von Thomas P. Becker
Spätenstens seit H.G. Wells berühmtem Roman gehört es zu den Träumen der Menschheit, durch die Zeit reisen und vergangene Epochen mit eigenen Augen sehen zu können. Sicher wäre es von ganz besonderem Reiz, durch einen "ZeitTunnel" einen Blick auf eine mittelalterliche oder frühneuzeitliche Stadt werfen zu können. Ein solcher Blick auf Bonn zu Anfang des 17. Jahrhunderts hätte uns aus der Ferne die Silhouette einer kleinen mauerumwehrten Siedlung gezeigt, die mit ihren Türmen und Wällen romantische Assoziationen an Rothenburg ob der Tauber oder ähnliche Städchen mit mittelalterlichem Gepräge geweckt hätte. Wenn man sich der Stadt jedoch von Norden aus, den Fluß hinauf, genähert hätte, wäre unsere romantische Stimmung jäh durch Entsetzen beeinträchtigt worden. Auf einer kleinen Anhöhe nördlich der Stadt hätten wir nämlich auf der Josephshöhe die Richtstätte des Bonner Hochgerichtes gesehen, mit ihrem hoch aufgerichteten Galgen, den hohen Stangen mit den aufgesteckten Wagenrädern und der geschwärzten Erde auf dem Platz, an dem die Scheiterhaufen verglüht waren. Galgen und Rad gehörten zum Erscheinungsbild jeder spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt. Die Todesstrafe für besonders schwere Delikte war zwar nicht gerade an der Tagesordnung, doch verging in einer Stadt mit 3000-4000 Einwohnern kaum ein Jahr, in dem nicht der Henker auf der Josephshöhe seines Amtes gewaltet hätte. Seit dem Beginn der sogenannten "kleinen Eiszeit" in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die Zeiten immer schwieriger und kriegerischer geworden. Der Aufstand und Freiheitskrieg der nahen Niederlande gegen ihre spanischen Herren ließ seine Auswirkungen spüren, der "Kölnische Krieg" des Kurfürsten und Erzbischofs Gebhard Truchseß von Waldburg stürzte ab 1583 die ganze Region in Angst und Not, der jülichklevische Erbfolgekrieg leitete die zweite Dekade des 17. Jahrhunderts ein, und der große grausame Dreißigjährige Krieg zeigte gleich zu Beginn sein häßliches Gesicht in der Nähe von Bonn, als die Niederländer auf der Rheininsel "Pfaffenmütz" gegenüber von Graurheindorf ein Fort errichteten und die Gegend mit Raub und Plünderung überzogen. In all diesen Jahrzehnten waren die Straßen immer unsicherer geworden, hatten sich marodierende Söldner und desertierte Landsknechte auf Straßenraun und Mord verlegt, waren die Menschen in Stadt und Land durch eine ständig wachsende Summe von Kriegssteuern und Abgaben bei gleichzeitigem Rückgang des Handels und verschlechterten Ernteerträgen bedrückt und ausgepreßt worden. In diesen düsteren Lebensumständen begann sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Bonn und Umgebun zum ersten Mal ein Phänomen zu regen, das für die nächsten 30 Jahre in immer neuen Wellen auf grausige Weise das Bild der Zeit prägen sollte: Die Hexenverfolgung!
Die frühneuzeitliche Hexenverfolgung hat ihre Wurzeln in der Ketzerverfolgung des Mittelalters. Schon 1112 waren in Bonn einige Tanchelmiten verbrannt worden. 1163 wurden im Zusammenhang mit einer Katharerverfolgung in Köln einige Menschen in Bonn wegen der Zugehörigkeit zu dieser Sekte auf den Scheiterhaufen geschickt. Weitere Bonner Ketzerverfolgungen oder Zaubereiprozesse sind uns für das ganze Mittelalter nicht bekannt. Die erste Nachricht über einen Hexenprozeß in Bonn stammt aus dem Jahr 1507. Sie besteht nur aus zwei Sätzen, die in einem Brief der Stadt Köln an das hohe weltliche Gericht zu Bonn stehen:
"Wir verstain, wie etliche zeuberschen unlanx by uch vam leven int fuyrund zome doide mit recht und urtell verwijst sin und etliche frawenpersonen by uns besaicht haven sullen. So were wail uns gutliche begerde, indeme dat also geschieht were, dat Ure Ersamheiden uns alsdan sulchen bekenntenisse in geheime by gegenwordigen boiden zoschicken willen".
Nach den Kriterien heutiger Hexenforschung haben wir es hier mit einem echten Hexenprozeß zu tun, denn offensichtlich hatte es eine Serie von Kettenprozessen gegeben, alle Opfer waren Frauen, und vor allem hatten die Richter großen Wert auf "Besagungen" anderer Teufelsbündler und Hexen gelegt. Das Bonner Schöffengericht hat also schon 1507 in Zaubereifällen den "gelehrten Hexenbegriff" angewandt. Dieser war Ausdruck einer komplizierten Theorie, die sich im Verlauf des späten Mittelalters allmählich in theologischen und juristischen Kreisen gebildet hatte. In seinem Zentrum stand die Lehre von der "Hexerei". Der Ausdruck war eine neue Erfindung und tauchte zum ersten Mal beim Konzil von Basel (14311437) auf. Darunter war nicht etwa die schon seit Jahrtausenden bekannte und mit dem Tode geahndete Schadenszauberei, also die schwarze Magie, gemeint, sondern ein kompliziertes Konstrukt aus vier verschiedenen Tatbeständen: Ein Pakt mit dem Teufel, wobei Gott abzuschwören war, Geschlechtsverkehr mit dem Teufel (der sich je nach Geschlecht der zu verführenden Person als männlicher Incubus oder als weiblicher Succubus zeigte), Teilnahme am Hexnesabbat und erst ganz zuletzt auch Schadenszauberei. Das "abscheuliche laster der hexerey" sah man als Kumulativdelikt an, d.h. daß stets, sobald man eine Person nur eines der vier genannten Tatbestände überführt hatte, automatisch damit auch die drei anderen als erwiesen galten, denn man ging davon aus, daß die Hexen, Unholden und Zeuberschen immer alle diese vier Dinge zugleich begingen. Grundgedanke bei der Aufstellung der Theorie der Hexerei war die Annahme einer überall subversiv wirkenden Teufelssekte, die ihre neuen Mitglieder durch Teufelspakt und Teufelsbuhlschaft in ihren Bann brachte. Ihr Ziel war es, überall unerkannt durch möglichst viel Schaden und gleichzeitig bei Anwerben immer neuer Mitglieder die Herrschaft Satans über die Erde vorzubereiten. Das hatte ungeheure Konsequenzen. Waren in den Jahrhunderten davor immer wieder Personen, zumeist Frauen, wegen Schadenszauberei auf dem Scheiterhaufen hingerichtet worden, so war doch durch den Tod des armen Opfers jeweils "der Gerechtigkeit Genüge getan" worden. Nun aber war die "Überführung" einer vermeintlichen Hexe nicht mehr das Ende einer solchen Affaire, sondern erst der Auftakt. Getreu der Hexenlehre der Theologen war es nun nicht mehr genug, nur eine einzige Hexe in einem Ort zu fangen und zu vernichten, da doch zwangsläufig noch weitere Personen zu der vermaledeiten Teufelssekte dazugehören mußten.
Bonn wurde zwar zunächst nicht von der reformatorischen Bewegung erfaßt, doch durch die Bestrebungen des Erzbischofs Hermann von Wied wurde die Stadt ab 1543 das Zentrum des erfolglosen ersten Kölner Reformationsversuches. Der zweite Reformationsversuch unter Gebhard Truchseß von Waldburg fand schon in der aufgeheizten Krisenzeit des letzten Jahrhundertdrittels statt. Daher löste er auch einen erbarmungslosen Konfessionskrieg aus, in dessen Gefolge die Godesburg in die Luft gesprengt, Bonn selbst belagert und die umliegenden Dörfer allenthalben geplündert und zerstört wurden. Damit war einer der drei wesentlichen Faktoren in die Geschichte des Bonner Raumes eingedrungen, die für das Auslösen einer Hexenverfolgung langfristig verantwortlich waren: Die konfessionelle Konfrontation und daran anschließend Gegenreformation und Konfessionalisierung (die anderen beiden Faktoren sind der wirtschaftliche Niedergang und die Klimaverschlechterung). Die konfessionelle Indoktrination durch die Kräfte der katholischen Reform sollte für die nächsten 50-60 Jahre das prägende Element im Alltagsleben der Stadt und des Umlandes werden. Seit Ende des Kölnischen Krieges, d.h. seit 1583, war Bonn Sitz einiger kurkölnischer Zentralorgane, z.B. des Hofrates, und ab 1597 auch ständige Residenz des Erzbischofs. Der Faktor der wirtschaftlichen Verschlechterung traf auf Bonn insofern nicht zu, als für Handel und Gewerbe durch die Etablierung des Hofstaates die Zeiten eher besser wurden. Der überwiegende Teil der Bonner Bürger, wie auch die Bewohner der umliegenden Städtchen und Dörfer des Oberamtes Bonn, lebte jedoch von der Landwirtschaft. Inflationäre Erscheinungen sorgten auch hier für eine Verschlechterung des Lebensstandarts, aber sie trafen nicht bis ins Mark. Das System der Realteilung sorgte dafür, daß die meisten Bauern kleinere Hofstellen in Eigenbesitz bewirtschafteten, deren Ertrag durch die Fruchtbarkeit der Bördeböden jedoch in normalen Zeiten für einen ausreichenden Unterhalt sorgten. Tagelöhner und unterbäuerliche Kleinstbetriebe (Kötter, Gärtner etc.) waren daher selten. Mißernten führten hier nicht unmittelbar zu Hungersnöten, aber sie bedrohten die wirtschaftliche Existenz der Kleinbauernhöfe und der Ackerbürger in empfindlicher Weise. Die Marge zwischen gutem Auskommen und Armut war so gering, daß zwei, drei schlechte Jahre genügten, um den Betrieb in den Ruin zu treiben. Einzig die Schicht der Pächter war davon ausgenommen. Sie, die man auch Halbwinner oder Halfen nannte, durften vom gepachteten Gut kein Stück veräußern. Auf diese Weise blieben ihre Höfe immer gleich groß, während diejenigen ihrer Nachbarn durch Erbteilungen immer kleiner wurden. Die Halfen, die in der Regel den Hof an den ältesten Sohn weitergeben konnten, waren so die reichsten Bauern im Dorf. Die meisten Bauern und Ackerbürger wurden also von der Klimaverschlechterung, die ab etwa 1560 in ganz Europa spürbar wurde, sichtlich getroffen. Tatsächlich finden sich auch Berichte über Kälteeinbrüche für die Jahre, in denen in Südwestdeutschland die ersten Hexenverfolgungen auftraten: Im Winter 1564/65 war der Rhein völlig zugefroren. Ende März, als das Eis geschmolzen war, kam es dann zu einer verheerenden Überschwemmung.Der Winter 1571 war zuerst sehr warm und mild, aber seit dem Tag der Bekehrung des Apostels Paulus hat es 14 Tage lang in einem fort geschneit. In diesen ersten Jahren der "kleinen Eiszeit" blieb es im Rheinland in puncto Hexen jedoch noch ruhig. Man registrierte aber aufmerksam die Nachrichten, die ab 1585 aus dem Kurtrierischen heraufdrangen, wo eine gnadenlose Verfolgung tobte. Als 1590 die große Hexenverfolgung im Herzogtum Bayern begann, war die Stadt Bonn gerade erst seit wenigen Monaten wieder in der Hand des Erzbischofs, der sie mit spanischer Hilfe von den niederländischen Freibeutern unter Martin Schenk von Nideggen freikämpfen mußte. Erzbischof Ernst von Wittelsbach hatte enge Verbindungen zu seinem Bruder Herzog Wilhelm V. von Bayern. Man war von daher über die Vorgänge in Bayern wohlunterrichtet. Der erste Hinweis auf eine erneute Hexenverfolgung im Bonner Raum liegt kurz vor dieser Zeit, nämlich im Jahr 1589: Im Amt Godesberg wurden zwei aus Meckenheim stammende Frauen wegen Hexerei hingerichtet. Auch 1593 fanden im Amt Godesberg Hexenprozesse statt, unter deren Opfern wiederum zwei Meckenheimerinnen waren. Man könnte meinen, daß es sich dabei um die zwei Frauen handelte, deren Gefangennahme wegen Hexerei der Erzbischof dem Bonner Cassiusstift 1593 befohlen hatte. Erstaunlich daran wäre allerdings, warum diese Frauen nicht vor das Bonner Hochgericht, sondern vor den Godesberger Amtmann gekommen sein sollen. Wahrscheinlicher also haben wir es mit verschiedenen Frauen zu tun, was bedeutet, daß die ersten Hexenprozesse in Bonn (nach 1507) schon 1593 geführt worden sind. Das besagt auch der erste sichere Beleg, den wir über eine Hexenverbrennung in Bonn haben. Er stammt aus dem Jahr 1594. In den Protokollen des kurkölnischen Hofrates findet sich unter dem 9. Januar die Eintragung:
Mergh [= Maria] Harms verbrente zeubersche zu Bon. Die guter lassenpleiben in dem standt wie zuvorn gewesen sein, den herrn rheete etc. wolle ... eines anderst berichten, ... ist nit befugt gewesen (die mutter hex blos leibzuchterin gewesen) ire guter zu confistiren.
Maria Harms ist das erste Opfer der Bonner Hexenverfolgung, dessen Namen wir kennen. Sie kam in die Protokolle des Hofrates, weil sie durch die Leibrente ihrer verstorbenen Mutter kein eigenes oder ererbtes Vermögen hatte. Die Konfiskation der Güter, aus denen die Mutter ihre Leibrente bezogen hatte, war von daher ungerechtfertigt gewesen, denn die Tochter hatte kein Anrecht darauf. Nun mußte also der Staat für die Hinrichtungskosten aufkommen, weshalb der Hofrat mit der Angelegenheit betraut wurde. Wir haben keinerlei Quellen darüber, ob es außer diesem Hexenprozeß noch zu weiteren gekommen ist. Angesichts der üblichen Mechanik der durch die Folter erzwungenen weiteren Besagungen anderer "Hexen" ist es aber nur zu wahrscheinlich, daß wir schon hier mit mehreren Prozessen zu rechnen haben. Rechnen wir die eben erwähnte Anweisung des Erzbischof Ernst zu den Bonn betreffenden Quellen, haben wir für das Jahr 1593 ohnehin schon eine Zahl von drei gesicherten Prozessen. Im Jahr 1609 gibt es einen kurzen Hinweis auf einen weiteren Prozeß in Bonn. Nähere Angaben existieren jedoch nicht. Ansonsten bleibt es für die nächsten dreißig Jahre in Bonn in punkto Hexenverfolgung mehr oder weniger ruhig. Auch in Bonns Umgebung finden sich nur noch spärliche Angaben: 1595 wird Godesberg noch einmal erwähnt, und in Ahrweiler werden 1609 zwei Frauen aus Bachem als Hexen verbrannt. Die große Zeit der Hexenverfolgung in Kurköln setzte erst mit dem Jahr 1628 ein.
Daß es in Bonn im Jahr 1628 zu einem Hexenprozeß gekommen ist, ist schon seit dem ersten Erscheinen des Kompendiums von Soldan und Heppe bekannt. Dort wurde nämlich der Brief des Alfterer Pfarrers Hilger Düren an den Grafen Werner von Solms abgedruckt, in dem die Hinrichtung der Bonner Blumenwirtin Elisabeth Kurtzrock berichtet wird. German Hubert Christian Maaßen hatte in seiner "Geschichte des Dekanates Hersel" diesen und zwei andere Briefe bezüglich Elisabeth Kurtzrock kommentarlos abgedruckt. Da Elisabeth Kurtzrock so daß einzige Prozeßopfer war, dessen Name bekannt und dessen Biographie recherchierbar war, entstand in der Lokalgeschichtsschreibung der Eindruck, als ob sie das einzige, das erste oder zumindest ein besonders spektakuläres Opfer einer Bonner Verfolgung gewesen sei. Da aber Elisabeth Kurtzrock keineswegs das erste Opfer einer Bonner Hexenprozeßwelle war, wollen wir ihr Schicksal noch einen Moment zurückstellen.
Völlig richtig ist, daß im Jahr 1628 in Bonn der Wahn der Hexenverfolgung wieder sein blutiges Haupt erhob. Da sich aus der Bonner Geschichte vor dem 18. Jahrhundert kaum Quellen erhalten haben, wissen wir nicht, wer den Vorwurf der Hexerei zuerst aufgebracht hat. Jedenfalls begannen die Prozesse vor dem 4. April 1628. An diesem Tag nämlich beschloß der Hofrat, die Schöffen des Bonner Gerichts eindringlich an ihren Eid zu erinnern, "weilen man in erfahrung khombt, daß die gehaimbhaltung nit wie sich's geburt gehalten, sonder, was vorgehet innen und außer der statt spargiert wird." Es hatte also schon Inhaftierungen (zumindest aber eine Inhaftierung), möglicherweise auch schon Folterung(en) gegeben. Aus der Formulierung des Protokolls ist zu schließen, daß es zu Besagungen gekommen war (was bedeutet, daß man nach dem "gelehrten Hexenbegriff verfuhr und wir es nicht mit einem bloßen Zaubereiprozeß zu tun haben), und daß die Namen besagter Personen während des laufenden Verfahrens von beteiligten Schöffen nach draußen getragen worden waren, so daß diese fliehen konnten. Die Bonner Schöffen waren noch ungewohnt im Umgang mit der "Hexenkriminalität", weshalb sie sich am 31. August an den Hofrat wandten, um eine Klärung darüber zu erlangen, welche Gebühren ihnen als Aufwandsentschädigung bei Hexenprozessen zustanden. Die Prozesse waren also in vollem Gange. Eine Entscheidung des Hofrates in Fragen der Gerichtsgebühren und der Bezahlung der Kosten für Gefängnis, Folter und Hinrichtung vom 7. Oktober des Jahres legt nahe, daß es auch schon zu einigen Hinrichtungen gekommen war. Es wurde beschlossen, die Kosten aus dem Vermögen der Gerichteten zu bestreiten, sofern sie alleinstehend waren oder ein Ehepartner als Erbe vorhanden war. Waren nur noch die Kinder als Erben vorhanden, sollten die Kosten bis zur Höhe eines "Kindteils" eingezogen werden. Von einer vollständigen Güterkonfiskation, wie sie in der Quelle von 1594 vorkommt, ist also nicht die Rede.
Das erste Opfer, dessen Name bekannt ist, war überraschender Weise ein Mann. Es war ein gewisser Philipp aus Lannesdorf, dessen Schicksal im Mehlemer Kirchenbuch verzeichnet ist: Sein Leib wurde am 13 September 1628 auf der Bonner Gerichtsstätte "auf der Höhe" verbrannt, nachdem wie die offizielle Version lautete ein Dämon ihn im Gefängnis erwürgt hatte. Er war beschuldigt worden, ein Werwolf zu sein. Mit ihm, so fährt der Mehlemer Pfarrer in seinen Aufzeichnungen fort, wurde unter anderem ein 14 Fuß langer Rosenkranz verbrannt, in welchen gewickelt er sich auf den Boden warf und in dem ihn der Teufel durch die Luft dahin trug, wo er hin wollte. Auch erfüllte ihm der Rosenkranz alle Wünsche. In der Kirche sei er stets der erste und der letzte gewesen, doch zuhause und später im Gefängnis habe er nicht mehr beten können. Der Mehlemer Pfarrer hatte diesen Philipp gekannt, denn er schreibt: "Selbst gesehen und in Händen gehalten habe ich einen Ledergürtel von einzigartiger Stärke, um dessen Enden eine Schnalle von wunderbarer Größe war, wie man sie sonst an großen Ketten findet." Der Mehlemer Pfarrer teilte also den Hexenglauben seiner Zeit und war von der Rechtmäßigkeit der Hinrichtung überzeugt. Vom Gedanken einer subversiv wirkenden Hexensekte finden wir allerdings nichts. Die Bonner Schöffen allerdings gingen sehr wohl von einer zusammenhängenden Gruppe von Hexen und Hexern aus, denn sie beließen es nicht bei einem Prozeß, sondern verhafteten auch weitere Leute. Nachricht davon haben wir durch die Briefe, die sich auf die schon mehrfach erwähnte Elisabeth Kurtzrock beziehen. Der Rentmeister Johann Lax aus Alfter schrieb nämlich am 21. Oktober an den Alfterer Grundherren, den Grafen Werner von Salm: "Newes sunderligh nichtz dißer ortt, dan heudt ist ein Junffern zu Bon verbrandt, und sitzet eine von Herßell, und dan in Bon die alde wirthin in der Blomen Kurtzrock geheischen. ..." Der Verbrennung des Philipp am 13.9. war also eine weitere Verbrennung am 21. Oktober gefolgt, und zwei weitere Frauen befanden sich schon in den Händen des Gerichts.Elisabeth Kurtzrock war nur die letzte in dieser Aufzählung. Immerhin können wir über sie einiges erfahren.
Über ihr Geburtsdatum ist nichts bekannt. Sie war jedoch in erster Ehe mit dem kurfürstliche Zöllner Johann Barcholtz verheiratet, der 1591 gestorben ist. Sie könnte also zwischen 1560 und 1570 geboren worden sein. Elisabeth war die Erbin des Hauses "Zur Blomen" neben dem Rathaus, sie war also auch als Witwe "eine gute Partie".In zweiter Ehe heiratete sie den Bonner Schöffen Hans Georg Kurtzrock, der 1622 auch das Bürgermeisteramt versah. Elisabeth gehörte also in die erste Schicht der angestammten Bonner Bürgerschaft. Zwei Söhne stammen aus dieser Ehe. Ab 1615 hatte das Ehepaar Kurtzrock im Hause "Zur Blomen" einen Schankbetrieb eröffnet. Auch nach dem Tod ihres Mannes setzte Elisabeth, die nun schon hochbetagt war, den Schankbetrieb fort. Über ihr Schicksal schreibt der Alfterer Pfarrer Hilger Düren an den Grafen Werner:
"Daß ich von längst her nichts geschrieben, ist dahero kommen, daß mir nichts sonderlichs vorkommen, allein daß man zu Bonn starck zu brennen anfange; ietzo sitzet eine reiche, deren Mann vormahls Scheffen zu Bonn gewesen, namens Kurtzrock, ... sie ist eine hex, und taglich vermeinet man, daß sie iustificirt solle werden, welcher ohne zweiff(el) noch etliche dickköpf folgen mußen."
Man hat häufig aus dieser letzten Formulierung geschlossen, daß die Bonner Hexenverfolgung zugleich eine Protestantenverfolgung war, weil man den Begriff "Dickkopf" als Schimpfwort für Protestanten ansah. Abgesehen davon, daß der Begriff "Dickkopf" keineswegs auf konfessionelle Animositäten eingeschränkt war und ist, spricht gegen eine solche Lesart vor allem, daß eine Zuordnung der Familie Kurtzrock zur in Bonn nur noch marginal existierenden reformierten Gemeinde mehr als unwahrscheinlich ist. Immerhin dürfen wir festhalten, daß auch der Alfterer Pfarrer, der übrigens aus dem verfolgungserfahrenen Godesberg stammte, von der zeitgenössischen Hexenlehre überzeugt war. Daß DÜren erst im Herbst 1628 seinem Grundherrn von Verbrennungen in Bonn Mitteilung macht, läßt den Schluß zu, daß Philipp von Lannesdorf tatsächlich zu den ersten gehört, die wegen Hexerei hingerichtet wurden. Auch über das Ende der Elisabeth Kurtzrock sind wir nur aus den Alfterer Briefen im Salm'schen Archiv unterrichtet. Der schon genannte Rentmeister Johann Lax schreibt unter dem 3. November an den Grafen Werner: "Verlitten montagh ist die alde Wirthin zu Bon in der Blomen uff der Höhe verbrandt [worden]" Der Brief des Rentmeisters fährt fort:
"... ahm selben tagh auch zwischen Weßelingh und Godorff der Zollner, neben der Schultheißinnen zu Metternigh verbrandt worden, unnd wird noch vill von vornehmen richen, doch mir unbewust und unbekhandten leuthen, so in Bon und sunsten sein, welche der zauberkunst sein sollen, gesaget, welches die zeit ahn den tag bringen wirdt."
Auffällig ist die Betonung des Vermögens der in Verdacht gekommenen Personen wie auch die gehobene gesellschaftliche Stellung aller genannten Opfer. Die Verfolgung betraf also keineswegs nur Unter und Mittelschichten. Wie groß der Anteil der Angehörigen der dörflichen und städtischen Oberschicht an den Opfern der Verfolgung gewesen ist, läßt sich aber mangels ausführlicher Quellen nicht entscheiden. Die Tatsache, daß gerade die reichen oder gesellschaftlich angesehenen Opfer in den Briefen genannt werden, dürfte darauf zurückzuführen sein, daß ihre Fälle bekannter wurden und daher auch zum Weiterberichten reizten. Unabhängig von der sozialen Zugehörigkeit der Opfer können wir dem Brief des Pfarrers entnehmen, daß die Bonner Hexenverfolgung gerade erst richtig angefangen hatte. Wieviele Opfer der Prozesse es in diesem Jahr noch gab, läßt sich aber nicht mehr feststellen. Die Jesuiten, deren Aufgabe es war, die zum Tode Verurteilten zum Richtplatz " auf der Höhe" zu begleiten, bestätigen uns zwar in ihrem Jahresbericht das Faktum der Hinrichtung, bleiben aber in ihrer quantitativen Angabe völlig vage.
Unter den im Spätherbst 1628 verhafteten Frauen dürfte sich aber noch eine weitere vornehme Bonnerin befunden haben, deren Lebensweg wir in groben Zügen fassen können: Katharina Curtius. Der Bonner Privatgelehrte Eberhard von Claer hat in seiner umfangreichen Sammlung von Abschriften aus Bonner Gerichtsakten der frühen Neuzeit eine bemerkenswerte Notiz: "Vor einem Dr. iur. Franz Buirmann und den Schöffen macht die als Hexe (?) gefängl(ich) eingezogene Frau Kathar(ina) Röseler, Ehefrau des Reiner Curtius im J(ahre) 1629 ihr Testament. Sie klagt sich darin großer, grober Laster an." Das Testament, das de Claer noch in Händen hielt, muß wohl als verloren angesehen werden. Seine Notiz liefert uns neben dem Hinweis auf Katharina Curtius aber noch den Namen eines Mannes, der in der Geschichte der Hexenverfolgung im Rheinland kein Unbekannter ist: Der Hexenkommissar Dr. Franz Buirmann. Zu ihm wird gleich noch einiges anzumerken sein.
Katharina war die Tochter des ersten Bonner Apothekers Gierhardt Roeseler, der 1600 als Besitzer des Hauses "Zur Laurdannen" am Markt bezeugt ist. Sie heiratete 1615 einen Ferdinand Curtius, der ebenfalls Apotheker war. Nach dessen Tod verheiratete sie sich erneut, und zwar mit einem aus Hochkirchen im Kreis Düren stammenden Verwandten ihres Mannes namens Reiner Curtius. Am 10. Januar 1628 verzeichnen die Bonner Kontraktenprotokolle den Kauf des Hauses "Zum Sternenberg" durch Reiner Curtius und seine Ehefrau Katharina. Ein Jahr später, zwischen Januar und April 1629, ist sie bereits als Hexe verurteilt und macht vor ihren Peinigern ihr Testament. Wir können uns gut vorstellen, zu wessen Gunsten sie ihre Hinterlassenschaft regelte, denn der Nutznießer ihres Todes war ganz eindeutig ihr Mann Reiner. Schon 1630 finden wir Reiner Curtius wieder verheiratet, und zwar mit Margaretha Cöllen, Schwester des Bonner Kanonikers Petrus Cöllen. Das erste der sieben Kinder des Ehepaares CöllenCurtius wurde am 25. Oktober 1630 getauft, es war also gezeugt worden, als Katharina noch nicht einmal ein Jahr tot war. Das neue Sozialprestige drückt sich darin aus, daß der Kurfürst höchstpersönlich eines der Kinder 1634 über die Taufe hielt. Das Todesdatum der Katharina Curtius liegt vor dem 12. Mai 1629, weil unter diesem Datum Reiner Curtius "wegen abrichtung uf seine hausfrauwen hinrichtung aufzunehmenden kosten" an den Hofrat appellierte. Curtius weigerte sich, die geforderten Kosten für Folter und Hinrichtung seiner Frau zu zahlen und verwies darauf, daß im Herzogtum Jülich ja noch der Großvater seiner Frau lebe, den der Fiskus zur Kasse bitten möge. Die Sache beschäftigte den Hofrat auch noch im nächsten Jahr, und so erfahren wir beiläufig, daß der Tod und die vorangegangen Qualen eines Prozeßopfers den Hinterbliebenen mit 100 Reichstalern veranschlagt wurde. Da bekannt ist, mit welcher Skrupellosigkeit und Brutalität Buirmann Prozeßkosten einzutreiben pflegte, sehen wir noch einmal, daß Reiner Curtius eher auf der Seite der Nutznießer als auf derjenigen der Opfer zu suchen ist.
Der Doktor der Jurisprudenz Franz Buirmann ist, wie gesagt, in der Geschichte der Hexenverfolgungen wohl bekannt und berüchtigt. Bisher hielt man jedoch sein Auftreten in Rheinbach im Jahr 1631 für den Anfang seiner Tätigkeit.
Buirmann stammte aus Euskirchen. Da er sich im Mai 1608 in die Matrikel der Kölner Universität eintrug, dürfte er um 1590 geboren sein. Der Rheinbacher Schöffe Hermann Löher, der im Verlauf der Rheinbacher Hexenverfolgungen vor Buirmanns Verfolgungswut nach Amsterdam floh, hat in dem Buch, das er über die Rheinbacher Vorfälle schrieb, Buirmann als hageren, kahlköpfigen Mann beschrieben. Den Damen sei er sehr zugetan gewesen, habe aber wenig Glück bei ihnen gehabt. Vergebens habe er sich längere Zeit nach einer Frau umgesehen. Überall jedoch sei er "durch den Korb gefallen". Schließlich habe er die Tochter eines armen Bonner Salpetergräbers geheiratet. Da Buirmann 1631 der schönen Schwägerin des Rheinbacher Schöffen Gotthart Peller vergeblich den Hof gemacht hat, dürfte Löher seine Aussage auf diesen Sachverhalt beziehen. Interessant an der Stelle in Löhers Erzählung ist sein modern anmutender Versuch einer psychologischen Erklärung für Buirmannns sadistisches Verhalten: Buirmann wurde demnach zum blutigen Hexenjäger, weil sein vergebliches Liebeswerben bei verschiedenen Frauen ihn aus Enttäuschung zum unbarmherzigen Frauenhasser gemacht habe. Indessen ist Löhers Prämisse doch recht unwahrscheinlich: Ein Doktor juris war im 16 Jahrhundert rangmäßig einem Ritter oder Freiherrn gleichgestellt. Wenn er, wie wir das von Buirmann wissen, sich Reichtum zu verschaffen wußte, war er nach den Maßstäben der Zeit eine "gute Partie". Die Logik frühneuzeitlichen Heiratsverhaltens richtete sich nicht nach dem Aussehen, sondern nach Sozialprestige und ökonomischen Interessen. Die Erzählung von der Tochter eines Salpetergräbers gehört daher ins Reich der Fabel. Buirmann, der ab 1628 nicht nur Bonner Bürger ist, sondern sogar als Schöffe agiert, war noch vor 1635 mit einer Katharina Walravens verheiratet. Ihr erstes Kind wurde am 30 September 1635 getauft. Patin war eine Sophia Walravens, vermutlich die Schwester von Buirmanns Ehefrau. 1639 wohnte diese Sophia Walravens am Markt im Haus "Zum goldenen Löwen". Salpetergräber und ihre Kinder wohnten aber nicht in der vornehmen Gegend am Markt. Auch ihre Töchter und Söhne heirateten in der Regel nicht dorthin.
Franz Buirmann ist uns nicht nur aus der Schilderung Hermann Löhers, sondern auch aus den noch erhaltenen Prozeßakten der Stadt Siegburg bekannt. Er war ein fanatischer Hexenverfolger, der es jedoch auch verstand, aus seiner Tätigkeit Profit zu schlagen. Folterungen und Hinrichtungen wohnte er stets persönlich bei und griff auch selbst ein, wenn es ihm nicht hart genug zuging. Während der Folterungen und Hinrichtungen zechte er ausgiebig auf Kosten der Opfer mit den beiden anderen Schöffen, die anwesend zu sein hatten. Nach Löhers Meinung tat er das, um die anderen betrunken zu machen, damit er besser nach eigenem Gutdünken mit den Gefangenen umspringen konnte. Die Peinliche Halsgerichtsordnung und andere Gesetze und Rechte übertrat er schamlos, obwohl er sich als gelehrter Jurist vorzüglich darin auskannte. Mehrere Personen sind ihm auf der Folter gestorben, wobei er jeweils die beiwohnenden Schöffen auf die Darstellung verpflichtete, der Teufel habe dem oder der Angeklagten den Hals gebrochen, damit diese(r) nicht die Namen anderer Teufelsbündler nennen konnte. Man fühlt sich da gleich erinnert an die Worte des Mehlemer Pfarrers über den Tod des Philipp von Lannesdorf. Wenn man die Schilderung Hermann Löhers kennengelernt hat, kann man ermessen, welcher psychische Druck auf der armen Katharina Curtius gelastet haben muß, als sie in Gegenwart dieses Unmenschen ihr Testament diktierte, in dem sie mit eigenen Worten das gegen sie ergangene Todesurteil noch einmal bestätigte.
Die Tatsache, daß Franz Buirmann an den Bonner Hexenprozessen beteiligt war, stellt für sich schon die Garantie dafür dar, daß es in Bonn nicht nur zu einigen wenigen Prozessen, sondern zu einer größeren Verfolgung gekommen sein muß. Für das Jahr 1629 erhalten wir tatsächlich eine quantitative Angabe, welche diese Annahme bestätigt. Der Jahresbericht der Jesuiten verzeichnet in diesem Jahr: "Multum negotii facessiverunt nobis quinquaginta fere malefici ut, dirempto probroso foedere, quo gladium flammasque promeruerant, securius hinc digrederentur." Sinngemäß übersetzt heißt das: Viel Mühe bereitete uns, daß fast fünfzig Zauberer, nachdem der schändliche Pakt, für den sie Schwert und Flammen verdient haben, zerrissen worden ist, um so sicherer sich von hier (= vom Diesseits) trennten.
1630 gingen die Prozesse ins dritte Jahr. Am 29. April reichte der Bonner Bürger Konrad Schneider ein Gesuch an den Hofrat, daß man seine wegen Hexerei des Landes verwiesene Ehefrau wieder zu ihm lasse. Wir sehen also, daß nicht jeder Prozeß zu einer Hinrichtung führte. Hinrichtungen gab es aber immer noch. So wurde in einem Verhör in Linz am 2. Januar 1631 als Belastungsmoment für die angeklagte Gertrud Hemmessen angegeben, daß "ihre Schwester newlich zu Bon auch hingericht ..." die Gerichtsboten fühlten sich 1630 so stark belastet, daß sie beim Hofrat um eine Erhöhung ihrer Gehälter nachkamen.
Für Bonn selbst verstummen ab 1630 die Nachrichten über weitere Hexenprozesse. Die nähere Umgebung scheint aber erst jetzt vom Virus des Verfolgungsfiebers angesteckt worden zu sein. Das Schöffengericht der Herrschaft Vilich, direkt Bonn gegenüber auf der anderen Rheinseite, begann 1630 mit einer Serie von Prozessen gegen Hexen und Zauberer. Am Dienstag dem 8. April 1630 wurde "Trein Pitters fraw in der hofgassen" verhört und auf den "schraubstull" geschnallt. Während der Folter besagte sie drei weitere Frauen. Ob sie das erste Opfer war, läßt sich nicht mehr festsstellen, weil das Deckblatt des Aktenbandes verloren gegangen ist. Die Schwarzrheindorfer Prozesse zogen sich das ganze Jahr über hin. Die meisten Eintragungen enden mit einem Todesurteil. Interessant für die Bewertung der Rolle Franz Buirmanns in Bonn ist, daß er auch in dieser Akte auftaucht! Die Notiz in der Sammlung "von Claer" erwähnte Buirmann zwar an herausgehobener Stelle neben den Schöffen (s.o.), aber immerhin wurde er dorrt nicht in einen direkten Zusammenhang mit der Prozeßtätigkeit des Bonner Schöffengerichtes gebracht. In der Schwarzrheindorfer Akte jedoch steht, daß die Äbtissin von Schwarzrheindorf im Prozeß gegen Christina Lülsdorf am 10. September 1630 " den ernvesten und hochgelerten Franciscus Buirmann D. alß advocaten und consiliarius berouffen lassen ... und haben endtlich ubermitz deren gegenwertigen scheffen ahn den h(err)n Buirmann gesteldt, daß derselbe sinen raths schlag und rechts schluß daruber fassen und demnegst dem gericht zustellen wolte ...". Buirmann wird hier also eingeschaltet, weil er als Bonner Schöffe in dem Ruf steht, Spezialist in sachen Hexenprozeß zu sein. Am nächsten Tag schon legt Buirmann den Rheindorfer Schöffen eine Liste mit den Namen von drei Frauen vor, darunter die Frau des Vilicher Schultheißen, die alle wegen Hexerei zu verhaften seien. Wie lange die Prozesse in der Herrlichkeit Vilich weitergegangen sind, wissen wir nicht, weil die Akte 1630 abbricht. Buirmann selbst war ohnehin ab 1631 in Rheinbach tätig. Die Äbtissin von Schwarzrheindorf handelte übrigens ganz im Einverständnis mit der Äbtissin zu Vilich. Letztere setzte sogar zu einer Beschleunigung der Verfahren angestammte Prozeßgepflogenheiten außer Kraft.
Ab Juli 1630 wurde auf Betreiben des Grundherren, Ferdinand Waldbott von Bassenheim, die Verfolgung im Drachenfelser Ländchen, südwestlich von Godesberg, begonnen. Auch hier kam es zu mehreren Todesurteilen. 1630/31 wurden auch die Amtleute von Godesberg und Mehlem wieder aktiv. Nach den Eintragungen des Mehlemer Taufbuches wurden am 23. Januar 1631 zwei Hebammen namens Corst Schliebusch Griedtgen in Mehlem und Nies, Frau des Jakob Gierlach zu Lannesdorf, verbrannt. Am 6. Februar folgten ihnen Cornelius Brienig in lannesdorf und Gertrud Broder auf Rolandswerth. Am 15. März und am 24. März fanden wieder je zwei Hinrichtungen statt. Am 1. April war laut Kirchenbuch die letzte Hinrichtung im Amt GodesbergMehlem.
Überall rund um Bonn brannten also 1630 und 1631 die Scheiterhaufen. Das Nacheinander der Verfolgungen, die zuerst in Bonn und zeitversetzt in den umliegenden Orten stattfand, legt nahe, daß die Bonner Verfolgung als Anstoß für Prozesse in den umliegenden Dörfern und Städten wirkte. Gleichzeitig dürften aber auch andere Faktoren eingewirkt haben, denn auch in den weiter entfernten Teilen Westdeutschlands schwoll die Prozeßwelle um 1630 in nie dagewesenener Weise an.
Resümieren wir alle diese Angaben über eine Hexenverfolgung in Bonn, so ergibt sich das folgende Bild: die Verfolgungen begannen 1628. Erste Prozesse waren schon im April anhängig, die erste bekannte Hinrichtung fand am 13. September statt. Vermutlich hatte es bis dahin schon weitere Verbrennungen gegeben, doch dürften die Hinrichtungen nicht lange vor September angefangen haben. Am 21. Oktober starb "eine Jungfer", deren Name nicht überliefert ist. Am 30. Oktober folgte ihr die Wirtin Elisabeth Kurtzrock. Die Zahl der Prozesse in diesem Jahr läßt sich nicht eruieren, doch legen sie in jeden Fall über der Zahl der drei bezeugten Hinrichtungen, wie die Briefe des Rentmeisters und des Pfarrers von Alfter verraten. Aus dem Jahr 1629 ist nur ein einziger Name bekannt, derjenige der Katharina Curtius. Die Jahresberichte der Bonner Jesuiten geben uns jedoch die Angabe von mehr als 50 Opfern, die "auf der Höhe" hingerichtet worden sind. Die Supplik des Konrad Schneider aus dem folgenden Jahr für die Rückkehr seiner wegen Hexerei verbannten Frau beweisen, daß auch in Bonn die Todesstrafe nicht der einzige Ausgang eines Prozesses war. Darüber hinaus haben wir auch mit einigen Freisprüchen zu rechnen, sofern der "processus ordinarius" angewandt wurde und die Angeklagten die Folter ohne Bekenntnis durchstanden. Aus beidem folgt, daß wir die Zahl der tatsächlichen Prozesse des Jahres 1629 auf mehr als 50 veranschlagen müssen. Gehen wir davon aus, daß es 1628 und 1630, also im ersten und im letzten Jahr der Bonner Verfolgung, weniger Opfer gegeben hat als 1629, dann dürfte sich für die Gesamtzahl der getöteten Personen bei allem Vorbehalt der unsicheren Quellenlage eine Summe von 60 100 Opfern ergeben. Das Interpretationsproblem liegt dabei in der schillernden Bedeutung des Verbes "digredi". Akzeptiert man von daher die Angabe in der Jesuitenchronik nicht als Berechnungsgrundlage, bleibt das Faktum einer über drei Jahre hinweg unvermindert anhaltenden Verfolgung. Die Logik der Hexenprozesse, wo die Suche nach immer weiteren Komplizen die Menge der Prozesse exponentiell steigen ließ, macht allerdings die Angabe von "quinquaginta fere malefici" im zweiten Jahr der Verfolgung durchaus wahrscheinlich. Man muß dabei bedenken, daß die Verfolgungen der Hexenkommissare Buirmann und Möden in den wesentlich kleineren Orten Meckenheim, Rheinbach und Flerzheim zwischen 1631 und 1636 insgesamt 125 Menschen umgebracht haben. Die Stellungnahmen des Hofrats zu Gehaltsforderungen der Schöffen und Gerichtsboten belegen eine wohlwollende Haltung der Regierung zu den Prozessen. Die Formulierungen der Jesuitenchronik weisen darauf hin, daß zumindest der Chronist selbst dem Geschehen gegenüber positiv eingestellt war. Seine Erwähnung des "probrosus foedus" zeigt, daß er von der Richtigkeit der Hexenlehre überzeugt ist. Die Zustimmung und Unterstützung der Äbtissinnen von Schwarzrheindorf und Vilich, des Freiherrn von Waldbott-Bassenheim, der Amtmänner von Bonn, Godesberg, Mehlem und Rheinbach läßt sich belegen. Die Pfarrer von Mehlem und Alfter signalisieren durch ihre Formulierungen ebenfalls Zustimmung. Angesichts all' dieser Fakten dürften künftig keinerlei Zweifel mehr daran bestehen, daß es in der kurkölnischen Haupt und Residenzstadt während der Jahre 1628 bis 1630 zu einer anhaltenden und umfangreichen Hexenverfolgung gekommen ist. Der Name Franz Buirmann schließlich verkettet die Prozesse in Bonn in einer bisher nicht erwarteten Weise mit den schrecklichen Verfolgungen in Rheinbach, Meckenheim, Heimerzheim, Flerzheim, Siegburg und Schwarzrheindorf. Durch die dort vorhandene reiche Überlieferung gewinnt die Zeit der Verfolgungen in Bonn trotz der völligen Vernichtung der Prozeßakten ein Bild von grausiger Plastizität.
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(c) by Thomas Becker, 1990.
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