Tierverwandlungen in der "Wehmütigen Klage" des Hermann Löher

Vortrag auf der Frühjahrsversammlung des Arbeitskreises für interdisziplinäre Hexenforschung am 2.3.2001 in Stuttgart

von Thomas P. Becker

Unter den Büchern, die im 17. Jahrhundert von Gegnern der Hexenverfolgung geschrieben worden sind, nimmt die "Wehmütige Klage der frommen Unschültigen" des Rheinbacher Gerichtsschöffen Hermann Löher eine besondere Stellung ein. Dies liegt einmal an der Person des Autors, der etliche Jahre lang als Schöffe an Hexenprozessen beteiligt war und zahlreiche Schuldsprüche mitgetragen hat, bevor er selbst ein Opfer der Verfolgungen wurde und nach Amsterdam fliehen mußte, wo er - vom Saulus zum Paulus geworden - seine leidenschaftliche Anklage gegen die Hexenjagden seiner Zeit verfaßte. Andererseits liegt es auch am merkwürdigen Schicksal dieses Buches, das, kaum gedruckt, nach dem Tod des betagten Autors von seiner Witwe wieder eingestampft wurde und - soweit bekannt - in nur zwei Exemplaren der Nachwelt erhalten blieb. Erst durch eine vor fünf Jahren durch Dietmar Nix erstellte Übertragung ins heutige Deutsch und durch eine schwer erhältliche Faksimile-Ausgabe im Jahre 1998 ist der Text des Hermann Löher einem größeren Leserkreiszugänglich. Schon lange vorher tauchte der Name Löher immer wieder gern in der wissenschaftlichen Literatur auf. Wahrscheinlich ist die "Wehmütige Klage" eine der am meisten zitierten und zugleich am seltensten gelesenen literarische Quelle der modernen Hexenforschungsliteratur.

Hermann Löher wurde 1595 in Münstereifel im Herzogtum Jülich geboren.Die Familie zog wenige Jahre später über die Landesgrenze ins Kurkölnische, und zwar in das kleine prosperierende Städtchen Rheinbach südwestlich von Bonn, das trotz seines Namens keineswegs am Rhein, sondern unmittelbar am Aufstieg zu den Höhen der Eifel liegt. Die Löhers reihten sich in die vornehmen Familien der Stadt ein, schon der Vater und später auch Sohn Hermann wurden Schöffe und Bürgermeister von Rheinbach, sie gehörten zu der kleinen Fernhändlerschicht dieses überwiegend vom Ackerbau und Kleingewerbe lebenden Landstädtchens. Hermann Löhers Lebensweg war typisch für seine Standesgenossen und völlig unspektakulär. Durch die geschickte Politik des Landesherren, des Kölner Erzbischofs Ferdinand von Wittelsbach, blieb die Region von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges weitgehend verschont, wenn auch immer wieder spanische und niederländische Truppen von den Kriegsschauplätzen des 80jährigen Freiheitskampfes der Niederlande zu Beutezügen in die fruchtbaren Rheinlande ausschwärmten.

Das beschauliche Leben Hermann Löhers fand sein jähes Ende, als im Reflex auf die schon seit einigen Jahren in den umliegenden Herrschaften durchgeführten Hexenjagden auch in Rheinbach die ersten Hexenprozesse eröffnet wurden. Besonders die bedrückende Gegenwart des bald aus Bonn hinzugezogenen kurkölnischen Hochgerichtsschöffen und Hexenkommissars Dr. Franz Buirmann legte sich wie ein Albdruck auf Löhers Seele. Nach und nach geriet die Führungsschicht der schöffenbürtigen Familien selber in den Sog der Hexenverfolgungen. Mehr als einer der amtierenden Schöffen und so mancher Angehörige der Schultheissen- und Schöffenfamilien der umliegenden Dörfer mußte im Jahr 1631 und wiederum einige Jahre später im Jahr 1636 den Scheiterhaufen besteigen, darunter auch Löhers Schwiegervater Matthias Frembgen aus dem Dorf Flerzheim, einige Kilometer von Rheinbach entfernt. Dessen Nachfolger wurde ein von Löher zutiefst verachteter Weber namens Augustin Strom. Von ihm werden wir noch hören.

Löhers 600 Seiten starkes Buch, die "Wehmütige Klage", entstand nicht etwa unmittelbar nach der Flucht nach Amsterdam, sondern erst 40 Jahre später, als der ehemalige Schöffe im gesegneten Alter von 80 Jahren zur Feder griff, um sich den Druck vieler Jahre von der Seele zu schreiben und gegen den Wahnsinn der Hexenjagden aufzubegehren. Neben den Erinnerungen an seine eigenen Erlebnisse und an die Berichte seiner Schöffenkollegen von den benachbarten Gerichten verwob er in sein Buch eine umfangreiche Diskussion der dämonologischen Literatur seiner Zeit. Er zitierte in breiten Auszügen sowohl die Werke der Befürworter der Verfolgungen wie das des Sittarder Pfarrers Franz Agricola oder des westfälischen Hexenkommissars Heinrich von Schultheiß als auch die Bücher von Gegnern der Hexenverfolgung wie die Cautio Criminalis oder den nur bei Löher überlieferten Brillen-Marter-Traktat des sauerländischen Pfarrers Michael Stappert. Dies sei vorausgeschickt, wenn es nun um die Frage der Tierverwandlungen bei Hermann Löher geht.

Sucht man nach Erwähnungen von Tierverwandlungen auf den Seiten der"Wehmütigen Klage", wird man an vielen Stellen fündig. Insbesondere dem besonders exotischen Thema der Verwandlung in Werwölfe hat Löher in seinem Buch gleich zwei ganze Kapitel, das 21. und das 23., gewidmet. Schon auf der dritten Seite findet sich der Satz: "Das Wort Unholt/ Donnerkatz/ Werwolff/ Hex und Zauberer/ ist nur ein Lügenfluch eines und anderen gehassigten Gottlosen Menschens/ wider alte fromme Mannen und Frawen./" Danach kommt freilich lange nicht mehr. Wir müssen schon bis zum 8. Kapitel vorblättern, bis wir auf Seite 133 zum ersten Mal den Begriff der "Transformation", der Selbstverwandlung eines Menschen in ein Tier, finden: Weder aus der Heiligen Schrift noch aus irgendeiner anderen Quelle, so Löher, können die Hexenkommissare und Dämonologen "das nachtdantzen/ transformiren, Windt und Wetter/ Ungezieffer machen/ beweisen/ daß sich Männer zu Wolffen/ Hunden/ Frawen zu Katzen/ Eulen/ können transformiren."

Damit haben wir gleich die Grundtendenz miterwähnt, die Löher seinen Aussagen über Tierverwandlungen gibt: Sie sind barer Unsinn, denn nicht einmal in der Bibel, in der doch sogar Hexen und Zauberer vorkommen, ist von Werwölfen, Hexenkatzen oder ähnlichem Getier die Rede. Interessant ist, daß schon an dieser Stelle ganz selbstverständlich eine geschlechtsspezifische Aufteilung vorgenommen wird: Männer verwandeln sich in Werwölfe, Frauen dagegen in Katzen oder Eulen. Der Argumentationszusammenhang dieser Stelle soll uns gleich noch weiter beschäftigen, denn es geht nicht um konkrete Hexenprozesse aus Löhers Rheinbacher Prozeßpraxis, sondern um ein Argument gegen Aussagen, die sich in der dämonologischen Literatur finden, mit der sich der alte Löher beschäftigt hat. Ähnlich in der Art und Weise der Aufzählung, aber doch ganz anders hinsichtlich des Ursprungs der Aussage ist eine Passage auf Seite 141. Hier schildert Löher in wenigen Sätzen die wütende Reaktion eines namentlich nicht genannten Hexenkommissars auf das standhafte Leugnen eines gefolterten Delinquenten: "Im nicht bekennen werden die ungehalten Richter so zörnig/ ungestum/ daß sie die Männer/ von was qualität sie sein/ vor alte stumme Hunden/ vor greise/ alte/ verstockte Wehr-Wolffen/ GOtt Verleugener/ vor Donner und Wettermacher. Item die Frawen gleichfalß vor verstockte garstige Teuffels Huhren/ verstumbte Krotten/ vor Donner-Katzen/ vor Teuffels Bulerinnen/ alte Zauberinnen/ Donner/ Hagel/ Wind und Wetter Rupffen/ Mäyforschen Macherinnen/ Frucht Verderberinnen außschelten/ und was sie für lasterliche/ schmeliche Nahmen haben und erdencken können/ dar mit sie die Leute im nicht bekennen außschelten"/

Immer wieder, vor allem im letzten Drittel seinesBuches, wiederholt der alte Mann diese Passage in fast wortgleichen Ausdrücken. Stets wird dieselbe Situation angedeutet, in der ein anonymer Richter im scharfen Verhör den Verdächtigen oder die Verdächtige wütend anschnauzt. Und immer tauchen die gleichen Aufzählungen auf: Bei den Männern sind es Gottesverleugner, stummer Hund und Werwolf, bei den Frauen Teufelsbuhlin, stumme Kröte und Donnerkatze. Aufgrund der so weitgehenden Übereinstimmung von Textstellen, die nur kurze Bemerkungen darstellen und über mehrere hundert Seiten im Text verstreut auftauchen, hege ich keinen Zweifel daran, daß es sich hier um eine Erinnerung Löhers an eine real von ihm erlebte Verhörsituation handelt. Wir hören sozusagen durch den Dunst der Jahrhunderte hindurch die unbeherrschte Stimme des Hexenkommissars Franz Buirmann, der in vermutlich mehr als einem Fall in dieser suggestiven Weise seine Opfer beschimpft hat. Löher weist sogar darauf hin, daß die Hexenrichter mit diesen Worten ihre Opfer anzuherrschen pflegen, wenn sie die erste und die zweite Folter ohne Geständnis überstanden haben, um sie vor demAnwenden des dritten Grades noch weiter einzuschüchtern. Die Erwähnungvon Tierverwandlungen, die hier angeführt werden, sind also, das will ich hier herausstellen, keine Resultate von Geständnissen, sondern sie sind Unterstellungen des Hexenrichters, denen noch gar keine Geständnisse vorausgegangen sind.

Kehren wir aber noch einmal zu der ersten Aussage über Transformationen zurück. Da ging es um die Argumentationen von Befürwortern der Hexenjagden, die sich in ihren Büchern lang und breit über die Verwandlung von Menschen in Tiere auslassen. Und genau diese Passagen bei Autoren wie Jean Bodin, Heinrich Institoris, Heinrich Schultheiß oder Wolfgang Hillebrand sind es, mit denen sich Löher in seinem Buch auseinandersetzt, wenn er sich mit dem Phänomen der Tierverwandlung beschäftigt. Insbesondere die Betonung der Sodomie der Werwölfe, die in ihrer Verwandlungsphase geschlechtlichen Umgang mit Wölfinnen gehabt haben und diesen weit lustvoller als den Verkehr mit ihren menschlichen Frauen gefunden haben sollen, bringt den nüchtern denkenden Löher in Rage. Bodins Schilderung des Falles von Pierre Burgot und Michel Verdun wird von ihm entschieden zurückgewiesen, indem er mit dem Hinweis auf das natürliche Verhalten der Wölfinnen reagiert, die nur zu bestimmten Zeiten empfängnisbereit sind und ansonsten alle Annäherungsversuche der Männchen abwehren. "Wie? sollten die natürliche Wölffinnen mit den unnatürlichen Wölffen/ als nemblich Pieter Burgott und Michel Verdung in ihrer transformierung zu lieb/ zu dinst stehen und gewessen sein/ wan sie nuhr gewolt haben. Das ist nicht glaubwürdig." (S. 425)

Auch gegenüber den anderen Dämonologen wendet Löher die Waffe des gesunden Menschenverstandes an, indem er Satz für Satz die Argumente der Verfolgungsbefürworter ad absurdum zu führen versucht. Nirgendwo wird das so deutlich als bei der Diskussion des Buches des Hexenkommissars Heinrich von Schultheiß. Ich will hier eine längere Passage aus diesem Text zitieren, einmal, weil aus den Antworten Löhers sehr viel über die Vorstellungen deutlich wird, die er von den Umständen der Tierverwandlungen, hier insbesondere der Werwolf-Verwandlung, hatte. Zum anderen ist es ein sehr schönes Beispiel dafür, wie Hermann Löher dem Argumentationsgeflecht der Dämonologen nicht nur mit Logik, sondern auch mit Ironie und Sarkasmus die Maske entreißen will, und auch daher verdient es die Textstelle, hier vorgelesen zu werden. Übrigens hat Hermann Löher sich den ganzen Text des Buches von Schultheiß von einem Neffen ins Deutsch übersetzen lassen, da er kein Latein konnte. Dies erklärt die eigentümliche Form des Textes, bei dem immer die lateinische Frage des Inquisitors vorangestellt wird, der dann die deutsche Übersetzung und darauf die Antwort Hermann Löhers folgt:

In diesen Antworten Hermann Löhers tauchen eine Reihe von Topoi auf, die sich in den Verhörprotokollen rheinischer Hexenprozesse wiederfinden. In einigen Dörfern, die östlich von Rheinbach dem Rhein zugewandt liegen, namentlich in Niederbachem und in Lannesdorf, finden sich erfolterte Geständnisse von Männern, die als Werwölfe verurteilt worden sind. Sie haben jeweils angegeben, einen Gürtel vom Teufel erhalten zu haben, der sie in Werwölfe verwandelte, sobald sie ihn umlegten. Interessant ist die geschlechtsspezifische Einteilung, die Löher hier so dezidiert vornimmt: Männer werden zu Werwölfen, indem sie den Gürtel umlegen, Frauen verwandeln sich dagegen in verschiedene Tiere, indem sie eine Salbe auftragen. Auch Wölfe tauchen in der Aufzählung der salbenschmierenden Frauen auf, und Löher spricht in der Tat auch einmal in seinem Buch (S. 422) von Werwölfinnen, aber dies nur im Zusammenhang mit einer Erzählung aus Lausanne. Hermann Löher schließt offensichtlich die Möglichkeit, daß man auch eine Frau für einen Werwolf halten kann, keinesfalls aus, aber wenn ich seine Assoziationen richtig deute, dann denkt er in aller Regel bei der Verwandlung in einen Wolf  an einen Mann, bei derjenigen in eine Katze  an eine Frau. Anscheinend ist es aber  so, daß Löher bei Männern im Gegensatz zu nur an die Verwandlung in einen Wolf denken kann, denn die Aufzählung verschiedener und je nach Textpassage auch variierender Tiere (Katzen, Eulen, Schlangen, Affen, Echsen, Raben etc.) taucht nur im Zusammenhang mit Frauen auf. Damit scheint es aber auch so zu sein, daß nur die Tierverwandlung von Männern etwas ist, von dem eine wirkliche Gefahr ausgehen kann, denn beim Werwolf dient die Magie der Verwandlung direkt einer ganz eigenen Art von Schädigung, dem Reißen von Haustieren nämlich. Darin unterscheidet er sich von der weiblichen Hexe. Allerdings ist dem Reißen der Tiere das Verschleppen und Fressen kleiner Kinder verwandt, daß man ebenfalls den Werwölfen vorwirft, und hier ist die Verbindung zum Stereotyp der Hexewieder viel stärker gegeben.

Wenn wir uns an den gerade gehörten Text von Hermann Löher erinnern, dann tauchen in seiner Kommentierung von Heinrich von Schultheiß noch weitere Verbindungslinien zum Hexenbild auf, auf die hinzuweisen sich lohnt: Einmal ist der Werwolf nicht allein, sondern genau wie die Hexe im Verbund mit anderen Teufelsanbetern. Die Parallele wird aber noch enger, wenn es um die Frage der Versammlung geht, denn diese findet zwischen Donnerstag und Freitag auf dem Hexensabbat statt. Dies alles aber, so macht Löher immer wieder deutlich, ist natürlich nicht real, sondern es entstammt nur den Hirngespinsten der gelehrten Doctores, die in ihren Hexenbüchern allerlei Unfug zusammenschreiben undvon einander abschreiben, denn, so sagt er "der eine entlernet von dem anderen die Lügen Exempelen und setzet sie über in seine Bücher". (S. 399)

Hatte aber Hermann Löher neben all diesen Erörterungen derTierverwandlungsgeschichten in den Büchern der Hexenverfolger gar keine eigenen Erfahrungen mit Werwolf- oder anderen Gestaltwandler-Prozessen gehabt? Doch, das hatte er, und gerade dieser Fall, den Löher in einem eigenen Kapitel schildert, ist der genaueren Betrachtung wert, weil er ein interessantes Licht auf die Motivation der Hexenjäger wirft. Es geht um die Geschichte von "Jakob der Faust". Jakob die Faust stammte aus einem winzig kleinen Dorf namens Berscheid, gelegen zwischen zwei ebenso erbärmlichen Weilern namens Todenfeld und Loch, sämtlich in der Nähe von Rheinbach in der Voreifel. Löher spricht von einem blutarmen Dörfchen mit 9 oder 10 armseligen aus Lehm gemachten wackligen Häusern. In der Nähe dieser drei Dörfer erhebt sich ein Berg, der den Namen "Verkensberg" oder auch "Wolfsberg" trug. Nun ereignete es sich, daß in den Jahren zwischen 1632 und 1635 sowohl aus Todenfeld als auch aus Loch je ein kleines Kind im Alter von ca. sieben bis acht Jahren verschwand, wobei man jedes Mal zerrisssene Kleider und Leichenteile fand, die auf Wolfsattacken hindeuteten, obwohl man die Wölfe nicht entdecken konnte. Das nahegelegene Nonnenkloster Schweinheim schaffte zum Schutz seiner Haustiere daher mehrere scharfe Hunde an, um sich des in der Gegend vermuteten Wolfsrudels zu erwehren. Als nun 1636 das Hexenjagen in Rheinbach und Umgebung wieder losging, wurden auch diese Vorfälle wieder aufgegriffen. Offensichtlich entstanden Gerüchte um einen Mann, von dem wir nur wissen, daß er "Jakob die Faust" genannt wurde, was offensichtlich darauf zurückzuführen ist, daß dieser Mann nur eine Hand hatte. Ob es sich bei ihm um einen Hirten handelte, wie es in vielen von Elmar Lorey zusammengetragenen Fällen aus dem Westerwald und dem Mittelrhein der Fall ist, läßt sich anhand der wenigen Sätze bei Hermann Löher nicht sagen. Es spricht aber nichts dagegen. Hochinteressant für uns ist nun die Begründung, die Hermann Löher dafür gibt, daß dieser Jakob nun verhaftet wurde:

"Ruhm und Ansehen", das ist ausdrücklich das, was uns hier als Motiv fürdie Verhaftung von Jakob der Faust begegnet. Wenn man Löher Glauben schenken darf, dann ist das eine Mentalität wie die eines Jägers, der die Wand seiner Jagdhütte mit einer weiteren Trophäe schmücken will. Das ist wahrlich der Gipfel an menschenverachtendem Zynismus, den jemand aufbringen kann. Aber Löher ist gerade bei Jan Möden und Augustin Strom, dem Mörder seines Schwiegervaters, sehr parteiisch. Vielleicht sollte man dem gelehrten Doktor und seinem Handlanger zugute halten, daß sie nicht allein aus Motiven gehandelt haben, die sich mit niedrigen Beweggründen erklären lassen. Wir können durchaus auch unterstellen, daß die Kommissare Möden und Buirmann, genauso wie auch die Autoren der dämonologischen Werke, von der Richtigkeit ihrer Lehren überzeugt waren. Sofern wir dann aber auch annehmen können, daß wir in dem nur wenig gebildeten Kaufmann Hermann Löher einen typischen Vertreter der rheinischen Bevölkerung vor uns haben, dann können wir annehmen, daß sich hier in der "Wehmütigen Klage" ein Beleg dafür findet, daß die so archaisch und volkstümlich anmutende Lykantropie-Vorstellung gar nicht so sehr in den Bereich der Volksmythologie als vielmehr in denjenigen des gelehrten Diskurses gehört, so wie es Elmar Lorey kürzlich für den Mittelrhein festgestellt hat. Sowohl die suggestiv den gefolterten Prozeßopfern vorgehaltenen Anschuldigungen (Gottesverleugner, stummer Hund, Werwolf) als auch die breiten literarischen Erörterungen über die Verhaltensweisen der in Tiere verwandelten Hexen und Zauberer stammen aus dem Milieu der akademisch ausgebildeten Juristen und Theologen. Wenig bis gar nichts verweist auf einen verbreiteten Werwolf- oder Katzenmenschen-Glauben aus dem Bereich der Volksüberlieferung. Dem korrespondiert, daß nur sehr wenige Prozesse, die im Rheinland gegen Männer geführt worden sind, den Vorwurf der Lykantropie aufnehmen. War die Verwandlung in einen Wolf auch nicht unbekannt, so hatte sie doch keine Breitenwirkung hinsichtlich der Prozeßpraxis. Selbst der so spektakuläre Fall des 1589 in Köln als Werwolf hingerichteten Peter Strump scheint in der Erinnerung der rheinischen Bevölkerung nicht stark fortgewirkt zu haben. In der Diskursebene der gelehrten Räte und Kommissare aber war das offensichtlich ganz anders. Und daher paßt die Vorstellung der Ruhmsucht als Motiv für eine Werwolf-Anklage, die Löher hier dem Kommissar Dr. Jan Möden unterschiebt, sehr gut in einen solchen Befund hinein. Neben den "gelehrten Hexenbegriff" tritt also möglicherweise als Erweiterung und eventuell als männliche Ergänzung der "gelehrte Werwolfbegriff". Eine Forschungsperspektive, der vielleicht nachgegangen werden sollte.

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