich dem Teufel verschrieben haben soll, wie ist es vorstellbar, daß sie in ihrem würdigen Alter an zügellosen Orgien und ekelhaften Praktiken teilgenommen haben soll. Was ihn aber wirklich erschütterte, war der qualvolle Tod dieser armen Frau unter den Händen des Henkers.

Der Hexenkommissar trieb so sein Spiel mit den Schöffen, er schüchterte sie ein und drängte ihnen seinen Willen auf, und Hermann Löher schwieg. Der Kommissar ging immer weiter in seinen Forderungen, verlangte Blanko-Haftbefehle und unbedingte Gehorsamsbeweise, und Hermann Löher weigerte sich nicht. Der Kommissar verhaftete den ältesten Schöffen Herbert Lapp, weil dieser ihm widersprochen hatte und ließ ihn auf den Scheiterhaufen schaffen, und Hermann Löher verteidigte ihn nicht. Erst als die Furie des Hexenwahns in Rheinbach und den umliegenden Orten auch die Mitglieder seiner eigenen Familie bedrohte, als sein Schwiegervater, der Bürgermeister von Flerzheim, als Hexer den Scheiterhaufen besteigen mußte, und als die Leute auf dessen Tochter, Löhers Frau Kunigunde, mit den Fingern zu zeigen begannen, begriff er die Gefahr und floh bei Nacht und Nebel mit Ehefrau und Schwiegermutter ins anonyme Köln und von daaus in die Sicherheit des toleranten Amsterdam. Hier wurde er von seinen Erinnerungen geplagt und vor allem von der Frage, ob er selbst sich schuldig gemacht hatte bei der Ermordung seiner Nachbarn und Freunde. Jahrzehntelang hat er mit dieser Frage gerungen, und endlich im 80. Jahr seines Lebens hat er begonnen, das alles aufzuschreiben, was er in Rheinbach erlebt hat, als flammende Anklageschrift gegen das schreckliche Unrecht dieser Prozesse und als Warnung davor, noch einmal in eine solche schreckliche Verirrung zu geraten.

Verweilen wir einen Moment bei der Beschreibung des Todes der armen Christina Böffgens. Gerade hier zeigt sich sehr deutlich die Bedeutung dieses Buches für die Wissenschaft, aber auch für jeden einzelnen von uns. Überall in Europa haben sich Akten von Hexenprozessen erhalten, und außer den Verhörprotokollen in ihrer infamen Monotonie absurder Anschuldigungen finden sich darin so manche Selbstzeugnisse verurteilter Männer und Frauen, die sich verzweifelt an ihre Angehörigen um Rettung gewandt haben. Die Situation der armen Opfer ist uns aus diesen Kassibern, aber auch aus den Schriften eines Friedrich Spee und eines Adam Tanner bekannt. Überall dort aber erscheinen die Täter als eine homogene Menge von fanatischen Verfolgern, ungerührt von den unmenschlichen Leiden ihrer eigenen Nachbarn und Freunde, die vor ihnen auf der Folter liegen. Hier aber, bei Hermann Löher, wird zum einzigen Mal in einer zeitgenössischen Quelle die Spannung und die Zerrissenheit in einem solchen Schöffenkollegium deutlich, hier wird klar, wie die einfachen Bürger, die den Urteilsspruch zu fällen hatten, hin und her gerissen wurden zwischen Skrupel und Pflichterfüllung, wie sie schwankten zwischen gelehrter und gepredigter Theorie und dem, was sie mit eigenen Augen mitansehen mußten. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine zweite Schilderung, in der die Konflikte innerhalb eines solchen Schöffenkollegiums deutlicher werden als in der "wehmütigen Klage". Das macht dieses Buch zu einer unschätzbaren Quelle für die Geschichtswissenschaft. Löhers Schilderungen gestatten Einsichten in den Ablauf der Verfolgungswellen, die sonst nicht möglich sind und die so manches Urteil zurechtrücken, daß aus der einseitigen Auslegung anderer Quellen gewonnen wurde. Gerade weil Löhers Buch kein chronologischer Bericht ist, sondern das Geschehen aus dem subjektiven Blickwinkel des Schöffen zeigt, kommen Zusammenhänge in den Blick, die in quantifizierenden Untersuchungen und strukturgeschichtlichen Analysen leicht verlorengehen. Allein schon die Identifikation der Hexenverfolgung als Frauenverfolgung wird durch die Lektüre dieses Buches relativiert. Zwar dürfen wir mit Fug und Recht annehmen, daß auch in Rheinbach und Umgebung die meisten Opfer der Verfolgungen Frauen waren, aber Hermann Löher, der doch selber zu den Verfolgern gehörte, achtet gar nicht auf diese Zuspitzung auf ein Geschlecht. Er spricht immer wieder von Männern und Frauen, wenn er von Hexerei spricht, und unter den Personen, deren Schicksal er detailliert schildert, sind Männer und Frauen gleich verteilt. So gibt das Buch dem Historiker Aufschluß über die Mentalität und die Kommunikation innerhalb eines Schöffenkollegiums, die sich aus keinem Verhörprotokoll herausfiltern lassen.

Aber das Buch geht noch weiter. Wir können miterleben, wie Hermann Löher hineingezogen wird in ein Geschehen, das die moralischen Maßstäbe seiner kleinen Welt ins Rutschen bringt. Angesichts der krassen Verletzungen des Rechtes und der Menschenwürde erhebt er nicht seine Stimme gegen das Unrecht. Er wird nicht zum mutigen Vorkämpfer der Menschlichkeit, er stellt sich nicht dem Amtmann und dem Hexenkommissar entgegen, wie es sein Freund Winand Hartmann, der Pfarrer von Meckenheim, tut. Hermann Löher ist ein Mitläufer, ein zweifelnder zwar, einer, der im Stillen versucht, durch Bestechung und durch vorsichtige Warnungen Menschen vor dem Tod zu retten, aber doch einer, der im Gerichtssaal über seine verzweifelten Mitbürger immer wieder das Wort ausspricht, das ihn später jahrzehntelang im Exil verfolgen soll: SCHULDIG!. Hermann Löher, so sehen wir, ist uns gar nicht so fern. Hätten nicht alle weggeschaut, als man die jüdischen Nachbarn abholte, so hat der frühere Bundespräsident Heinemann einmal gesagt, wäre das schreckliche Verbrechen des Völkermords vielleicht zu verhindern gewesen. Würden wir alle mutiger den Übergriffen von Skinheads in der U-Bahn und den Hetzkampagnen von Fanatikern jedweder Couleur entgegentreten, würde sicher so manches Verbrechen in unserem Land verhindert werden. Aber wir sind keine Helden, genauso wenig wie Hermann Löher einer war. Er aber hat verstanden, daß man nicht auf Dauer stillhalten darf. In den Jahren, in denen er seiner geliebten rheinischen Heimat fernbleiben mußte, hat er sich immer wieder mit der Frage beschäftigt, was Menschen dazu treiben kann, ihren Nachbarn gegenüber jede Menschlichkeit und jedes Mitgefühl zu vergessen. Seite um Seite hat er gefüllt, um uns einen Spiegel vorzuhalten und uns zu warnen vor der Schwäche und Kleinmütigkeit unseres Herzens, vor der Kapitulation vor einer scheinbaren Autorität.

Es ist eine wichtige Botschaft, die Hermann Löher zu vermitteln hat, undsie hat über die Jahrhunderte hinweg nicht an ihrer Aktualität eingebüßt. Meine Damen und Herren. Dieser Tag heute ist ein besonderer Tag. Es war das Anliegen Hermann Löhers, daß so viele Menschen wie möglich seinen Appell an die Menschlichkeit und die Gerechtigkeit zu lesen bekommen. Heute, 322 Jahre nach dem ersten Druck des Werkes, hat seine Vaterstadt Münstereifel es endlich ermöglicht, daß dieser Wunsch in Erfüllung gehen kann. Lassen Sie uns alle hoffen, daß Hermann Löhers wehmütige Klage nicht nur der Kuriosität halber gekauft, sondern auch in unserer Zeit verstanden wird.

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(c) 1999 by Thomas Becker, Bonn

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